vonHelmut Höge 06.08.2010

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Kartoffel. Photo: hausgarten.net

Die zwei Betreiber des nomadischen „Urban-Garden“ am Kreuzberger Moritzplatz: „Prinzessinnengarten“ behaupten: „Wir sind eigentlich keine Gärtner, sondern Kuratoren.“ Und tatsächlich finden sich dort immer mehr Leute ein, die sich gelegentlich oder täglich um den Garten kümmern (lat. curare). Es finden Gartenkonzerte, Gartentafeln und Workshops statt, ein Imker stellte vier  Bienenvölker dort ab, eine Uni-Initiative zeigte Filme über Stadtgärten und Stadthonig in Amerika und Südafrika. Die dänische Künstlerin Åsa Sonjasdotter initiierte ein nomadisches Kartoffelfeld mit den unterschiedlichsten Sorten, mittels derer sie die Geschichte dieser Kulturpflanze gewissermaßen  nachzeichnete: „The order of the potatoes“ von ihr genannt. Die einzelnen Kapitel daraus bestehen aus jeweils etwa fünf Pflanzen und einem Schild mit den nötigen Erklärungen: angefangen mit den Nachkommen der im 16. Jahrhundert aus Südamerika nach Europa gelangten und 1587 erstmalig beschriebenen neuen Feldfrucht über einige alte bäuerliche Kartoffelsorten, die sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen (wie die dänische „Asparges“ sowie die ostdeutsche „Adretta“) und die westdeutsche Industriekartoffel „Linda“  (die jetzt aus dem Verkehr/Verzehr gezogen werden soll) bis zu Neuzüchtungen wie die „Rote Emma“ von Karsten Ellenberg z.B.

Der Kartoffelzüchter aus Barum bei Bad Bevensen baut 170 Sorten an, diese hat er nach der „Mutter der Anarchie“ Emma Goldmann benannt. Bei einem Rundgang durch die Kartoffelgeschichte erklärte Åsa Sonjasdotter: „Sie hat viel mit Wissen und Macht zu tun. Die Bauern hatten einmal  die Macht über ihr eigenes Leben, das dann mehr und mehr reguliert und systematisiert wurde, deswegen nenne ich die Geschichte ‚Order of Potatoes‘, auch die Kartoffel wurde hochorganisiert.“

Die Künstlerin stammt von der dänisch-schwedischen Insel Ven, wo ihre Eltern eine Hobbylandwirtschaft haben, sie studierte Kunst in Kopenhagen – und kam eher zufällig auf die Kartoffel, wie sie sagt. Das war, als sie sich mit den unterschiedlichen „Stimmen“ im öffentlichen Raum und der „Vielfalt“ beschäftigte. Eine Studienreise nach Indien führte sie zu einer Gruppe von Bäuerinnen, die mit traditionellem Saatgut arbeiteten, um sich damit gegen dessen Industrialisierung im Rahmen der indischen „Green Revolution“ zu wehren: „Sie sind sich des Wissens, das mit der Sorten-Vielfalt verbunden ist, sehr bewußt,“ meint die Künstlerin. Als sie nach Skandinavien zurückkehrte, engagierte sich Åsa Sonjasdotter im Feminismus. Zudem  wollte sie die Erfahrung, die sie in Indien gemacht hatte, „auf die hiesigen Verhältnisse übertragen. Die Bäuerinnen redeten von traditionellem und kommerziellem Saatgut. Das bezog sich vor allem auf den Reisanbau. Meine  Eltern hatten in ihrer kleinen Landwirtschaft immer Kartoffeln angebaut.“

Kartoffelangebot. Photo: dicke-deutsche.de

Åsa Sonjasdotter begann, die Bauern in der Umgebung zu fragen, ob sie noch alte Kartoffelsorten hätten. Es war leichter als sie gedacht hatte. Ihre Funde pflanzte sie auf dem elterlichen Acker ein. „Damals war ich mir noch nicht darüber klar, ob und wie sich das mit meinem Beruf als Künstler verbinden könnte. Ich begann dann nach der Geschichte meiner Kartoffeln zu forschen, die bereits seit Jahrtausenden in den Anden kultiviert werden.“ Die Künstlerin reiste nach Südamerika und studierte den Kartoffelanbau dort. „Man kann die Kartoffel wie ein Prisma benutzen, um die Geschichte zu betrachten. Während der Industrialisierung z.B. brauchten die vielen  Menschen, die in die Stadt vertrieben wurden, Nahrung. Die Kartoffel war dafür perfekt geeignet. Einige Historiker meinen sogar, dass sie die damalige Bevölkerungsexplosion überhaupt erst bewirkte. Man hat sich angewöhnt, die Fragen an die Gesellschaft in den Beziehungen von Wissen und Macht zu suchen. Die indischen Bäuerinnen taten genau das.

