vonDetlef Guertler 30.01.2009

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Von Wortistik-Leser und -Schreiber A.S. Reyntjes ein paar Zeilen zur Schuldenbremse erhalten (s.u.), die ich eigentlich gar nicht hier aufnehmen wollte, weil erstens kein Neuwort, und zweitens so gar nicht in die Zeit passend, da die Staatsschulden ja derzeit das einzige sind, was ungebremst zunimmt, um dadurch wenigstens den Fall in die Weltwirtschaftskrise ein wenig abzubremsen.

Aber da fiel mir auf: Bei letzterem, also Abschwung, Krise, Rezession, hat noch niemand eine Bremse erfunden. Als Wort, meine ich. Abschwungbremse, Krisenbremse, Rezessionsbremse, keine bringt es auf mehr als ein Dutzend Google-Treffer. Rein wirtschaftspsychologisch halte ich das für ein denkbar schlechtes Zeichen: Unsere Sprache (oder natürlich: ihre Sprecher) will sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass eine Wirtschaftskrise auch mal einfach da sein und bleiben kann. Dass es also nicht so sehr darum geht, sie so schnell wie möglich wieder in einen Aufschwung zu verwandeln, sondern vielmehr um ein Abbremsen oder -mildern der unvermeidlichen Abwährtsfahrt.

In unserem klassischen Konjunkturzyklus-Bild gehen die Zyklen wellenförmig auf und ab. Zur Welle passt die Bremse nicht. Was aber, wenn diesmal irgendwo unten im Tal nicht wie sonst der nächste Aufschwung auf uns wartet, sondern nur eine dicke Mauer? Wenn wir es erst merken, wenn wir dort angekommen sind, können wir nur hoffen, dass irgendwo ein funktionierender Airbag eingebaut ist. Wenn wir uns schon ein bisschen früher darauf einstellen wollen, sollten wir nach Krisenbremsen suchen.

——

(ab hier von A.S. Reyntjes)

Schuldenbremse?

Nein, kein Neuwort; eine schon normale Verlegenheitsoperation, ein euphemistisches Politgetue, als ob man sparen wolle und könne:
Beispiel: „Unions-Forderung: Konjunkturpaket II nur mit Schuldenbremse“ (© ZEIT ONLINE, dpa, Reuters 28.1.2009 – 12:39 Uhr )
*

Wortschatz-Linguisten sind fleißig, wenn sie Amt, Fachwissen und öffentliche Gelder für Forschungen haben:

http://wortschatz.uni-leipzig.de

Dort lautet das früheste, erfasste Zitat aus der bundesrepublianischen Bremser-Ankündigungswelt:
„Dazu hat der Wirtschaftsrat der CDU vorgeschlagen, nach Schweizer Vorbild eine Schuldenbremse in das Grundgesetz aufzunehmen.“ [welt.de vom 13.05.2005]

Den semantischen „Graph“ haben die Wortschatz-Uni-Forscher so dargestellt, auf Grund von Zeitungsbelegen seit 2005.

Vgl. :

http://wortschatz.uni-leipzig.de/graph/de/12812486_32.png
*

Aber Wiki weiß auf dem Hintergrund europäischer fiskalischer Techniken Scheinargumente historisch und begrifflich mehr:

Der Begriff kommt aus der Schweiz…, allwo der Staat- und Geldmann in persona die staatspolitische S c h u l d e n b r e m s e erfand.

Da wollte ich mich, bevor mich (pardon: und andere) vielleicht die Frühlingswelt der Entbremsungen interessiert, umtun: auf allen Wegen und Bremsstrecken umschauen, allwo man finanziell zu der allbekannten Spaß- oder Felgen-, Freilauf-, Hinterrad-, Innen-, Vierrad-, Vorderrad-, Wagenbremse;
… in den Hinweisen auf die Form, z. B. die gängigen Bezeichnungen: Backen-, Band-, Klotz-, Scheibenbremse;
… in Verbindung mit Hinweisen auf das Mittel, mit dem gebremst wird:
Dampf-, Druckluft-, Flüssigkeits-, Kurzschluß-, Luftdruck-, Magnet-, Öldruck-, Reibungs-, Saugluftbremse;
… ferner noch gekennzeichnet von der Funktion her als Auflauf-, Fuß-, Hand-, Not-, Rücktritt-, Schnellbremse…

Die S c h u l d e n b r e m s e hat gehörigen Vorlauf, dass sie voll einsatzfähig: finanz- und medien-politisch:

Unnötige Frage dazu:
Hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ein alternatives Modell für Deutschland – die so genannte Schuldens c h r a n k e – erarbeitet?

*
Gottfried Keller hat solche Geldhetcher; er nannte sie „Schuldenverkehrer“ gekannt: „Sie lassen, so lange es geht, fremde Leute für sich arbeiten und benutzen ihre Profession zur Betreibung eines trefflichen Schuldenverkehres.“ (Aus: G.K.: „Die Leute von Seldwyla“. Novellen. Erster Band. Erstdruck 1856. Vorrede).

Wikinarristen haben auch sonst verbremst im Vollklang der Bewegeungen, Hebel, Züge und Bremsbacken (wenn auch noch nicht definiert):
Nasenbremse, Regenbremse, Rinderbremse, Rotzbremse

“Es bremst so glüh’nd, wenn Schuldenbremsen blühn…!

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