Gut vier Monate vor dem Wahltermin 28. November sortieren sich in Kinshasa die politischen Allianzen, und es sind wohl einige Überraschungen und bewegte Zeiten zu erwarten. Hier in Stichworten die wichtigsten Entwicklungen:
– Das Kabila-Bündnis “Majorité Présidentielle” (MP), Nachfolger der “Alliance de la Majorité Présidentielle” (AMP) von den letzten Wahlen 2006, hat sich am Dienstag 19. Juli neu konstituiert. Generalsekretär ist Aubin Minako, bisher Fraktionsführer des Kontingents von Kabilas Partei PPRD aus der Provinz Bandundu. Weiter in der Führung sind zwei kleinere im Ostkongo verankerte Parteien: die aus dem Kabila-treuen Teil der ostkongolesischen Zivilgesellschaft hervorgegangene MSR (Mouvement Social pour le Rénouveau) und die eigentlich schon tote, einst vom Mai-Mai-Milizenfinanzier Pay Pay gegründete COFEDEC (Convention des Fédéralistes pour la Démocratie Chrétienne). Was bedeutet dies? Kabila will offenbar verhindern, daß Ostkongo ihm völlig zugunsten des abtrünnigen Vital Kamerhe entgleitet. Und im Westen verläßt er sich nur noch auf sich selbst: die Provinz Bandundu ist eigentlich Hochburg der mit ihm verbündeten lumumbistischen Partei PALU (Parti Lumumbiste Unifié), die in seiner Regierung seit 2007 den Premierminister stellt.
– Die beiden einst wichtigsten Partner der AMP, nämlich eben die PALU sowie die UDEMO (Union des Démocrates Mobutistes), verschwinden in der Wildnis. 2006 verdankte Kabila seinen Wahlsieg dem Kunststück, Lumumbisten und Mobutisten um sich geschart zu haben; er konnte damit als Vertreter der nationalen Einheit dastehen. Heute stellt sich die Lage anders dar. Die PALU, deren historischer Führer Antoine Gizenga (Premierminister 2007-08) sich aus Altersgründen aus der Politik zurückgezogen hat, ist faktisch kaltgestellt und überlegt an diesem Wochenende, ob sie zu den Wahlen überhaupt antritt oder nicht; viele ihrer Anhänger dürften in Versuchung sein, zur UDPS (Union pour la Démocratie et le Progrès Social) von Etienne Tshisekedi überzuwechseln, mit der sie unter der Mobutu-Diktatur gemeinsam kämpften. Ob die UDEMO überhaupt noch existiert, läßt sich derzeit schwer sagen. Ihr Chef Mobutu Nzanga, Sohn des einstigen Diktators und 2007 zunächst Vizepremierminister unter Kabila, ist nicht mehr im Kabinett, und auch ansonsten ist von der Partei wenig zu hören. Ein breites Bündnis wie 2006 hat Kabila also nicht mehr. Aber vielleicht ist ihm das egal.
– Etienne Tshisekedi, der bereits erwähnte historische Oppositionsführer der UDPS, der 2006 die Wahlen boykottierte und sie 2011 als Führer der ältesten kongolesischen Demokratiebewegung gewinnen möchte, will am Montag 25. Juli nach mehreren Monaten im Ausland triumphal in den Kongo zurückkehren. Wahrscheinlich wird er in Lubumbashi landen, Hauptstadt der südlichen Bergbauprovinz Katanga, eigentlich Kabilas sicherste Hochburg. In Katanga grassieren Spannungen zwischen “einheimischen” Katangern und “Zugewanderten” aus der Nachbarprovinz Kasai, aus der Tshisekedi und seine Wählerschaft kommt. Es dürfte spannend werden.
– Katangas starker Mann, der schwerreiche Provinzgouverneur Moise Katumbi, soll sich mitsamt Familie nach Europa abgesetzt haben, berichten manche kongolesischen Medien an diesem Wochenende. Einst bedingungsloser Parteigänger Kabilas, wurde ihm in den letzten Jahren mehrfach nachgesagt, er sei mit dem Präsidenten unzufrieden und überlege sich, eigene Wege zu gehen. Um diesen Eindruck zu vermeiden, taucht er politisch immer mehr ab. Aber Katanga verehrt ihn nach wie vor viel mehr als Kabila. Sein Verschwinden könnte politische Konsequenzen haben.
