vonlottmann 09.06.2009

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Achtung, Studenten, aufgepaßt! In einem persönlichen Brief an eine mir nahestehende Person erläuterte ich einmal ansatzweise meine Art zu Schreiben. Ich bin nun gebeten worden, Passagen aus diesem Brief öffentlich zu machen. Angeblich würde ich damit dazu beitragen, Mißverständnisse aus früheren Zeiten aufzuklären. Aber gern, bitte schön:
„…meine Texte sind eigentlich mein ganzes Leben lang eine Art bad bank gewesen. Sagen wir: bad bank plus Liebe zum Leser. Die Liebe zum Leser erkläre ich später, jetzt erstmal die bad bank:
Wie alle in Mitte wissen, bin ich (auch) ein leidenschaftlicher Schmeichler („zu Tode loben“). Ich mache gern Komplimente, baue die Leute auf, sage ihnen, was mir alles Gute an ihnen aufgefallen ist. Ich erinnere mich an auffallende Sätze, die sie gesagt haben, lobe das eine oder andere schöne Detail ihres Wesens oder Körpers, ja erkläre sie rundweg zu wahren Schönheiten oder Geistesgrößen oder gar beides. Einer meiner Lieblingssätze gegenüber Frauen war schon vor 20 Jahren: „Weißt Du, ich muß es jetzt einfach einmal loswerden: noch nie traf ich eine Frau zuvor, die gleichzeitig so wunderschön und doch so unfaßbar klug ist wie Du!“ Gerade bei körperlich benachteiligten und geistig trägen Frauen wirkte diese Äußerung besonders stark. Und mich freute es, wenn ich ihnen eine kleine Freude hatte bereiten können. Ich unterhielt also die Leute, machte ihnen Hoffnungen, sagte immer weitere nette Sachen, ließ nie ein böses Wort über meine freundlichen Lippen kommen, fühlte erkennbar nur Positives, sonnte mich in ihrem Glück, wurde selbst beliebt und so weiter…
Nur: Was machte ich mit den negativen Wahrnehmungen und Empfindungen, die ich in Gegenwart der anderen ja immer verdrängen mußte? Zum Beispiel in Gegenwart von Leuten, über die ich journalistisch schreiben mußte, etwa blöde yellow-press-Berühmtheiten, schlechte Popmusiker, talentlose Mainstream-Schriftsteller, korrupte Showstars und noch korruptere und dazu schnarchlangweilige Politiker? Auch zu ihnen war ich freundlich und zwar reinen Herzens. Das war mein Erfolgsrezept. Man sah mir an, daß ich eben keine bösen Gedanken hatte. Wie war mir das möglich? Nun, indem ich sie während der Begegnung und selbst danach nicht hatte. Weil sie verdrängt waren. Verdrängt durch eine gigantische, tief sitzende Menschenangst. Zu Helmut Kohl sagte ich einmal, mit strahlenden Augen: „Sie werden überrascht sein, Herr Bundeskanzler, aber ich halte sie für einen wahrhaft schönen Menschen!“ Ich meinte es so, in dem Moment, es war eine spontane Eingebung, ich hätte es sonst gar nicht sagen können. Und ich mußte sie auch haben, diese rettende Eingebung, sonst hätte mich dieser monströse Elefantenmensch nach der ersten Frage zerquetscht, sprich totgelabert mit lauten, dialektgefärbten, nichtssagenden, sprachlich häßlichen Politfloskeln. So aber öffnete er sich.
Und diese Öffnung erreichte mein Herz durchaus. Seitdem mag ich den Kanzler der Einheit. Ich freue mich, wenn ich ihn im Fernsehen sehe. Ich hörte mir früher sogar (das alles ist lange her) freiwillig und gern seine Reden im Bundestag an.
Nur, um zur Frage zurückzukommen: was machte ich mit den verdrängten Wahrnehmungen? Nun, sie kamen in die bad bank, das heißt, ins Tagebuch: ich schrieb darüber. Bezeichnenderweise schrieb ich all die schönen Dinge, die ich erlebt und eben nicht verdrängt hatte, nicht auf. Für sie brauchte ich die bad bank nicht, die konnte ich ja im Bewußtsein behalten.
Dieses Tagebuch, das ich bereits im Alter von fünf Jahren begann und nur einmal unterbrach, nämlich zwischen meinem zwölften und 16. Lebensjahr, wurde erst nach Jahrzehnten öffentlich. Als ich Anfang, fast Mitte 20 war, versammelten sich täglich Freunde in meiner Wohnung, und einer las dann den neuesten Tagebucheintrag vor. Seltsamerweise störte sich damals noch niemand an den Verzerrungen und gehässigen Wahrnehmungen, auch nicht die, die es betraf. Es muß an der Form gelegen haben, also daran, daß es eben nur ein Tagebuch war. Das änderte sich ein halbes Jahrzehnt später schlagartig, als mein erster Roman erschien.