Auch der Kartoffelbauer Ellenberg. Er geht sehr klug vor, er züchtet seine Sorten selbst und verkauft das Saatgut an andere kleine Bauern, die dann damit machen können, was sie wollen. Er hat sich erfolgreich mit seinen Kartoffeln einen neuen Markt geschaffen – von kleinen Bauern. Die Industriekonzerne haben an diesen Markt nicht gedacht. Die meisten Sorten dürfen nicht in der EU gehandelt werden, ähnlich ist es bei den ebenfalls wieder zunehmenden Apfelsorten. Die Kartoffel „Rosa Tannenzapfen“ z.B., die wir auch hier im „Prinzessinnengarten“ anbauen, kann man nicht im Supermarkt kaufen. Sie sieht aus wie eine Ingwerwurzel. Zu befürchten ist, dass die EU bei den Kartoffeln wie mit den Äpfeln verfahren wird, die dem DUS-Standard – durable, uniform, stable – entsprechen müssen.“

In Peru arbeitete Åsa Sonjasdotter mit Bauern aus sechs Dörfern zusammen, die sich zu einem „Kartoffel-Park“ zusammengeschlossen hatten, um die Sortenvielfalt ihrer Kartoffeln zu schützen. Es war ein „Agroökologischer Naturpark“ (mit einem ähnlichen Status wie ein Nationalpark). Von diesen Bauern waren dann 2008 auch einige in Bonn – auf dem Weltkongreß „Planet Diversity“, die der ehemalige taz-Redakteur Benny Härlin mit Hilfe der „Zukunftsstiftung Landwirtschaft“ organisierte. Åsa Sonjasdotter war ebenfalls auf diesem internationalen Treffen. Umgekehrt wollen die Kuratoren des Projekts „Prinzesinnengarten“ zur Erntezeit – am 26 September – Benny Härlin zu einem Workshop im Garten einladen, zu dem Åsa Sonjasdotter einige Kartoffelgerichte beisteuern wird. Benny Härlin ist im übrigen seit Jahren in der „gendreck-weg“-Kampagne aktiv, die  „Feldbefreiungen von Gen-Mais organisiert und derzeit mit ähnlichen Aktionen gegen die Freilandversuche mit der Gen-Kartoffel „Amflora“ vorgeht.

Die Künstlerin in ihren Kartoffeln im Garten am Kreuzberger Moritzplatz

Åsa Sonjasdotters Kunst besteht seit nunmehr 9 Jahren darin, das sie an unterschiedlichen Orten die unterschiedlichsten Kartoffelsorten anbaut. Mehrmals auch bereits in „nomadischen Gärten“, d.h. in transportablen Behältern – u.a. für eine Ausstellung in Amsterdam.

Derzeit arbeitet sie in Bukarest an einem Projekt der rumänischen Gen-Bank mit: Es werden dort von alten verbrauchten und vom Aussterben bedrohten Sorten Keimstücke abgenommen, aus denen man eine Art von Bonsai-Kartoffeln zieht, „mit dem Saatgut davon lassen sich diese Sorten wieder revitalisieren: they make a new fresh beginning.“  Im Herbst wird man das Ergebnis in einer Ausstellung zeigen.

Fast gleichzeitig nimmt die Künstlerin an einem Workshop an der norwegischen Kunstakademie in Tromsö teil, wo man sich viel mit Fragen der Ökologie,  der Selbstorganisation und globalen Aktivitäten beschäftigt. Åsa Sonjasdotter war an dieser neugegründeten Akademie die erste Dozentin.

Anfang November ist dann Erntezeit für sie in einer Ausstellung in Los Angeles, wo sie 18 amerikanische Sorten ausgepflanzt hat: beginnend mit solchen aus der Inkazeit herrührend und endend mit der Sorte „Russet Burbank“ – der Mc-Donald’s-Kartoffel. „Dort in Kalifornien sind besonders viele Künstler an Garten- und überhaupt ökologischen Projekten interessiert, und die ‚Seed-Saver‘ sind eine große Organisation in den USA. Wenn jemand eine neue Kartoffelsorte gezüchtet hat, gibt er denen die Samen davon. Das sind dann „Copyleft-Varieties“.

Es ist der Künstlerin zwar wichtig, ihre eigenen Lebensmittel anzubauen, wie sie sagt, aber die knappe Aufzählung ihrer Herbstaktivitäten zeigt bereits, sie, die derzeit in Berlin lebt, kann sich selbst dort im „Prinzessinnengarten“ nur sporadisch um ihre Kartoffeln kümmern (lat. curare). „Es gibt dort jedoch jemanden, Markus Bennar, der sie täglich gießt, von Kartoffelkäfern befreit usw., ich helfe  ihm nur ab und zu, weil ich zu oft unterwegs bin.“

Um eine Zwischenbilanz ihrer Kartoffelkunst gebeten, sagt sie: „The potatoe is the Joker in the Global Game. When the big system fails the people start helping themselve by growing their own food.“

Dies trifft sich u.a. mit einer Einschätzung der Konstanzer Soziologin Karin Knorr Cetina: „Wir leben inzwischen bereits in nach-gesellschaftlichen Projektwelten“ – und die „Landlust“ hat starke Konjunktur. Das läßt sich täglich auch im „Prinzessinnengarten“ beobachten. Gleichzeitig werden die Armen aus den Städten aufs Land zurückgedrängt, wie eine französische Studie gerade ergab, die bereits von „rural ghettos“ spricht. (1) Dort müssen sie sich dann mit Kartoffelanbau beschäftigen. Was für die ökologisch interessierte Mittelschicht eine Freude ist, wird für sie eventuell zum Fluch.

