vonWolfgang Koch 21.06.2007

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Was bringt die Aufklärung? Jede Menge Ärger bringt sie, jede Menge Probleme. – »Die Stadt ist viel zu klein für all die vielen Menschen, die hier wohnen«, notiert Lady Mary Wortley Montagu 1716. »Neben Damen von höchstem Range und Stande wohnen Schuster; nur eine Wand trennt oft einen Minister von einem Schneider.«

Neu ist im 18. Jahrhundert eine säkularisierte Öffentlichkeit, ein Publikum, dessen Benehmen sich – ähnlich den Regeln des Theaters – auf Rituale und Konventionen stützt. In der Stadt wächst etwas heran, das man beschreiben könnte als das Vermögen des einzelnen, auf Distanz zu sich selbst zu gehen.

Auf den Bällen, im Theater, bei einer schönen Leich‘ – überall kommt es zur spielerischen Einhaltung von Regeln, zum Aufsetzen von Masken. Man zeigt sich mal vergnügt, mal melancholisch oder traurig, auch wenn man es gar nicht ist. Seine wahren Gedanken zu verbergen und erwünschte Gefühle zu heucheln, gehört ab nun zur Sphäre des Wienerischen. Nicht durch Selbstentblössung findet der Mensch zur Zufriedenheit, sondern durch eine bestimmte Distanz zu sich selbst.

Josef II ist ein Kaiser, der die merkwürdige Losung »Alles für das Volk, nichts durch das Volk« beherzigt. Der Mann lässt Kirchen bauen, und er zwingt in ihnen alles vorne im Aussetzungsthron des Heiligen zusammen: Altar und Tabernakel, Haupt und Herz des Leibes Christi. So wird das Gotteshaus zur verlässlichen Durchsagestation der kaiserlichen Macht.

1766 gibt Josef II den Prater zur allgemeinen Benützung frei, der Augarten folgt. Der aufgeklärte Despot erlässt ein Zensurpatent (Pressefreiheit) und ein Toleranzpatent (Glaubensfreiheit), Josef lässt das Allgemeine Krankenhaus errichten, die Friedhöfe vor die Linien verlegen, er hebt allein in Wien 18 unproduktive Klöster auf, er unterstellt den Magistrat der Staatsgewalt, führt die Grundsteuer ein und gestattet eine Wiener Institution, die Weltrang erhalten sollte: den Heurigen.

Die Kleine Post, bald »Klapperpost« genannt, nimmt in diesen Jahren ihren Betrieb auf. Aber sonst? Sonst jedenfalls »… nichts durch das Volk…«

Man kann die Frage sehr gedrechselt stellen, und die östereichischen Historiker tun das ja mit inbrünstiger Leidenschaft: »Ist der Freimaurer Josef II, der sich die Welt wie ein Lexikon denkt, der Spiritus rektor einer mitteleuropäischen Variante der Aufklärung?«

Ach, Gottchen! Alles verfügt im Kopf dieses Mannes über einen rationalen Grund und einen Zweck, der sich von einer Elite bestimmen lässt. Jeder Untertan soll gerade soviel Wissen erhalten, wie es für seine Stellung in der Gesellschaftspyramide unerlässlich ist.

Ist das aufgeklärt? Vielleicht! Sonderlich liberal ist es wohl nicht, eher zynisch! Und Zynismus ist eine dogmatische Geisteshaltung.

Josefs restriktive bis diktatorische Vorstellungen gelten der Schwarzen Wienclique, der er vorsteht, als viel zu gewagt. Wer bitte garantiert denn, dass sich der lesekundige Untertan auf Dauer mit dem ihm zugeteilten Wissen zufrieden gibt? Wer einmal zu schwimmen versteht, der schwimmt bekanntlich immer weiter hinaus und gerät dann irgendwann ausser Sicht.

Der Absolutismus erkennt die Gefährdung und verschliesst das bereits halb geöffnete Tor wieder fest hinter sich.

Wien ist zum Ende des 18. Jahrhunderts nur der Bevölkerungszahl nach Paris die bedeutendste Stadt des europäischen Festlands. Ansonsten herrscht hier tiefe Provinz.

An der Seine sprich sich die einflussreiche Gruppe von Philosophen um Voltaire, Diderot, Rousseau geschlossen gegen die Kolonien Frankreichs in Kanada aus. So etwas wäre dem hiesigen Paradeaufklärer Sonnenfels niemals einfallen.

Im Gegenteil: Während Adel, Kirche und Bauern geschickt ihre Begehrlichkeiten am Hof vorbringen, fehlt es den Forderungen der Bürger und der Städtern an Zuversicht. Vielleicht auch an Zielsicherheit.

Man beschneidet den Freiheitsdrang der unteren Klassen mit dem Goluchowski’schen Landesstatut. Bei der Modernisierung der Verwaltung übernehmen Wiener Grosskaufleute zwar die entscheidende Rolle. Doch während die Bourgeoisie im England, Frankreich und anderen Ländern bereits politische Ämtern erklimmt, trifft man sich an der Donau in den Freimaurerlogen und verrauchten Salons; die Stadt pflegt ein öffentliches Musikleben zur ständeübergreifenden Begegnung zwischen Wirtschaftsleuten, Besitzenden und Bildungskanonen. Während in Paris die Guillotine niedersausst, fängt die Polizei bei uns 36 Klubisten, und einer dieser Wiener Jakobinern, der Offzier Franz Hebenstreit, wird hingerichtet. Ein halbes Jahr nach der Enthauptung Robespierres.

Immerhin wird das Echo der Pariser Ereignisse unüberhörbar. Die Menschen murmeln in den Strassen, kaufen illegale Flugschriften. 1799 weisen die Seismograhen der Macht den Kaiser erschrocken auf die furchtbare Neigung des Wiener Publikums hin, »das Benehmen des Hofes und des Ministeriums frei zu beurteilen und zu tadeln«. Minister der kaiserlichen Regierung zeigen sich besorgt darüber, dass »der kraftvolle Ernst des Hofes« im Abnehmen sei.

Diese politischen Empfindungen durchlebt Wien, während in Westeuropa Barrikaden brennen.

Unter Leopolds Sohn Franz wird der Kampf gegen die »Neuigkeitssucht« entgültig zum Bestandteil des Regierens. Die Furcht vor Aufständen verlangt die »Niederhaltung jeden staatsbürgerlichen Interesses als dem sichersten Mittel gegen dessen Entgleisung«, wie man bei Hof sagt. Am 10. August 1804 erreicht der Anachronismus des Schwarzen Wiens seinen Höhepunkt: Die Stadt wird – zugleich mit der Annahme des Titels Kaiser von Österreich durch Franz – zur »römisch- und österreichisch kaiserlichen Residenzstadt« geadelt.

© Wolfgang Koch 2007
next: MO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kleine-wiener-stadtgeschichte-4/

aktuell auf taz.de

kommentare