vonlottmann 16.05.2009

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Kürzlich bekam ich Ärger mit der taz Chefredaktion, weil sich eine Bürgerin, die ich in meinem harmlosen Blog einmal kurz erwähnt hatte, über mich beschwert hatte. Was war geschehen? Warum wählte sie diesen unrühmlichen Weg der Denunziation bei meinen Vorgesetzten, auch schlicht ´Petzen´ genannt, anstatt ihre Meinung direkt im gleichen Blog kund zu tun? War mein Bericht über sie vielleicht gar nicht harmlos, meine Meinung ehrabchneidend und falsch? Was hatte ich behauptet? Was war meine inhaltliche Position dabei, welche Politik vertrat ich, und welche Weltanschauung stellte die Bürgerin jetzt dagegen?
Der ganze Fall ist höchst interessant, und zwar, weil er geeignet ist, zwei völlig unterschiedliche Geisteshaltungen zu skizzieren: die der Leute über 35, und die der Generation, die ausschließlich durch das Internet sozialisiert wurde. Die Frau, über die ich berichtet hatte, war ein 24 Jahre altes hübsches Mädchen, gebildet, schlank, höflich, freundlich, ja sogar überdurchschnittlich freundlich. Von ihr konnte man nicht erwarten, daß sie etwas Falsches oder Ungerechtes tat.
Was hatte ich geschrieben? Nun, wirklich nur das: daß sie überaus gebildet und klug sei, manchmal ein bißchen zusätzliches Geld damit verdiene, weniger hellen Köpfen die Diplomarbeit zu schreiben, und daß sie bereits diverse Förder- und Hochbegabten-Stipendien gewonnen habe. Daß sie eine echte Schönheit war, mußte ich nicht mehr mitteilen, da ich ein Foto von ihr in den Text einfügte, das sehr gelungen war: hübsch, strahlend, geschmackvoll gekleidet, trotzdem züchtig und alles andere als frivol. Ein Girl, daß jeder Mittelstandsmann zwischen San Francisco und Helsinki sofort und ungeprüft heiraten würde (was ich NICHT schrieb). Der Vorwurf war nun, daß ich ihren Namen veröffentlicht hatte und das Foto gleich dazu.
Wie bitte? Die bloße Nennung des guten Namens eines Mitbürgers war bereits etwas Schlechtes? Nicht etwa, WAS man über ihn schrieb, sondern lediglich DASS man etwas über ihn schrieb, war bereits a priori böse? Exakt das. Nicht die Meinung stand zur Diskussion, sondern das Hinaustreten in den öffentlichen Raum. Ich mußte mich durch meinen Neffen aufklären lassen, der im selben Alter ist wie die vermeintlich Geschädigte:
„Jolo, du hast ja nicht nur ihren NAMEN in die Öffentlichkeit getragen, sondern auch noch ihr FOTO!! Jetzt kann jeder Perverse in der ganzen Welt sie googeln und ALLES über sie erfahren! Milliarden Wichser, schmierige Typen, fundamentalistische Frauenhasser können ihr jetzt nachstellen und ihr auf ihren facebook- und MySpace- und Studi-ZV-und so weiter Seiten sexistische Mails schreiben!! Du hast die Frau praktisch ruiniert!“
Schluck. Das arme Mädchen. Konnte das eben Gehörte wirklich stimmen? War es nicht eher eine völlig durchgeknallte paranoide Weltsicht eines Verschwörungstheoretikers mit Verfolgungswahn im ameisengroßen Gehirn? Nein, nein, so klang es zwar, aber mein Neffe war ein kluges Kind. Fast so klug wie die Frau, deren Biographie ich wohl gerade zerstört hatte. Ich rief sie an und entschuldigte mich. Ich sagte ihr, in meiner Generation sei alles noch ganz anders gewesen. Freie Bürger hätten keine Angst gehabt, ihre Meinung auch öffentlich zu sagen und nicht nur verdruckst und aufschneiderisch-pseudomutig in der eigenen Küche. Das Wegducken und den-Mund-halten sei das untrügliche Zeichen einer jeden Diktatur. Darüber müßten wir einmal länger sprechen, ja diskutieren, wenn sie wolle.
Sie willigte ein. Ja, darüber könne man einmal ein längeres Gespräch führen.