Sortenvielfalt. Photo: zauber-pflanze.de

Man kann auch noch ganz anders mit dieser Feldfrucht umgehen. Wenn man z.B. in Rom eine Kartoffel mit der rechten Hand über die linke Schulter in den Trevi-Brunnen wirft, dann sollen dort angeblich alle Wünsche wahr werden. Dieser Aberglaube wird von der Stadtverwaltung wissenschaftlich, genauer gesagt: volkswirtschaftlich aufgefangen, indem man die 200.000 Kilogramm, die Bedienstete alljährlich aus dem Brunnen fischen, verkauft. Siehe dazu auch „Macht und Magie in Italien“ von Thomas Hauschild – eine ethnologische Studie, die sich bemüht, die Aufklärung nicht gegen den Aberglauben ins Feld zu führen.

So wie es z.B. noch Friedrich Engels tat, als er sich 1878 kurz der „Geisterwelt“ zuwandte. Er war noch äußerst optimistisch, dass die aufklärerisch-wissenschaftliche Arbeit diesem Spuk früher oder später ein Ende bereiten würde: „Hat es aber schon die Arbeit von Jahrtausenden erfordert, bis wir einigermaßen lernten, die entferntern natürlichen Wirkungen unsrer auf die Produktion gerichteten Handlungen zu berechnen, so war dies noch weit schwieriger in bezug auf die entfernteren gesellschaftlichen Wirkungen dieser Handlungen.“ Dazu erwähnt Engels  den Anbau der Kartoffel in Europa „und in ihrem Gefolge die Ausbreitung der Skrofeln.“ Dabei handelte es sich um leichte Vergiftungen, hervorgerufen durch den Verzehr der grünen Teile von Kartoffelpflanzen: Die Forschung hat dieses anfangs aus Unkenntnis entstandene Problem schnell beseitigt. (2)

Danach stand dem massenhaften Anbau und Verzehr von Kartoffeln in Europa erst einmal nichts mehr im Weg. Um auf den unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad von „natürlicher“ und „politischer Ökonomie“ zu sprechen zu kommen, fragte Engels weiter: „Was aber sind die Skrofeln gegen die Wirkungen, die die Reduktion der Arbeiter auf Kartoffelnahrung auf die Lebenslage der Volksmassen ganzer Länder hatte, gegen die Hungersnot, die 1847 im Gefolge der Kartoffelkrankheit Irland betraf, eine Million fast nur kartoffelessender Irländer unter die Erde und zwei Millionen über das Meer warf.“ (3)

Dagegen helfe nur die Organisierung der Massen und mit Hilfe des wissenschaftlichen Sozialismus der Klassenkampf. Aber erst einmal wurde  dann der Kartoffelkäfer zum Problem. Während die Kartoffel aus Südamerika stammt, kommt der Käfer aus Nordamerika, genauer gesagt: aus Colorado, weswegen man ihn dort auch „Colorado Beetle“ nennt. Seine ursprüngliche Nahrungspflanze war die Büffelklette (Solanum rostratum), die auch zur Familie der Nachtschattengewächse gehört. Den Übergang auf die Kartoffel ermöglichte  ihm das Vordringen der weißen Siedler, die Kartoffeln aus Europa mitbrachten und anbauten, „so  wurde dem Käfer seine neue Nahrungspflanze praktisch entgegengebracht“, heißt es bei Wikipedia. In Europa hatte der Kartoffelkäfer keine natürlichen Fressfeinde, seine Warnfarben schützten ihn. Erst in den letzten Jahrzehnten begannen einheimische Vogelarten, u.a. Fasane, den Kartoffelkäfer als Beute anzunehmen. Vor allem  versucht man, der Käferplage durch Chemikalien und eine gezielte Infizierung der Käfer mit dem Bacillus thurengiensis Herr zu werden. Auf kleineren Feldern wird er auch heute noch meist per Hand aufgelesen und vernichtet.

In der Weimarer Republik behauptete die deutsche Propaganda in einem Merkblatt, dass die Kartoffelkäferplage vom Erzfeind Frankreich verursacht worden sei. Im Zweiten Weltkrieg behauptete die Nazi-Propaganda, dass die Amerikaner Kartoffelkäfer als biologische Waffe einsetzen würden, indem sie sie über deutsche Felder abwürfen. Als um 1950 herum fast die Hälfte aller Kartoffelfelder in der DDR vom Kartoffelkäfer befallen wurde, machte die staatliche Propaganda erneut die Amerikaner bzw. die CIA dafür verantwortlich. Gleichzeitig mobilisierte die Regierung alle Schüler und Studenten, um den  „Amikäfer“ und seine Larven auf den Feldern abzusammeln. Unterdes  forderte die amerikanische Regierung von der Bundesrepublik Deutschland, propagandistische Gegenmaßnahmen zu unternehmen. Diese beschloss daraufhin einen Postversand an sämtliche Gemeinderäte der DDR und den Ballonabwurf von Kartoffelkäferattrappen aus Pappe mit einem aufgedrucktem „F“ für „Freiheit“. Die etwas unglückliche Aktion bestärkte die DDR noch in ihrer Annahme, es mit einer großangelegten  US- bzw. Nato-Sabotageaktion zu tun zu haben, die darauf abzielte, eine Hungersnot in den sozialistischen Ländern herbeizuführen.

