Kriterium Bio

Ein taz Blog von Lukas Meisner.

Krisenzeiten bräuchten Zeitkritik. Je länger die Kritik der Krise ausbleibt, desto tiefer reicht die Krise der Kritik. Bis Kritik und Krise ununterscheidbar geworden sind.

Das Ergebnis: Die Kriterien, die uns zur Orientierung dienen sollten, stehen ihrerseits Kopf. Kaum etwas ist da nicht invertiert. Normalität selbst ist verdreht in der Norm des Abnormalen. Realität wurde Realsatire, sodass Realismus sich der Mittel des Absurden bedienen muss. Im Schwindel befangen weiß niemand länger, wo oben und unten sind.

Um die verkehrte Welt in den Blick zu bekommen – um einen Horizont darüber hinaus zu sichten – ist ein Kriterium gefragt, das vom Kopf auf die Füße stellt. Es ist das Kriterium, das Kritik von Krise scheidet. Erst es macht den strukturellen Wahn offenbar, der sich zum ungesunden Menschenverstand gemausert hat: zur Regel als Ausnahmezustand; zur Permanenz des Desasters; zum ‘Kollaps im Stillstand’.

Das Kriterium zur Scheidung der Kritik von Krise ist positiv wie negativ. Als negatives rüttelt es auf, damit wir des Alptraums gewahr werden, in dem wir jeden Morgen erwachen. Als positives ist es erfüllt schon jetzt von einer Zeit, die Krise zurückbannt in den Status des Sonderfalls.

Kriterium will daran erinnern, dass die Rechnung ‘Krise vs. System’ nicht aufgeht, da sie zu einfach ist. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

Lukas Meisner studierte in Tübingen, Colchester, Berlin und London Philosophie, Komparatistik und Kultursoziologie. Derzeit promoviert er in Venedig und Erfurt zur Kritischen Theorie politischer Autonomie. 2020 wurde sein Buch der Wüste. Jede Seite eine Düne veröffentlicht – ein Flaneurbericht aus London nach dem Brexitreferendum, der die Dialektik zwischen Verwüstung und Verstädterung untersucht. Ferner gab er den Sammelband Avantgarden vom Kopf auf die Füße gestellt. Kritik an Kunst vs. Künstlerkritik mit Theresa Walter an der Humboldt Universität heraus. Kürzlich erschien zudem Capitalist Nihilism and the Murder of Art, worin Meisner zusammen mit dem niederländischen Künstler Eef Veldkamp den Zusammenhang zwischen Kunst und Kapital sowie den zwischen historischen Avantgarden und Postmoderne analysiert. Neben akademischen, essayistischen und journalistischen Beiträgen schreibt Meisner Romane, Erzählungen und Gedichte. Davon veröffentlicht u.a.: DysUtopia. Roman (Berlin 2017); Das schöne Gesicht. Buchkunstprojekt (Halle 2019); Erde im Himmel. Erzählung (Leipzig 2021).

Website: http://lukasmeisner.de

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