vonlottmann 05.08.2010

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Joachim Lottmann ist einer der wenigen lebenden deutschen
Schriftsteller, außer Agotha Kristof, die ist Ungarin, und Elfriede Jelinek, die hat schon, den ich lesen kann, ohne dabei vor Arger in meine Handknochen zubeißen, oder umgehend einzuschlafen, weshalb ich der Meinung bin, dass er mehr als würdig ist, den Koeppen Preis zu
erhalten, und zwar heute.
Ein kurzes Beispiel, anhand dessen sie verstehen werde was ich meine,
aus seinem letzten Buch: der Geldkomplex:
„Ich war wie gelähmt. Am Nebentisch saß ein deutsches Touristenpaar, beide Mitte 60 und weißhaarig. Der Mann, quallig, dickbäuchig, Kurt-Beck-Bart, Dreiviertelhosen, Turnschuhe, 4000-Euro-Digital-Spiegelreflexkamera, griente seine Ehefrau die ganze Zeit verliebt an.
Offenbar hatten die beiden Junggebliebenen Eheleute gerade eine
Liebesnacht hinter sich. Auch die Frau griente immer verliebt zu ihm.
Sie hatte kurze weiße Haare und sah ansonsten einfach nur indiskutabel aus. Fett, aus dem Leim geraten, Krampfadern, ein Tatto am speckigen Hals. Der Mann knipste manchmal sinnlos mit seiner Kamera herum, auf die Häuser des Marktplatzes. Beide waren höchstwahrscheinlich Gesamtschullehrer aus Nordrhein-Westphalen und seit zwölf oder 15 Jahren frühpensioniert. Ihr verfügbares Einkommen lag bei 100.000 Euro im Jahr. Das war ungefähr das Zwanzigfache dessen, was hart arbeitende Kreative mit kleinen Kindern in Berlin Mitte zur Verfügung hatten. Oder ich.
Dieses verliebte Touristenpaar löste in mir eine Wut und Depression von solcher Heftigkeit aus, das ich mir meine Wallungen nicht mehr erklären konnte. Vielleicht nur deswegen, weil die Oldies nicht weggingen. Weil sie nicht aufhörten mit dem Grienen und Knipsen und sich Wohlfühlen.
Ich saß volle zwei Stunden in dem Café, bis zum dritten Bus, und ich
hasste die beiden weißgewandeten Alten immer mehr. Es war kein Hass, den man genießt, kein kämpferischer Hass, sondern ein ohnmächtiger, besinnungsloser. Ich hätte vor Hass losheulen können. Diese beiden Abscheulichkeitshaufen hatten KEIN RECHT zu existieren! Tausenden von Kindern hatten sie die Zeit gestohlen, ihnen Multi-Kuli-Unsinn über die Welt erzählt, und sich dann aus dem Staub gemacht, als im Klassenzimmer Mord und Totschlag ausbrach. Nun saßen sie da, die Alt-68er, und grienten selbstzufrieden, als hätten sie alles richtig gemacht. Ich hatte schon das Besteckmesser in der Hand, als der dritte Bus kam und mich mitnahm.“
Würde Herr Lottmann in Amerika leben, wäre er bei uns von Harry
Rowohlt übersetzt, der seine Texte zwar verachten würde, weil sie ihm
nicht heterosexuell männlich versoffen genug wären, aber da jedes Buch unfassbare 1 Mio. Auflage hätte, würde er sich dreinschicken.
Vermutlich verfügte Lottmann in Amerika , England und Australien
über Denkmäler und Häuser, das vermutet man ja gerne mal, wenn man einen Künstler liebt und schätzt der von der Welt scheinbar nicht
ausreichend geliebt und geschätzt wird, in seinem Fall könnte aber
tatsächlich etwas dran sein, denn da ist diese furchtbare zitternde Angst der Deutschen vor verständlicher Literatur, vor Humor in der Literatur,
vor Ironie in der Literatur, die die Karriere Lottmans ein wenig
verlangsamen. Lebten Borchert, Tucholsky und Kästner heute noch
wären sie Popautoren, ein ganzes Land aus Abscheu vor der eignen
Trivialunterhaltung die aus Heino und Hannelore besteht hat sich
darauf geeinigt, das lebenswerte Literatur in der Uckermark spielen
muss. Oder in einem Lager, oder irgendwo hinter der Grenze in einer
Familie wo Großvater bei der Waffen SS war. Wir brauchen Leiden,
Eichen, Torf, Besinnung, wir brauchen Qual, dann schauen wir auf die