Auch Polen wurde 1950 von einer Kartoffelkäferplage heimgesucht: „Unerhörtes Verbrechen der amerikanischen Imperialisten“, titelte im Mai des selben Jahres die „Trybuna Ludu“. Bis dahin war man dort davon ausgegangen, dass die deutsche Wehrmacht 1939 den Kartoffelkäfer in Polen eingeschleppt hatte. Die Deutschen hatten dort zuvor, im 18 Jahrhundert, schon die Kartoffel eingeführt, weswegen man diese Feldfrucht in Polen auch  „Berliner“ nannte. 1950  wurde nun ebenfalls das halbe polnische Volk mobilisiert, um der Kartoffelkäferplage Herr zu werden. Bereits 1946 war dazu eine Kampfschrift: „Der Kartoffelkäfer – ein bunter Saboteur“ von Irena Ruszkowska veröffentlicht worden. (4)

2001 stand die Kartoffel in Polen erneut im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit: Die Danziger Künstlerin Julita Wojcik hatte eine Performance in einer Warschauer Galerie angekündigt, die darin bestand, dass sie 50 Kilogramm Kartoffeln schälen wollte. Das sei keine Kunst, wurde ihr daraufhin vorgeworfen, ihr gehe es nur um den Skandal, denn „nach der Performance würden die Kartoffeln nicht verzehrt, es handle sich also um Verschwendung und Rowdytum,“ schreibt Sebastian Cichocki in „Alphabet der polnischen Wunder“.

2006 wurde der polnische Präsident Lech Kaczynski von der Berliner tageszeitung mit einer Kartoffel verglichen, woraufhin dieser eine offizielle Entschuldigung von Deutschland, mindestens von der tageszeitung verlangte. Das tat der taz-Journalist, Peter Köhler, auch – allerdings nicht beim Präsidenten, sondern bei der Kartoffel.

2007 wurde in Deutschland die Sorte „Linda“ zur Kartoffel des Jahres erklärt. Es gibt sie seit 1974, kreiert hat sie das Pflanzenzuchtunternehmen „Europlant“, das 2004 den Sortenschutz, der bis 2009 gültig war, an das Bundessortenamt zurückgab, weil die Firma inzwischen eine neue Sorte gezüchtet hatte, die ihr noch profitabler als „Linda“ dünkte. Die Kartoffelanbauer, aber auch viele Konsumenten, die sich inzwischen an Linda gewöhnt hatten, protestierten dagegen. Im Kartoffelanbaugebiet Lunestedt,  zwischen Bremen und Hamburg gelegen, sowie in Barum bei Lüneburg gründete sich zur Rettung der alten Sorte erst ein regionaler „Linda-Freundeskreis“, der sich bemüht, sie wieder – für viel Geld – zugelassen zu bekommen, nicht nur in Deutschland, und sodann eine  bundesweite „Ackerfront“, in der u.a. die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der Verband „Bioland“ sowie der Verein „Slow Food Deutschland“ vertreten sind.

Die „Ackerfront“ hat 2009 zusammen mit dem Künstler Torsten Haake-Brandt eine „Hommage an die beste Kartoffel der Welt“ in Form eines Buches veröffentlicht – im Berliner Anarchoverlag „Karin Kramer“. Die Autoren stammen zumeist aus Lunestedt und Umgebung: „Kartoffelbauern wie die Familie Wrede, Erntehelfer, Freunde und Liebhaber der Kartoffel. Sie alle leben mit Linda in enger Verbundenheit,“ schreibt Torsten Haake-Brandt im Vorwort. Einer, Jürgen Bahlmann, bezeichnet darin die Züchter von Europlant als „Agrarhampelmänner“ und meint, dass sich ihre Linda-Ersatzsorte „Belana“ wie eine  Slipeinlage anhöre. Bis der Streit mit der Firma, die laufend gegen die Linda-Rettungsaktivitäten klagt, ausgestanden ist, hat er für seine Kartoffeln eine „provisorische Insellösung“ – im Blumentopf – gefunden, wie er schreibt und mit Photo beweist. Andere Beiträge beschäftigen sich z.B. mit Kartoffelroder, Kartoffelschälen, Kartoffelschnaps und dem eingangs bereits erwähnten Kartoffelwerfen am römischen Wunschbrunnen.

Bei der „Ackerfront“ und ihren Buchautoren handelt es sich um eine westdeutsche Initiative. Das eigentliche Kartoffelanbaugebiet war jedoch Ostdeutschland: Einmal wegen der sandigen Böden in weiten Teilen des ostelbischen Junkerlandes und zum anderen wegen der großflächigen Anbaumöglichkeiten. Hier galt z.B. der mehrmalige Gutsverwalter und spätere Schriftsteller Hans Fallada als „Kartoffelexperte“ – angeblich konnte er 1000 Sorten identifizieren.

