1930. Im Grossraum des Wiener Beckens bleibt der industrielle Aufschwung aus. Das treibt die Christlichsozialen dazu, die Gründung eines Zweckverbandes Gross Wien vorzuschlagen. Die Sozialdemokraten winken ab.
Also geht der Finanzdauerkonflikt in die nächste K.O.-Runde. Im Mittelpunkt des »Fiskalmarsches auf Wien« steht jetzt die Frage, ob der konservativ dominierte Oberstaat ein Veto gegen lokale Steuern erheben darf. Um den Hardliner und Heroen des urbanen Mikrosozialismus, Hugo Breitner, zu brechen, wird im Bundesland Niederösterreich eine Gesetzevorlage zur Besteuerung der Hochquellenwasserleitung vorbereitet. Falls Wien sich weigert, bleibt der Hahn trocken, drohen die Christlichsozialen im Dezember.
Das sozialdemokratische Tröpfelbad versiegt auch zu Weihnachten nicht. In den Waschküchen der Arbeitersilos wird weiter schmutzige Wäsche gewaschen. Dann aber eilt den Rechten die weltweite Wirtschaftskrise zu Hilfe.
1931 setzt die wirtschaftliche Depression voll ein. Die Abgabenteilung ist bis dato bereits siebenmal novelliert worden, zuletzt so drastisch, dass Wiens Anteile von 50,1 auf 37,3 Prozent zurückgehen.
Das schwarze Land Niederösterreich fordert dennoch die Hälfte der Wiener Ertragsanteile. Die doppelte Beteilung Wiens beim Finanzausgleich wird mit dem Argument attackiert, die Stadt hätte durch ihre Landwerdung ja keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand zu bestreiten; und viele steuerpflichtige WienerInnen würden ihr Einkommen ausserhalb der Stadt beziehen.
Der politische Streit um Wiens Rechte läuft nun mehrgleisig. Niederösterreichs Sozialdemokraten wagen einen kleinen Ausfall an der Flanke. Sie verlangen die Steuerhoheit der Länder wiederherzustellen und die Abgabenteilung überhaupt zu beseitigen. Ein »Tributdiktat« sei an die Stelle »gegenseitiger Loyalität« getreten.
Das ist wahr. Massenelend prägt das Stadtbild. Der Schriftsteller Anton Kuh fürchtet 1931, dass sich das Land auf dem Weg in »eine Schweiz der Komfortlosigkeit« befinde.
Und wie geht der Kampf um die Finanzen aus? Schlecht für Wien. Die unter Druck stehenden Kommunalpolitiker müssen 80 Prozent der ursprünglich von der Regierung geforderten Einbussen an den Ertragsanteilen der Stadt hinehmen. Achtzig Prozent!
Die Aufteilung der Bundesmittel kippt von 60:40 auf 75:25. In Folge dieses Tributdiktats, der Ausdruck ist treffend, müssen zehn Prozent des städtischen Budgets sofort eingespart werden. Ein so rabiater Kahlschlag erscheint im Nachhinein selbst einigen bürgerlichen Gegnern der Sozialdemokartie reichlich ungerecht. Seipel und seine Mitbeter, die Bauern, die Unternehmer und ihre Heimwehren – das rechte Lager ist zu weit gegangen.
Im April 1932 wählt Wien. Die Kommunisten treten als Wahlkämpfer »gegen die sozialdemokratisch-kapitalistische Gemeinde Wien« an. Wieder mal, unermüdlich: »Gegen das Rothschild-Wien, für ein Rotes Sowjet-Wien!«
Otto Bauer lässt sich nicht lumpen, er wirbt mit Fimvorführungen, er kontert mit dem Slogan »Ho ruck nach links!« und fügt noch hinzu: »Vom Roten Wien zum Roten Österreich«.
Rabulistik, Selbsttäuschung der Linken! – Diesmal räumen die Nationalsozialisten sensationelle zehn Mandate auf einmal ab. Die Anhänger von Hitlers braungefärbtem Sozialismus errichten ihre stärkste Bastion mit 26,13 Prozent im 4. Bezirk.
Im September darauf: schwere Tumulte bei den Sitzungen im Wiener Landtag. Jetzt wird nicht mehr nur »Pfui! Pfui!« gerufen, wenn der Gegner am Wort ist. Gummiküppel, Stuhlbeine und Hundepeitschen lassen echtes Blut im Saal fliessen.
Bei den Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich, Salzburg, Kärnten und der Steiermark steigen die Stimmen der Nationsozialisten zum Teil auf das Sechsfache. Das hindert die rechten patriotischen Politiker freilich nicht, den Marsch auf Wien und Breitner noch zu verstärken. »Erst wenn der Kopf dieses Asiaten in den Sand rollt, wird der Sieg unser sein«, erklärt Heimwehrführer Starhemberg auf einer Wählerversammlung im Oktober.
Nun, denn!
© Wolfgang Koch 2008
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