Kunst und denken, das quält aber schön, dass wird wohl eine Kunst sein.
Joachim Lottman quält nicht. Er beobachtet, er unterhält, er wertet er
leidet. Und das alles in so formvollendet, schwungvoll , dass aus ihm hier
einfach nichts werden darf. Seid ich sein erstes Buch, also das erste
erschienene Buch: Mai, Juni Juli in den 80er Jahren las, dachte ich:
verschwinde von hier, so schnell du kannst. Du bist talentiert, du hast
Humor, du hast hier nichts zu suchen, geh nach Österreich, da sind sie
lustig. Herr Lottmann, der meinen stummen Schrei nicht zu hören
schien, blieb, und hungerte sich zwanzig Jahre bis heute weiter durch
sein Leben. Ab und an erbarmt sich ein Journalist seiner. Journalisten
finden Herrn Lottmann irgendwie: komisch, seltsam, nicht fassbar, und
schreiben mit hochgezogenen Augenbrauen Sätze wie: Der Borderline
Journalist. Borderline wird im Zusammenhang mit Joachim Lottman so
oft verwendet, das er es vielleicht selber erfunden haben mag und es
meint: Hier verwenden wir den Begriff einer Krankheit die es nicht gibt,
für einen Autor den es so auch nicht geben kann. Der redet seltsam, der
ist so euphorisch und dann wieder traurig, der sieht merkwürdig aus,
wir wissen verdammt nicht, wie wir Lottman bewerten sollen, also
machen wir ihn handlich klein und legen ihn in das Fach der drolligen
Vögel ab, in dem er uns nicht bedrohen kann, mit seiner Gabe.
Nun stellt sich die Frage, will man von denen, die man nicht schätzt,
akzeptiert werden? Will man Preise, Arbeitsstipendien,
Bahnwärterhäuschen und die Liebe der Kritiker, will man sich
herumreichen lassen und neben belegten Broten auf Dorffesten den
Schriftsteller geben?
Die Antwort ist: ja, das wollen wir alle, obwohl wir wissen , dass es uns
nicht vor dem Tod retten wird, wollen wir ja vorrangig geliebt werden,
außer wir schlitzten uns selber auf und werden trotzig darob, und halten
uns im Größenwahn für unverstanden.
Wir wollen liebevolle Worte und Preise und Geld dafür, dass wir nicht
Harry Potter schreiben können, dass wir glauben, wir könnten die Welt
verändern oder uns retten, wir wollen nicht von irgendwem der noch
nicht mal Arzt ist in U oder E Ordner abgelegt werden, weil solche
Ordner Schwachsinn sind. Wir wollen gestreichelt werden dafür, dass es
uns gibt, und wir Dinge tun, um die uns keiner gebeten hat, und die
nicht in Aktien bewertet werden können.
Eine der großartigsten Erfindungen, ist darum der Koeppen Preis. Wer,
wenn nicht Schriftsteller sollen sich einander Preise geben. Wer, wenn
nicht sie, soll die Arbeit eines anderen würdigen und lieben. Ich danke
ihnen an dieser Stelle für diesen wunderbaren Preis und die
hervorragenden Verleihungsrichtlinien.
Ich wische mir kurz den Schaum der Erregung vom Mund, und will das
tun, wozu ich angetreten bin: Joachim Lottmann ein Zeugnis meiner
tiefen Verehrung ausstellen. Mir und vielen anderen hat er den Glauben
an die deutschsprachige Literatur wieder gegeben. Es existieren Bücher
in diesem Land, die einen glücklich machen können, wenn man nicht
nach Schmerz und Leid sucht, es gibt Autoren die einem in ihrer
unbeirrbaren Inkonsequenz Vorbild sein können, und dieser Preis soll
der Beginn eines Preissegens für Joachim Lottmann sein, dem die
Errichtung von Plätzen und Einkaufszentren die seinen Namen tragen
sollen, folgen, Gesellschaftsspiele sollen nach ihm benannt sein, und er
soll ein ausuferndes Leben auf einem Gestüt führen. Lieber Herr
Lottmann, liebe großartigen Kulturschaffenden und Bürgermeister in
Greifswald, lieber abwesender Herr Köppen, vielen Dank, dass es sie alle gibt!

Lottmann_Borderlinebuch

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