Nun macht dort in Brandenburg seit einigen Jahren eine Initiative für „nicht-kommerzielle Landwirtschaft“ (NKL) von sich reden. Sie begann unter der Parole „Kartoffeln für alle!“, wozu u.a. auch solche von der Sorte Linda gehören. Dazu verschickten die  Diplomlandwirte von der „Lokomotive Karlshof“ 2006 einen „Aufruf zur Selbstorganisierung“ an rund 200 Wohn- und Landprojekte, um deren Bedarf an Kartoffeln zu erfassen. Sie kamen schließlich auf 4150 Kilogramm, woraufhin sie auf 0,7 Hektar Kartoffeln pflanzten. Mit 50 Helfern ernteten sie dann 4,5 Tonnen. 2007 erweiterten sie wegen des gestiegenen Bedarfs die Anbaufläche auf über einen Hektar, bekamen jedoch Probleme mit dem Kartoffelkäfer. 2008 ernteten sie bereits 15 Tonnen, die Erntehelfer wurden immer weniger, dafür schafften sie sich immer mehr Maschinen an. Ein Teil der Ernte wird in Berlin über sogenannte „Kartoffelcafés“ abgesetzt.

In ihrer Broschüre „NKL – ein Erfahrungsbericht“ heißt es, dass sie über das „Kartoffel-Experiment“ hinausgehen wollen – und müssen: „Schritt für Schritt wollen wir auch diese Herausforderungen angehen und im NKL-Rahmen finanzieren. So läuft gerade eine Finanzkampagne an, um Geld für einen größeren Traktor und weitere Bodenbearbeitungsmaschinen zu organisieren, die wir für die Grundbodenbearbeitung benötigen. Wir glauben, dass das ‚Netz‘ aus vielen es schafft, auch für die nächsten Jahre die Finanzierung in Angriff zu nehmen, und das gibt uns Mut.“ Die Finanzkampagne der NKL besteht im wesentlichen aus Spendenaufrufen.

Dazu merkt einer ihrer Erntehelfer aus der Nachbarschaft, dem es ziemlich viel Spaß gemacht hat, mit ca. 20 anderen Kartoffeln aufzusammeln, ausgehend von einem Marx-Zitat, an: „‚An die Stelle des ökonomischen Werts der Dinge als indirekte und feteschistische Vermittlung trete die menschlich-soziale Kommunikation als direkte Vermittlung, die den kapitalistischen Irrationalismus ausschließe‘. Wenn ich das richtig verstanden habe, heißt das, dass sich die Kartoffeln vom Lebensmittel zum Kulturgut verwandeln. Und so hab ich es auch erfahren, die Arbeit verwandelt sich in ein Ferienlager. Das hat was von vorweggenommener Utopie. Aber ein wenig absurd find ich es doch, wenn den Lebensmitteln, die ich mit produziert habe, auf der einen Seite ihr Geld-Wert entzogen wird, und auf der anderen Stelle, begründet mit der praktischen  Kapitalismuskritik, wiederum Geld-Mittel eingeworben werden müssen, um NKL möglich zu machen.“

Dazu sei abschließend bloß noch angemerkt, dass die Kartoffel schon bei den Inkas ein „Kulturgut“ war und es erst recht jetzt in Form und Substanz der Sorte „Linda“ ist. Kultur beschränkt sich nicht nur auf die Assoziation von Subjekten, sondern schließt auch die Objekte mit ein, um so mehr, wenn sie – wie in diesem Fall die Kartoffeln – gewissermaßen im Lebensmittelpunkt stehen. Es ist aber noch ein weiter Weg, bis wir wirklich von der Naturgeschichte der Art „Kartoffel“ (Solanum tuberosum) und der Zuchtsorte „Linda“ zur Kulturgeschichte der Kartoffel Linda als Individuum kommen. Dazu oder dabei müßte erst einmal die Dichotomie von Natur und Kultur (Gesellschaft) und die von Objekt und Subjekt überwunden werden.

In diesen neodarwinistischen Restaurationszeiten geht es jedoch wohl erst einmal in die entgegengesetzte Richtung: So kam bei den Bundestagswahlen 2009 eine Regierungsmehrheit von CDU/CSU und FDPzustande. Diese Parteien handelten daraufhin einen Koalitionsvertrag aus – in dem die Gewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) sogleich Seltsames entdeckte: „Es findet sich darin kein einziges Wort zum Schuldenabbau, wohl aber über eine vom Konzern BAYER entwickelte Kartoffelsorte: ‚Der Anbau der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Verwertung wird unterstützt,‘ heißt es im Regierungsvertrag von CDU/CSU und FDP. Der Konzern bemüht sich seit zwölf Jahren um eine Zulassung für die Kartoffel. Jetzt sehe man, wer der Regierung die Feder führe, meinen Kritiker der Gentechnik.“ (5)

Kartoffel-Porträts. Photo: brainwash.webguerilla.de

Anmerkungen:

(1) Le Monde Diplomatique titelte: „Exodus from the cities to the countryside. France’s new rural ghettos“

Cities fed off the peasants during the industrial revolution. Now high housing costs are pushing the poorest back to remake their lives in the countryside. By  Gatien Elie, Allan Popelard and Paul Vannier

How can we explain the demographic revival in the French countryside over the past 20 years? This migration was initially confined to the urban periphery, but has now reached rural margins. Three out of four rural cantons showed positive net migration during the 1990s. While some interpret it as a sign of a „rural renaissance that reverses decades of desertification – ‚the end of farmers‘ and ‚the end of native soils‘ (A) – the socio-spatial dynamics are much more complex, and rather less idyllic.

