von 20.04.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Den Klimawandel haben NaturwissenschaftlerInnen in den vergangenen Jahren ausführlich nachgewiesen und erforscht. Doch wer sich auch nur mit einem der Bücher dieser Wissenschaftler beschäftigt hat, wird feststellen: Handlungsanweisungen werden allenfalls im Schlussteil geliefert. Und sie reduzieren sich auf recht hilflos wirkende Appelle wie jene, die Glühbirne gegen eine Energiesparlame auszutauschen. Oder weniger Auto zu fahren.

Der Sozialpsychologe und Kulturwissenschaftler Harald Welzer vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen will diese Hilflosigkeit gar nicht den Naturwissenschaftlern ankreiden. Im Gegenteil: Es sei das Versäumnis der Soziologen, dass sie sich mit den gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels bisher unzureichend beschäftigt hätten. „Dabei ist der Klimawandel vor allem ein soziales Problem“, sagte Welzer am Sonntag bei seinem Vortrag auf dem taz-Kongress.

Welzers Kernthese: Der Klimawandel bringt gravierende gesellschaftliche Veränderungen mit sich. „Wenn es Umweltveränderungen gibt, reagieren Menschen möglicherweise auch mit Gewalt“, so der Sozial- und Kulturwissenschaftler. Längst habe der Klimawandel bereits sogenannte Klimakriege geschaffen – die so bloß nur noch nicht benannt wurden.

Als aktuelles Beispiel für unmittelbare Gewalt aufgrund von Klimaveränderung nennt er den Krieg in Darfur. Dort findet seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg mit vielen zehntausenden von Toten statt. Was jedoch irgendwie als ethnischer Konflikt zwischen afrikanischen Kleinbauern und arabischstämmigen Reiterkriegern abgetan wird, stellt sich laut Welzer bei genauer Betrachtung als Klimakrieg dar.

Die Wüstenbildung in dieser Region sei enorm vorangeschritten, zugleich würden drei Viertel der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben. Es seien Kleinbauern und nomadische Viehzüchter, die alle nicht mehr genug Land haben. Anders als bei herkömmlichen Kriege würde es den kriegerischen Parteien gar nicht um eine Beilegung der Gewalttaten gehen, so Welzer. Das Motto beider Seiten: „Die anderen sollen weg.“ Zugleich würde aber niemand auf die Idee kommen, diesen Konflikt als Klimakrieg zu identifizieren.

Welzer benennt in seinem Vortrag noch zwei weitere Quellen von Gewalt, die bedingt sind vom Klimawandel. Migration und der Kampf um neuer Ressourcen. So würden ganze Bevölkerungssituationen aus Zwangssituationen heraus beginnen zu wandern. Und wo es bereits andere Leute gebe, so Welzer, könne Migration Gewalt verursachen. Dies werde auch zunehmend eine Bedrohung für Europa.

Zugleich könnten aber auch die reichen Industrieländer zunehmend Ausgangspunkt neuer Gewaltformen werden. Denn mit dem schmelzendem Eis in der Arktis könnten neue Rohstoffe zugänglich werden. Der Konkurrenzkampf um diese letzten Schätze habe längst begonnen.

Welzer warnt, dass sich die Menschen in den reichen Industrieländern „nicht länger die luxuriöse Haltung leisten können, diese Probleme nicht als ihre anzuerkennen. Diese Haltung würde bloß die Überlegungen für mögliche Maßnahmen verhindern. „Wir leben längst in einer illusionären Welt“, so der Wissenschaftler. Nur weil der Alltag noch funktioniere, und es in diesem Land noch genug zu Essen, gebe, heißt das nicht, dass die Probleme die reichen Länder noch nicht erreicht hat, beschwört Welzer. Die Finanzkrise habe den Vorhang ein wenig eröffnet“, dass die Menschen in den Industriestaaten über ihre Verhältnisse leben.

Die Klima- und die ktuelle Finanzkrise hätten ohnehin einen gemeinsamen Nenner. In beiden Krisen würden Kredite aufgenommen. Bei der Finanzkrise sei es materieller Art, bei der Klimakrise die Verschwendung der Umweltressourcen. Welzer: „Wie bei Krediten üblich, müssen in beiden Fällen kommende Generationen dafür bezahlen.“

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/klimakriege-sind-laengst-im-gange-2/

aktuell auf taz.de

kommentare