Das Dritte Reich ist ein auf den Kriegszweck ausgerichtes Monster. Anspruch und Wirklichkeit von Hitlers Politik stimmen nirgends überein. Das Leitbild des nationalsozialistischen Wohnens zum Beispiel ist die aufgelockerte Stadt, das Ideal das Einfamilienhaus der gleichgeschaltenen Volksgenossen. Der deutsche Faschismus lehnt die genossenschaftlich-demokratische Selbstverständnis ebenso kategorisch ab wie das Reihenhaus als Wohnform.
Letztlich aber sind alle Postulate vollkommen egal! Die angeblich wissenschaftlich fundierte Weltanschauung der Hakenkreuzler ist reines Brimborium. Die militärische Aggression allein diktiert die Notwendigkeit. So führt die Luftschutzplanung zu einer grotesken Entzerrung der Städte. Dass sich das mit dem NS-Leitbild des Wohnens trifft, ist purer Zufall.
Die Epoche hinterlässt also keine erneuerte Stadt, ja nicht einmal einen lesbarer Plan dazu. Die Bombardements der Allierten hinterlassen rauchende Trümmerhaufen. Was vom Lebenswerk Hitlers bleibt, ist hingegen ein bestimmmter Typus des Managers, ob Betriebsführer oder Werkleiter. Das moderne Management gehört – selbst in Gestalt des SS-Offfiziers – zum harten Charakteristikum dieser Jahre.
Ja, aber hat die moderne Managergesellschaft ihren Ursprung nicht an nordamerikanischen Halbkontinent, in den USA, werden sie fragen. Das stimmt schon. In unseren Breiten aber hat der deutsche Faschismus den grössten Anteil daran. Ohne die tausenden Geschäftsführer und technischen Leiter im privatwirtschaftlichen Bereich, ohne Administratoren und Bürovorstände auf der Verwaltungsebene kein Höhenflug der deutschen Industrie – und auch keine »Endlösung der Judenfrage« in den Vergasungsöfen von Auschwitz.
Zu den Mysterien der jüngeren Wiener Geschichte gehört die Zahl 24. Seit der Weissen Ära ist ein konstanter 24-Jahre-Rhythmus in die Zeitläufte eingebaut. Zunächst haben nach einer solchen Zeitspanne die Luegerianer die Liberalen aus dem Sattel gehoben, dann die Sozialdemokraten die Christlichsozialen. Würden die NSDAP im aktuellen Jahr 1943 ihre Politik mit freien Wahlen fortsetzen – ein aberwitziger Gedanke! –, könnten sie kaum mehr mit einer Mehrheit rechnen.
Das Kriegsglück wechselt das welthistorische Lager, alle Reserven werden hervorgepresst. Der Name Ostmark verschwindet durch einen Erlass der Reichskanzlei zugunsten von »Alpen- und Donau-Reichsgaue«.
Widerstand gegen die »Ostmark-Gesetze« ist gefährlich, und keineswegs alles ist Widerstand, was sich nach 1945 mit schmerzverquältem Gesicht dafür ausgeben wird. »Wenn die Nationalsozialisten doch nur zum Christentum überträten, wäre ihnen alles verziehen und sie könnten in Wien bleiben«, fantasiert eine Figur, die der italienische Romancier Curzio Malaparte in das Jahr 1944 versetzt hat. Sie dürfte kaum erfunden sein.
Aber Hitler tritt nicht zum Christentum über. Stattdessen nennt er die Alpen- und Donaugaue immer öfter »Bollwerk des Reiches« und beschliesst sie zum Kristallisationspunkt seiner Politik zu machen. Nach einem gewonnenen »Endsieg«, der in die fernste Ferne gerückt ist, wollen seine Getreuen die 42 Meter hohen und 47 bis 57 Meter breiten Luftschutzbunker in Wien in Mahnmale für die gefallenen Soldaten umbauen, mit Granit oder Mamor ummantelt.
Am Ende des Purifizierungswahns erklärt die braune Verwaltung die Stadt Wien – nach dem Vorbild von Budapest – zur »Kampffestung«. Gauleiter Baldur Schirach verbunkert sich am Gallitzinberg.
April ’45: Der Stephansdom in Brand. Einmarsch der Roten Armee. Wien in vier Besatzungszonen geteilt und der 1. Bezirk zur interalliierte Zone erklärt. Die am Dritten Reich nicht unschuldige Bevölkerung der Ostmark wechselt in eine radikale Opferperspektive.
Die erste offizielle Schreckensbilanz des Zweiten Weltkrieges verzeichnet: 170.800 in deutscher Uniform gefallene Ostmärker; 76.200 werden vermisst, Tausende von ihnen allein im Kessel von Stalingrad. Ungefähr 35.300 Landsleute haben ihr Leben im Kampf gegen den Nationalsozialismus hingegeben.
1990 bilanziert Nadine Hauser genauer: 380.000 ostmärkische Soldaten der Wehrmacht, die nicht mehr zurückgekehrt sind; 65.459 in Ghettos und in Konzentrationslagern ermordete Juden; 24.342 Ziviltote bei Luftangriffen; 19.193 ermordete Widerstandskämpfer und 16.107 Personen, die in Gestapo-Gefängnissen umgekommen sind.
In einer dritten Schreckenbilanz hat der Weltkrieg 200.000 Wienerinnen und Wienern das Leben gekostet. In 52 Luftangriffen (ab April 1944) sind mehr als 21.000 Häuser (21%) zerstört worden, weiters 120 Brücken, 3.700 Gas- und Wasserleitungen, die grössten Verkehrs- und Industrieanlagen und viele Kulturstätten.
Nicht alle von diesen Zahlen sind gesichert; gesichert wohl ist folgende: In den sieben Jahren der nationalsozialitischen Herrschaft über Wien sind 6.000 Todesurteile an politischen Gegnern Hitlers vollzogen worden.
Das sind täglich mehr als zwei. Also mehr als ein Autor, der dies schreibt, und ein Leser, der dies liest.
© Wolfgang Koch 2008
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