Resettling rural areas is not the monopoly of the middle and upper classes, or young executives who look to the countryside for a more pleasant way of life and acquire a detached house for their families. An urban exodus has helped change the sociology of the countryside; 60% of country-dwellers are now workers or employees (B). In the past, the rural exodus, accelerated by the industrial revolution, created the urban proletariat by driving smallholders and artisans out of the countryside. Today the urban proletariat – particularly the poorest households (C) – have been relegated from towns because of the rise in house prices.

The institutionalisation of France’s national urban policy (politique de la ville) in the 1970s masked this change by addressing all social issues as urban issues. Now, in 90 out of France’s 95 départements, relative poverty is higher in the countryside than in towns. While this is linked to a crisis in agriculture, it is also the result of the arrival of poor neorurals.

It takes 45 minutes to drive from Montpellier to Ganges, a small town of 4,000 just within the Hérault département. The road first passes between Euromédecine and Agropolis, the hi-tech parks that symbolise the dynamism of Montpellier, the ‚town that makes its dreams come true‘. Then it goes straight across the wine-growing plains of the Coteaux du Languedoc and then more sinuously around the foothills of the Cévennes. The district of Ganges, far from Montpellier’s jobs and services, nevertheless attracts new inhabitants: almost a thousand have settled here since 1992.

Bernard and Christine (not their real names), young retirees originally from the outskirts of Montpellier, arrived in 2008. He used to work for Nicollin, the urban cleaning company. She used to clean in secondary schools. Their income dropped abruptly in retirement. Heavily in debt, they could no longer cope with their rising expenditures. The rest, they said, ‚was coincidence: a house in the country, not expensive, bearable local taxes, a maximum of 50 kilometres from Montpellier‘. The necessity to move became a virtue.

‚This is a miniature Colorado, paradise on earth, with the river below. In summer, you don’t worry about anything,‘ Sylvie said. She arrived from Paris 10 years ago after losing her job. Like other short-term visitors, she was seduced by Ganges‘ charms on a summer holiday. The mountains around the town are majestic. The riverbanks of the Hérault are pleasant for a swim. The town square is delightful, its cafés shaded by plane trees. The dream of a becalmed life in the country enchants city-dwellers. And even for those with little money, modest rents make the dream possible. Some chose to settle in Ganges when they retired, reached the end of a fixed-term contract or were made unemployed.

In the 1970s, as part of a political environmentalism, some of the bourgeoisie began to criticise urban life as inauthentic, compared with country life. Capitalism followed suit, relying on real estate promoters and local MPs wanting to make their constituencies more attractive. The commercial promotion of the geographical environment, especially near the Mediterranean, and of farm culture in the big cities (markets selling crafts and other authentic products) have helped to create a fiction that allows poor neo-rurals to ignore their socio-spatial relegation.

But when summer is over ‚you quickly realise your misfortune,‘ Sylvie said. In the autumn, Cévenol rainstorms hammer the Mediterranean foothills of the Massif Central and ‚winter is pretty long‘. A social worker said: ‚Every year there’s a spike of activity in September. People who moved into campsites thinking they could live there year round suddenly discover the bad weather and the rigours of winter‘.

The first frosts also surprise new tenants of the town’s apartments. In Ganges, as in most of the French countryside, over half of all accommodation was built before 1949. Much is decrepit, with holes in the roofs, badly insulated windows, and archaic electric circuits. ‚Every month I’ve got to pay rent for an apartment that looks like a squat,‘ Sylvie said. In winter, damp oozes from the walls, and high ceilings make apartments difficult to heat. When the fuel tank is empty and electricity bills can no longer be paid, domestic space is reorganised around the oil heater. Few job opportunities In the months after their move to Ganges, new arrivals see their income dwindle. Salaries are replaced with small pensions, unemployment benefits fall off and many start to receive income support (Revenu de Solidarité Active, RSA). The trap closes. Attracted by cheap accommodation, they have removed themselves from employment hubs and struggle to find work. Capitalism accentuates the concentration and diversification of employment in towns, but in the countryside jobs are rare, monotonous and dispersed.

At the end of sick leave, Anne stopped working and decided to move to Montpellier with her daughter, but ‚the cost of accommodation‘ made them turn back. First 15, then 20 kilometres… till they landed in Ganges. Far from the job opportunities of the regional capital, Anne spent several years on unemployment benefit, in odd jobs and part-time work. ‚I never thought I’d find myself stuck like that, without work‘. Today, she has a part-time fixed-term contract at the local school, for $1,014 per month. She is heavily in debt and has to use a food bank and other charities. Her only hope is to get closer to a big city to find work that will allow her to live decently.

In Ganges, 15% of the working-age population are unemployed, compared to 13.7% in Hérault département and 10% in France overall (D). A third of salaried employees have part-time contracts. The local textile industry, once flourishing, was destroyed by synthetic fibres after the second world war, then by competition from Asia. In their golden age, the mills in Ganges sourced their silk from the magnaneries (silkworm nurseries) of the Cévennes and produced luxury stockings for the world. Today, 80% of salaried employees depend on summer residents and tourism.