– Die MLC (Mouvement pour la Libération du Congo) von Jean-Pierre Bemba, der 2006 gegen Kabila auf 42% kam und derzeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor Gericht steht, hat sich gespalten. Bemba kündigte am Freitag 22. Juni in einer Videobotschaft an den MLC-Parteitag an, er wolle zur Präsidentschaftswahl kandidieren – was er gar nicht kann, da er in Den Haag in einer Zelle sitzt und das Wahlgesetz vorschreibt, Kandidaten müßten über das volle aktive und passive Wahlrecht verfügen. Er fürchte nur die Gerechtigkeit Gottes, nicht die der Menschen, sagte Bemba dazu – wohl wissend, daß er von Menschen gewählt werden muß, um Präsident zu werden, nicht von Gott (“Mit Gott werde wir siegen” lautete sein Wahlspruch 2006). Bembas ehemalige Nummer Zwei, Francois Muamba, hat am 20. Juli eine eigene Partei ADR gegründet (Alliance pour la Démocratie et la République).
– Der höchstrangige Oppositionspolitiker im Kongo, Senatspräsident Kengo wa Dondo, wirft ebenfalls seinen Hut in den Ring. Am Sonntag 24. Juli will er auf einer Großkundgebung in Kinshasa die neueste Version seiner Zentrumspartei vorstellen, diesmal unter dem Namen UFC (Union des Forces du Changement), die sich nach eigenen Angaben als “glaubwürdige politische Alternative” präsentieren will. Kengo, ehemals Premierminister unter Diktator Mobutu in der Schlussphase seiner Diktatur und in dieser Funktion Gegenspieler Tshisekedis Mitte der 1990er Jahre, war später während des Krieges einer der vielen Unterstützer der ostkongolesischen Rebellen aus dem früheren Mobutu-Lager. 2007 wurde er im Rahmen der Bemba-Allianz Senatspräsident und damit auf dem Papier der zweithöchste Mann im Staat. Jetzt sieht er offenbar die Möglichkeit, die vielen brachliegenden alten Mobutu-Connections um sich zu scharen, die sich weder in Kabila noch Tshisekedi noch Bemba wiedererkennen. Immerhin könnte dieser Flügel der kongolesischen Politik sich teuer verkaufen; an wen, dürfte konjunkturabhängig sein.
– Weiter steht in den nächsten Tagen der Parteitag der UNC (Union de la Nation Congolaise) des ehemaligen Parlamentspräsidenten Vital Kamerhe an, der mit Kabila 2009 brach und heute als aussichtsreichster Oppositionskandidat neben Tshisekedi auftritt. Kamerhe will Kabilas Hegemonie im Osten brechen und damit die Wahlen gewinnen, er macht bereits kräftig Wahlkampf, aber das Tshisekedi-Lager traut ihm nicht über den Weg. Kamerhe wirbt jetzt um die Unterstützung der MLC und des wichtigsten Tshisekedi-Rivalen aus Kasai, Oscar Kashala, der 2006 dort viele Stimmen holte und dann zurück ins US-Exil ging.
Was aus all dem folgt, wird sich möglicherweise schon in den nächsten Tagen zeigen. Zwei Dinge sind bereits klar:
– anders als 2006 sind diesmal die wichtigsten Akteure der kongolesischen Politik nicht mehr Militärs und Warlords, sondern Zivilisten. Es ist eine andere, normalere Dynamik des pluralistischen Wettkampfes entstanden, in der die führenden Figuren nicht mehr wie früher noch militärische Schlagkraft in die Waagschale zu werfen haben. Das ist immerhin ein Zeichen des Fortschritts.
– anders als 2006 könnte die Wahl 2011 tatsächlich zu einem Ausdruck von Meinungsvielfalt werden, ein spät nachgeholter Ersatz für die Wahlen, die Kongo in den 1990er Jahren (damals noch Zaire) zur Beendigung der Mobutu-Diktatur wollte. Diese Wahlen wurden damals erst durch Mobutu verhindert und dann durch den Krieg zu seinem Sturz überflüssig gemacht. Jetzt, im Frieden, gibt es einen neuen Anlauf, per Wahl zu der Art Demokratie zu finden, auf die Zaire Mitte der 1990er Jahre vergeblich wartete. Doch eine ganze Generation ist seitdem im Krieg versunken und von Gewalt geprägt worden: Kongos verlorene Generation. Es ist nicht sicher, daß diese Generation sich in den Figuren von damals wiedererkennt, die jetzt wieder in den Vordergrund rücken.