Der deutsche „Maritim-Komplex“
„Wir schaffen es/ Auch ohne Waffen-SS!“ so dichtete der Kabarettist Wolfgang Neuss noch kurz vor der „Wende“: Zu vorschnell, denn in restaurativen Zeiten kommt längst Verschüttetes wieder hochgeduckt. Bis zum Abzug der Alliierten 1990 begnügte sich die BRD mit der Rückendeckung ihrer Industriellen und Banker auf den internationalen Märkten („Exportweltmeister Deutschland“), indem Korruptionsaufwendungen steuerabzugsfähig waren (bis 1997!) und das Wirtschaftsministerium Listen für sie zusammenstellte, mit was für Bestechungsgelder man in welchem Land rechnen mußte, um erfolgreich zu sein. Zudem war die Kartellaufsicht eher ein Kartellförderungsinstrument. Mit der Auflösung des Ostblocks und den Nachwendewirren agiert nun, spätestens mit der Finanzkrise, die deutsche Nation selbst auf den Weltmärkten wie einst mit politischen – und militärischen Mitteln.
Das Problem, das die „Deutschland AG“ dabei angeht, ist Folgendes: Die Deindustrialisierung verbunden mit der Computerisierung hat Millionen großteils studpider Jobs vernichtet. Für die „Doofen“ gibt es seitdem „Sicherheitsaufgaben“ (Wach- und Schutzdienste), für die „Klugen“ die IT-Branche und alles, was sich an „Kreativjobs“ da herumlagert. Den Rest könnte die Tourismusbranche schlucken, auch wenn die Jugend lieber „Irgendwas-mit-Medien“ machen würde. Die Unentschlossenen aber sollen auf den Weltmärkten deutsche Interessen verteidigen – und zwar militärisch. Der Bundespräsident und vormalige Privatisierungsmanager Horst Köhler bezog sich genau darauf, als er in einem Interview am Rande eines Truppenbesuchs in Afghanistan Bundeswehr-Einsätze auch mit wirtschaftlichen Interessen begründete. Kurz darauf trat er von seinem Amt zurück: „Ich bedauere, dass meine Äußerung in einer für unsere Nation so wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnte“, sagte er. Köhler hatte sich zu weit vorgewagt.
Holländischer Küstenkomplex: Poller-Leuchtturm-Ensemble auf Texel
Bereits 2009 veröffentlichte der Wirtschaftswissenschaftler Hermannus Pfeiffer eine Studie über die neue „Seemacht Deutschland“: Mitte 2010 werden die von Thyssen-Krupp gebauten fünf Korvetten K130, bestückt mit Raketen und Tarnkappeneigenschaften „kampfbereit“ sein, Sie kosten zusammen 1,5 Milliarden Euro. Schon beschlossen ist der Bau von vier „Marathon-Fregatten“ (F125) auf der Thyssen-Krupp-Werft in Kiel. Diese laut Pfeiffer „bisher teuerste Waffe in der deutschen Geschichte kostet 650 Millionen Euro – pro Stück.“ Die Peene-Werft beginnt ab Mai mit dem Bau von vier Küstenwachschiffen: „Ein dringend benötigter Millionen-Auftrag“, nennt der „Deutsche Marinebund“ das. Daneben wurde die BRD im letzten Jahrzehnt zum Hauptlieferanten der israelischen Marine. Zuletzt vereinbarte Netanjahu mit Merkel den Kauf von zwei deutschen U-Booten und zwei Korvetten – für rund eine Milliarde Euro.
Der Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), Otfried Nassauer vermutet: „Das Kreuzen vor fremden Küsten könnte zur Standardaufgabe der Bundeswehr werden.“ Die Piratenbekämpfungs-Mission, die von der EU gerade ausgeweitet wurde, kommt ihr da gerade recht. Genaugenommen ist die Bundeswehr aber bereits seit der Anti-Terror-Operation „Enduring Freedom“ 2001 integriert in „eine Oberaufsicht über das globale System“, wie die Politologin und Schifffahrtsexpertin Heide Gerstenberger das nennt. Für jedes Barrel Öl weltweit fallen Militärausgaben in Höhe von mindestens 20 Dollar an. Hermannus Pfeiffer schreibt: „Industrie und Staat, Reedereien und Gewerkschaften, Finanzdienstleister und Flotte, Wissenschaftler und Ministerien haben sich zu einem Maritimen Komplex verbunden.“
Was vom „Maritimen Komplex“ Österreichs übrig blieb: die Poller in seinem einstigen Kriegshafen Triest.
Dazu gehört auch und vor allem der U-Bootsbau in Kiel: „Mit mehr als 60 Stück ist das U-Boot der Klasse 209 eines der meistgebauten Boote der Nachkriegszeit. Als erste Werft weltweit bot Thyssen-Krupp/HDW serienreife U-Boote mit einem Antrieb aus Wasserstoff-Brennstoffzellen an. Das Kampfschiff ist praktisch nicht zu orten und kann wochenlang unter Wasser bleiben ohne aufzutauchen. Das erste dieser U-Boote übergab die Werft 2004 an die Deutsche Marine,“ berichtete der NDR. Die U-Bootklasse 209 ist darüberhinaus ein Exportschlager: Von den 36 Staaten, die weltweit über nicht-nukleare U-Boote verfügen, hat mehr als die Hälfte U-Boote deutscher Herkunft im Einsatz,“ schreibt „Die Welt“. Ihre Anschaffung geschah nicht immer freiwillig. Hermann Gremliza berichtete in „konkret“: Guide Westerwelle machte Anfang 2010 im Auftrag der Kanzlerin den Griechen klar, „dass Deutschland nur dann europäische Kredite gewähren würde, wenn Griechenland 60 Eurofighter für 4,9 Milliarden Euro beim Rüstungskonzern EADS und, zu den vier bereits bestellten, für eine Milliarde mehr zwei weitere deutsche U-Boote kaufe. Präsident Sarkozy, so erzählte der griechische Premier Papandreou seinem Freund Cohn-Bendit, habe von den Griechen für seine Zustimmung zum ‚Hilfspaket für Griechenland‘ verlangt, sechs Fregatten im Wert von 2,5 Milliarden Euro in Frenkreich zu kaufen“. Auf diese Weise wurde mit deutschen U-Booten zuvor auch schon der Staatshaushalt von Südafrika ruiniert. „Deutscher Waffenexport boomt,“ titelte n-tv. Und korrumpiert wurden die Käufer, abgesehen von Israel, außerdem noch: Allein in Griechenland zahlte Siemens 100 Millionen Euro Schmiergeld. Eine Anklage gegen Thyssen-Krupp wegen Schmiergeldzahlungen im Vorfeld eines Waffengeschäfts mit Südafrika im Wert von 4,8 Milliarden Dollar ließ die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft gerade aus „Mangel an Beweisen“ fallen.
Alle Photos: Peter Grosse