There is an extensive spread of settlements further and further away from towns; there is an intense concentration of jobs in urban centres. Because of this clash between settlement and job geography, rural areas mean pauperisation for those who cannot commute daily between home and work. ‚When I’m offered a job 30 kilometres away, I think twice,‘ said Anne, ‚especially since travel time is not included in work time and petrol is never reimbursed. Anyway, my car’s very old, every new problem gets me into a real mess‘.

For the inhabitants, badly served by public transport, local council buses cannot replace the car. The dominant classes have structured space to their own benefit by establishing speed as a value and the mastery of distance as a virtue. Since the socio-spatial organisation of work requires ever greater flexibility from employees, the demand that they be mobile is a powerful factor in their pauperisation and exclusion (E). As the geographer Jean-Pierre Orfeuil notes: ‚Different levels of mobility are not only part of the general picture of inequalities, but also an integral part of the reproduction of these inequalities (F).

Moving to the country should be about being able to live on less. In reality, very few practise subsistence strategies – or resistance strategies – and use the local resources to live. Very few have vegetable > > plots that will allow them to grow rather than buy food. For those without capital, the countryside does not offer a way out of the vicious cycle in which they have been caught. Many continue to founder, surviving on RSA ($ 576.26 a month) during long periods of unemployment (G).

‚The increase in the numbers of people living on the poverty line has made it necessary to enlarge our teams,‘ said Alain Chapel, head of the county’s local social services office. The canton of Ganges has three social workers. Ten years ago, it had one. Jacques Rigaud, the district’s mayor, said: ‚The district food bank already feeds 300 people. But with destitution increasing, we have less and less food to give to each of them‘.

‚Five years ago, we saw huge numbers of investors arrive to buy decrepit houses to rent to families in difficulties,‘ he said. They did not restore old buildings; they now profit from the high demand for cheap accommodation by renting out grim apartments. Reasonable rents attract a high concentration of the poorest to this town, people who cannot afford to live on the coast or in Montpellier, where prices are much higher.

A poverty economy has slowly established itself. Besides the investors who prosper by renting out hovels, the discount brand names, always on the lookout for the perfect location, are trying to cash in. Lidl is building a supermarket on the remains of the winegrowers‘ cooperative. Two other chains, Aldi and Leader Price, are looking for plots.

The poverty also explains the presence of charitable organisations: the Secours Populaire, Secours Catholique, Salvation Army and Restos du Cur, as well as the food bank. Nathalie Thaullèle, local head of the Secours Populaire, said they receive 350 people year round, and over 550 in winter: poor workers, pensioners, the homeless, young adults who have left their families. ‚[Many] wanted to escape poverty by leaving town, only to find it waiting for them in the countryside‘. The exodus has persuaded the Secours Populaire to expand its operations in the county’s rural margins.

Life in the country is not a pastoral idyll, as the urban bourgeoisie likes to believe. Rural areas are not socially homogenous. At the county level, districts inhabited by the middle and upper classes have established real-estate strategies to keep out modest earners (H). Social separatism is also at work at district level. A project for a gated community, the metropolitan archetype of spatial segregation, has just been launched in Ganges. Its promoters offer those who have money a secure life among their equals.

The opposition between town and countryside has become blurred. Yet it persists clearly in the mind of the new rurals, although reversed. The lost paradise is no longer the authentic rural life, but the vanished bright lights of the friendly city. ‚I have good memories of my life in town. Our tower block was a village. We chatted, everybody knew each other‘. The rural villages are described as ghettoes, especially by social workers, who do not see any difference between the poverty in the housing estates on the outskirts of towns where they used to work and that in the countryside they cover today.

Some of the new rurals regret the loss of the commercialised leisure spaces and scripted conviviality of their old life. ‚We had our shop, our Auchan. Life was good in Montpellier. Yet the theatrical urbanism of Montpellier’s Antigone district; the Polygone shopping centre, one of the region’s biggest; and the new Odysseum district with its multiplex, chain restaurants and superstore, all provoke alienated dreams. Montpellier is not just another metropolis. Never before had French town councils applied such an urban planning policy. Former mayor and local deputy Georges Frêche meant to create an urban utopia, a postmodern assembly of quotations from antiquity, on which the city’s Mediterranean myth is based. The capital of the Languedoc region is the matrix for a new council liberalism that organises urban space so that the economy can spread freely. This avantgarde approach is being followed by other elected representatives, whose legitimacy depends on their ability to produce a positive brand image to attract the entrepreneurs of the new  ‚technopolitan economy‘.

Every month, the Hérault département attracts a thousand new inhabitants, a net migration record. The great metropolitan machine clears the city centres for the middle classes and the poorest start their exodus towards remote rural areas, driven out of Montpellier, the „New Athens, where only ‚a minority of free citizens owns and enjoys the social spaces‘ (J).

(Translated by Tom Genrich)

(A) The titles of books by geographer Bernard Kayser, sociologist Henri Mendras and historian Eugen Weber.

(B) Christophe Guilly, Christophe Noyé, Atlas des nouvelles fractures sociales en France, Editions Autrement, Paris, 2006.

(C) In France, the poverty threshold is set at 50% or 60% of the median standard of living. In 2007, this was $948 a month for a single person at 50% of the median standard of living, and $1,137 a month at 60%; between 4.2 and 8 million people.

