vonHeiko Werning 23.06.2010

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Gestern Abend war ich seit ca. 15 Jahren zum ersten Mal wieder im Theater. Also: im „richtigen“ (sprich: hoch subventionierten)  Theater, als Zuschauer, und habe ein Stück angeschaut. Sogar eine Premiere, nämlich Johnny Chicago, geschrieben vom Reformbühnen-Kollegen und Reptilienfonds-Mitautor Jakob Hein, gespielt von ihm, Kurt Krömer und Inka Löwendorf, Regie führte Jochen Freydank.

Zunächst war ich etwas irritiert, weil ich Jakob mehrere Minuten gar nicht erkannt habe. Anfangs dachte ich tatsächlich, dass er wohl doch auch stark in die Regie eingegriffen haben muss, weil der Schauspieler (da ich mir vorher nichts durchgelesen oder angeguckt hatte, wusste ich nichts über Inhalt und Mitwirkende) irgendwie so ähnlich spricht wie Jakob. Aber dann wurde es mir doch schließlich klar. Als ich meine Freundin darauf aufmerksam machte, wollte sie es erst gar nicht glauben. Schon verblüffend, was eine Perücke, die fehlende Brille und vermutlich ein Hektoliter Schminke ausmachen können – immerhin stehe ich mit Jakob seit fast sieben Jahren wöchentlich auf der Bühne, und dann das! Vielleicht bin ich auch nur ein schlechter Beobachter.

Johnny Chicago ist ein 8000 bis 10000 Jahre alter Mensch, der aus irgendeinem Grund offenbar unsterblich ist, und der nun, nachdem er als Sensation durch alle Medien genudelt wurde, am Ende der Verwertungskette in der Show „Ihre Stars von gestern“ angelangt ist und verzweifelt versucht, seine Schlager-CD „Ein kleines Stück von der Ewigkeit“ oder so ähnlich zu vermarkten, aber natürlich auch hier nur durch die Maschine gedreht und am Ende in die Ecke gespuckt wird. In Form von „Einspielfilmchen“ werden Szenen aus dem Leben von Chicago gezeigt, wie er Jesus traf und Hitler, oder wie er sich als Hofnarr verdingte. Als Rahmenhandlung dient eben jene Talkshow, die „auf Sendung“ ebenso wie „im off“ gezeigt wird.

Das Stück zeigt erheblichen Mut zur Klamotte und zum Klamauk, vor allem in den „Einspielfilmen“. Da werden Feingeister etwas schlucken, ebenso, wenn Krömer als Neanderthaler mit der Keule kommuniziert. Auch die Talkshow  ist bis an die Schmerzgrenze übergeigt und klischeehaft. Dass das Stück dennoch alles andere als eindimensional ist, wie der Kurzkritiker von der dpa schrieb, ist vor allem den hübsch eingeflochtenen Meta-Ebenen zu verdanken, in denen Hein, Krömer und Löwendorf plötzlich sich selbst spielen und über das Stück streiten – und dabei praktisch jede erwartbare feuilletonübliche Bedenkenträgerei fröhlich antizipieren. Was natürlich nicht nur potenzielle Kritiker etwas in die Enge treiben dürfte (einfachste Lösung: rezitieren und ein fantasieloses „da sagen sie wenigstens mal was Wahres“, „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“ o. Ä. hinterherschieben, mal gucken, wer sich als Erster entblödet, derartigen Sülz zu schreiben, ich bitte um Mitteilung), sondern auch den Etepetete-Teil des Premierenpublikums herausforderte, der mit der Klamotte wenig anzufangen wusste – und prompt ging er in die Falle. Der Gesinnungsszenenapplaus für Löwendorf bei der Abrechnung mit Hein und Krömer als unfähige Theaterdilettanten wird so, da ja Teil der Inszenierung und geschriebener Text, zu einem gelungenen ambivalenten Spiel mit den Rezipienten.

Unterm Strich also: ein kluges und unterhaltsames Stück zwischen Brachialhumor, Satire und einem Hauch Melancholie.

Der Volksbühne gebührt ein Extra-Lob, nicht nur dafür, dass sie Hein und Krömer machen ließ, sondern auch für besonders sparsamen und verantwortungsbewussten Umgang mit Haushaltsmitteln. So ließ sie sich ein ganzes Programmheft von Autoren zusammenschreiben, die sie mit einer Freikarte überreich entlohnte. Der Begleitung der Autoren wurden sogar ermäßigte Karten offeriert, da freut sich jeder Schriftsteller, dass er es mal richtig krachen lassen und seine Geliebte so günstig ausführen kann. Die zwei Euro für das Programmheft selbst habe ich dann natürlich gerne bezahlt, um zu schauen, ob mein Text auch richtig gesetzt wurde.

Foto: Hein, Löwendorf, Krömer (dpa)

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