vonWolfgang Koch 05.06.2008

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Ich setze meine Kleine Wiener Stadtgeschichte mit dem vierten und letzten Block fort.

Diese Serie, ich wiederhole es, versucht einer Neuperiodisierung der kurfenreichen Wiener Vergangenheit. Ich beschreibe die grossen politischen Epochen der Stadt in vier markanten Zeitabschnitten. Nämlich:

a/ das Schwarze Wien der Habsburger

b/ das Weisse Wien der klassischen Moderne, mit einer liberalen und einer christlichsozialen Phase

c/ den Aufbruch des Roten Wien bis zur doppelten Niederlage in der Austrodiktatur und gegen den braunen Faschismus

d/ und schliesslich den Weg des Grünen Wien von seinen Wurzeln im 18. Jahrhundert bis zur Realisierung nach 1945

Keine dieser Perioden lässt sich ideengeschichtlich scharf abgrenzen, jede strahlt in die anderen aus. In den folgenden Beiträgen des Blogs geht es um das Naturverhältnis, den Beginn der Sommerfrische, das Siedlerwesen zwischen den Kriegen, das Baugeschehen nach 1945, die Bedeutung von UN-City und von Hundertwasser für das Stadtleben sowie um die gnadenlose Instrumentalisierung der Historie durch ihrer touristische Ausbeutung.

ENTDECKUNG ZWEITWIENS
Die Geschichte des Grünen Wien beginnt nicht 1945, und sie endet nicht 1950/51, wie die letzten Mohikaner der klassischen Gartenstadtbewegung gerne behaupten. Noch weniger hat sie mit dem politischen Aufstieg der Ökopartei Die Grünen/ Grüne Alternative zu tun. Beides sind Teilphänomene eines breiten geschichtlichen Stromes, der in der Ära des Schwarzen Wiens in Bewegung kam und der seine grössten Erfolge vermutlich noch vor sich hat.

Der grüne Geschichtsfaden entspinnt sich aus dem Gegensatz von Stadt/Land. Ich habe nichts dagegen zu sagen, er sei so alt wie Wien selber. Das Grüne Wien ist sicher ein Produkt des widersprüchlichen Umgangs der Städter mit ihrer ländlichen Herkunft. Der daraus resultierende Konflikt hat die Entwicklung der Urbanität weit stärker geprägt als etwa das vielgerühmte musikalische Leben Wiens.

Eine vom Gegensatz Stadt/Land ausgehende Argumentation ist gewöhnlich das Ergebnis einer syndromatischen Denkweise – also jener Auffassung, die voraussetzt, dass Stadt und Land Ganzheiten sind, die man entweder bewahren oder eingehen lassen muss. Das freilich liegt mir fern.

Die Natur und das Ländliche lassen sich weder wiederentdecken noch reanimieren, sie lassen sich nur neu erfinden und neu gestalten. Raoul VANEIGEM sprach von einer »Zone der Undurchsichtigkeit«, die den Menschen von sich selbst und der Natur trennt, sie ist Teil des Menschen und Teil der Natur. »In ihrem Kampf haben sich Menschen und Natur niemals unmittelbar ins Gesicht gesehen«.

Solche euphorischen Urteile über das Verhältnis von Kultur/Natur müssen heute entpathetisiert werden. Mit Gewissheit sagen lässt sich, dass das Grüne Wien seine Wurzeln vor der Moderne hat. Sein Beginn liegt vermutlich in den Tagen, da die die dringlichsten materiellen Sorgen beigelegt waren und die Städter einen neue, zusätzliche Freiheit in der Landluft zu suchen begannen.

»In der Stadt ist den Wienern nicht wohl, sie lieben die freie Luft«, heisst es in theresianischer Zeit bei Anselm DESING. »Jedermann trachtet, draussen einen Garten und ein Haus zu haben oder zu geniessen: wo dann unter den Gemeinen das Kegel-Spiel stark getrieben wird, ja wo auch eine Bauern-Kirchweih, ein Weinlesen und dergleichen gehalten wird, lauft, reitet und führet hohes und niedriges Volk dazu, um teils selbst mitzuhalten, teils mitzusehen. Das Spazierengehen geschieht vielfältig, wozu auch treffliche Gelegenheit an allen Enden ist.«

Spazierengehen, Spazierenfahren – die WienerInnen des 18. Jahrhunderts waren von dieser neuen Lustbarkeiten geradezu besoffen. Das rauschhafte neue Lebensgefühl ist ein würdiger Anfang für eine neue Ära. Damit wollen wir beginnen.

© Wolfgang Koch 2008
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