Ich war froh. War ich nicht gut gewesen? Vorbildlich? Hatte ich etwa das junge Ding angeschnauzt, wie es eigentlich dazu käme, mich bei der Chefredaktion anzuschwärzen und mir meinen Job zu gefährden? Nein, ich war ruhig geblieben, hatte mich sogar dafür entschuldigt, etwas Nettes über sie geschrieben zu haben! Nun war alles wieder gut, dachte ich.
War es aber nicht. In ihrem Bekanntenkreis machte es bald die Runde, was ich gegen sie verbrochen hatte. Bald wußte es ganz Mitte. Immer wieder wurde ich darauf angesprochen, auch von den besten Freunden:
„Sag mal, Joachim, wie konntest du nur so etwas tun? Das Mädchen ist erst 24! Die hätte ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt!“
Ich dementierte, rückte gerade, argumentierte, steigerte mich in ein demokratiefreundliches Pathos hinein. Schon meine Eltern seien furchtlose Journalisten gewesen (was sogar stimmte), und jeder sollte mutig zu seinem Namen stehen, zu seinem Gesicht stehen, ja sogar zu seiner MEINUNG stehen! Denn alles drei gehöre zusammen in einem freiheitlichen Gemeinwesen!
„Ja, schon. Vielleicht. Also wenn man es in den eigenen vier Wänden macht, okay. Vielleicht okay. Ich weiß es nicht. Das muß jeder selbst entscheiden. Aber doch nicht IM INTERNET!“
Die Leute hatten am Ende immer das letzte Wort. Egal, welche Register ich zog. Einmal entblödete ich mich sogar, Kurt Tucholsky ins Feld zu führen. Das sei früher einmal ein Schriftsteller gewesen, in Deutschland, noch vor Hitler, und der habe unerschrocken, ja lauthals gefordert, ein Kerl müsse eine Meinung haben. Die Leute reagierten fast verärgert:
„Wie peinlich ist DAS denn?“
„Äh, wie bitte? Wer hat das gesagt?“
„Kurt, who?… Kurt… Kempiski? Das Hotel?“
„Eine Meinung? Warum jetzt das?“
„KERL? Die Frau ist doch ein Mädchen!“
„Versteh´ ich jetzt nicht? Was soll das mit der ‚Meinung‘? Es geht darum, daß du die arme Bini ans Messer geliefert hast, und um keine verfickte ‚Meinung‘!“
„Genau! Hier geht es um das Recht auf das eigene Bild! What the fuck soll das mit einer ‚Meinung‘ zu tun haben?“
Eben. Das meinte ich ja. Kein Kerl, keine Meinung, kein nichts – und trotzdem Ärger! Ich sprach noch einmal bei der jungen Frau vor, die inzwischen alle Passswörter, Identitäten, Avatare und bürgerliche Namen geändert hatte. Tränenaufgelöst sagte sie, daß ie nicht mehr mit mir ´das längere Gespräch´ führen wolle. Sie wolle nie wieder etwas mit mir zu tun haben. Sie lehnte jede weitere Entschuldigung und jede Wiedergutmachung, auch eine materielle, ab. Tag und Nacht wurde sie von röchelnden, schwitzenden, masturbierenden Internetfreaks aus allen fünf Kontinenten belästigt, auf allen Kanälen, auf AOL, Skype, Nokia, Xing, Firefox, Daihatsu, Telekom, Stayfriends und natürlich immer wieder dem unverwüstlichen Facebook. Etwa 120 Millionen User moderner friedship-networks waren hinter ihr her, am schlimmsten und hartnäckigsten die aus Pakistan.
Ich war erschüttert, und ich sagte das auch jedem. Umsonst. Ich wurde nun überall ausgeladen, jedenfalls hier in Berlin, wo ich inzwischen fast so bekannt bin wie das genannte Mädchen im Internet. Allmählich begreife ich die Zusammenhänge. Ich ahne, was ich angerichtet habe. Es geht nicht mehr um Meinung in der heutigen Welt. Die unter 35jährigen wissen gar nicht, was das ist, und die über 35jährigen haben es auch vergessen. Nur eines ist mir noch nicht klar:
Warum belästigt MICH keiner, nicht einmal einer aus Pakistan?

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https://blogs.taz.de/kleiner_exkurs_ueber_die_idee_der_meinung_in_der_internetgeneration/

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