Die Leute, über die ich geschrieben hatte, waren entsetzt. Obwohl die Namen geändert, wiedererkennbare Eigenschaften ausgetauscht, ganze Passagen erfunden waren, glaubten sich die Leute wiederzuerkennen. Nicht die handvoll wirkliche Freunde, die man hat, sprangen ab, aber alle anderen. Wer früher schon im Tagebuch vorgekommen war und den Mechanismus kannte, gab zähneknirschend Ruhe. Neuere Freunde, die das zum erstenmal erlebten, schlugen Alarm. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was hatte ich falsch gemacht? Tatsächlich ´wußte´ ich oft gar nicht, was ich geschrieben hatte, da nicht nur die Verdrängung unbewußt abläuft, sondern sogar während des Schreibvorgangs aufrechterhalten bleibt. Selbst Freunde, LebensgefährtInnen oder gar Ehefrauen riefen nun: „Aha, jetzt sehe ich endlich, was du WIRKLICH denkst!“ Wie unwahr. Nichts konnte falscher sein: gerade das Geschriebene dachte ich eben a priori NICHT, handelte es sich doch um das Verdrängte. Denken kann man logischerweise nur das, was im Bewusstsein schwimmt, nicht in den Tiefen des Unbewußten. Natürlich bin ich nicht dermaßen meschugge, daß ich nicht doch sehe, was ich gerade schreibe, und mich auch ungefähr an das Geschriebene später erinnere. Aber man muß sich den Vorgang eher wie ein lauwarmes Erholungsbad vorstellen, das man nach einer durchzechten Nacht nimmt und bei dem man die Augen schließt und sich erinnert. Bilder tauchen vor einem auf, man amüsiert sich über etwas im nachhinein, oder erschreckt sich, man kichert vielleicht oder atmet tief durch. Man verarbeitet. Danach steht man auf und weiß kaum noch, welchen Assoziationsstrom man gerade durchschwommen hat. So ist das, wenn ich geschrieben habe. Also ich schreibe keineswegs nur das Negative auf, aber eben AUCH.
Es kann nicht wirklich überraschen, dass ich mit dieser Gabe, alles Unangenehme einer Person in die ‚bad Bank’ auszulagern, prädestiniert für solche Personen war, die geradezu krankhaft überempfindlich auf Kritik reagieren und aufgrund dieser Allergie zu einem Leben in Einsamkeit verurteilt zu sein scheinen. Vor allem natürlich Frauen, SCHÖNE Frauen, oder sagen wir präziser: erotische Frauen, ein ganz bestimmter Typ davon: cool, superschön, kritikunfähig, uneinnehmbar. Jeder, der den geringsten Einwand formulierte, oder eine Eigenmächtigkeit beging, die sofort als Kritik missverstanden wurde, wurde abgewiesen… aber das ist ein Thema für sich. Fürwahr ein weites Feld. Jedenfalls gab es immer Ärger, mit diesen Frauen natürlich am meisten, aber auch mit allen anderen Menschen, über die ich schrieb. Wenn sie sich zu erkennen meinten, manchmal übrigens auch durchaus zu unrecht. Ich muß nicht ein weiteres Mal betonen, daß ich die Beschriebenen wirklich mochte, vor allem die Frauen ‚aufrichtig‘ liebte, ohne alle Hintergedanken (die lagerten ja in der bad bank), wenn auch vielleicht nicht so sehr wie meine Leser. Ich war geradezu hingerissen von den schönen Frauen, deren Herz ich gewann, viele waren es nicht, untreu war ich auch nicht, aber eines war mir doch wichtiger.
Hier kommen wir zum zweiten Punkt meiner kleinen lottmann´schen Poetologie, nämlich der Liebe zum Leser. Wichtiger als jeder therapeutische Effekt für mich durch die bad bank war mir, daß die Intelligenz des Lesers nicht beleidigt wird, nicht belästigt wird, nicht gelangweilt wird. Der Text muß gut sein, und das heißt einzig: er muß unterhaltsam sein. Das ist tausendmal wichtiger als faktische Wahrheit, oder etwa die Ego-Befindlichkeit irgendwelcher mdiokrer Zeitgenossen. Wahre Künstler werden sich sowieso nie persönlich angegriffen fühlen, und die anderen haben gefälligst als Kollateralschäden zu gelten, zumal ich ja selbst immer das meiste an Schaden abbekomme. Allein der Haß und die Schmähungen, die in Kritiken auf mich niederregnen, sind hundertmal mehr als alles, was ich an Negativem über andere geschrieben habe. Und ich bin immer auf der Seite Thomas Manns, der zeitlebens seine Heimatstadt Lübeck nicht mehr betreten durfte, nach den ´Buddenbrocks´, und nie auf der Seite der empörter Spießer Lübecks, die sich angegriffen fühlten. Nur: rein menschlich ist das trotzdem nicht durchzustehen. Ich finde es richtiggehend doof, als Märtyrer zu sterben. Das war schon immer meine Meinung. Ich wollte immer ein langes Leben haben. Wobei ich mir gerade die Jahrzehnte im Alter als den Höhepunkt vorstellte, eben weil bis dahin so klug geworden…“
Soweit das, liebe Studenten! Wer sich jetzt Sorgen um mich macht, dem sei versichert, daß 90 Prozent aller Texte, die ich je geschrieben habe, nie jemand gelesen hat, auch ich nicht, denn ich lese meine eigenen Sachen nicht. Ich schreibe sie nur. Für die Frau, mit der ich lebe, in gewisser Weise.

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