(D) At the end of 2009; www.insee.fr

(E) See Vincent Doumayrou, ‚Antwerp’s Ring cycle‘, and Helmut Holzapfel, ‚Everywhere and nowhere‘, both in Le Monde diplomatique, English edition, May 2010.

(F) Transports, pauvretés, exclusions, pouvoir bouger pour s’en sortir, L’Aube, Paris, 2004.

(G) This sum is for a single person without children. For a couple without children, it is $864.40.

(H) In the Cazevielle district halfway between Montpellier and Ganges, the ‚little Switzerland‘ of the county, the price of land with water, gas and electricity installed has reached $88 per square metre. The land-use plan has been drawn up so as to offer only plots over 1,000 square metres, which excludes many households.

(J) In Le droit à la ville, Henri Lefebvre compares today’s metropolises to the Greek city-states of antiquity; it is this Athenian aesthetic model that Georges Frêche has chosen.

Kartoffel-Weltausstellung. Photo: zauber-pflanze.de

(2) Im Internet findet sich dazu die Eintragung: „Alle grünen Teile der Pflanze, die Beeren und die am Licht ergrünten Teile der Kartoffel, enthalten das für die Gattung Solanum typische Glyko-Alkaloid Solanin, das eine unangenehme Hautreizung hervorruft, leicht zu verwechseln mit den Skrofeln. Und das neue Gewächs roch in den Blättern anders als die bisher gekannten Pflanzen. Wenn Lager- oder Winterkartoffeln ungeschützt im Freien liegen, so werden sie grün. Nach ein bis zwei Tagen werden sie giftig und können weder gegessen noch verfüttert werden.

‚Ein hübscher Knabe namens Brosi besaß einen Raben,/ der hatte aber im Herbst zu viele junge Kartoffeln ins Futter bekommen und war gestorben und … begraben‘, schrieb Hermann Hesse.  Die Blätter und Knollen sind dann stark blausäurehaltig. Insofern ist verständlich, wenn behauptet wurde, der Genuß der Kartoffeln rufe Aussatz, eine der gefürchteten Krankheiten jener Zeit, hervor. Sicherlich hat eine Rolle gespielt, die Knollen zwar zu kochen, aber nicht zu schälen oder zu pellen. Kartoffeln wurden auch in Preußen-Brandenburg verantwortlich gemacht für Gicht, Bleichsucht, Hautausschläge und Rheumatismus sowie  für andere Krankheiten.“

Karl Marx diskutierte das Kartoffelproblem etwas anders: „Die Kartoffel, die Baumwolle und der Branntwein sind Gegenstände des allgemeinsten Gebrauches. Die Kartoffeln haben die Skrofeln erzeugt; die Baumwolle hat zum großen Teil die Schafwolle und das Leinen verdrängt, obwohl Leinen und Schafwolle in vielen Fällen von viel größerem Nutzen sind, sei es auch nur in hygienischer Beziehung. Endlich hat der Branntwein über Bier und Wein gesiegt, obwohl der Branntwein als Genußmittel allgemein als Gift anerkannt ist. Während eines ganzen Jahrhunderts kämpften die Regierungen vergeblich gegen das europäische Opium; die Ökonomie gab den Ausschlag, sie diktierte dem Konsum ihre Befehle. Warum aber sind Baumwolle, Kartoffeln und Branntwein die Angelpunkte der bürgerlichen Gesellschaft? Weil zu ihrer Herstellung am wenigsten Arbeit erforderlich ist und sie infolgedessen am niedrigsten im Preise stehen. Warum entscheidet das Minimum des Preises in bezug auf das Maximum der Konsumtion? Vielleicht etwa wegen der absoluten Nützlichkeit dieser Gegenstände, wegen der ihnen innewohnenden Nützlichkeit, wegen ihrer Nützlichkeit, insofern sie auf die nützlichste Art den Bedürfnissen des Arbeiters als Mensch und nicht des Menschen als Arbeiter entsprechen? Nein – sondern weil in einer auf das Elend begründeten Gesellschaft die elendesten Produkte das naturnotwendige Vorrecht haben, dem Gebrauch der großen Masse zu dienen. (aus: „Das Elend der Philosophie“)

(3) Die Kartoffelkrankheit „Braunfäule“ ist ein mit der Kartoffel aus Südamerika eingeschleppter Schmarotzerpilz, der zwischen 1845 und 1850 nahezu alle in Europa angebauten Kartoffeln erfaßte. „Als wirksamstes Mittel gegen den Pilz  hat sich das zwei- bis dreimalige Bespritzen der Pflanzen mit einer fein zerstäubten Kupfervitriolkalklösung (Bordelaiser Brühe) bewährt,“ schreibt Meyers Lexikon. 2002 gelang Forschern des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung in Köln die Isolierung eines Gen, das Kartoffeln vor dieser sogenannten „Kraut- und Knollenfäule“ schützt: Das zum Resistenz-Gen R1 gehörende Protein alarmiere die Kartoffelzellen, wenn eine Pilzspore eindringe. Weltweit richtet der Erreger der Ernteschäden von rund zwei bis drei Milliarden Euro jährlich an. Unter Leitung von Christiane Gebhardt sei es dem Kölner Forscherteam gelungen, das Gen R1 auf dem fünften von zwölf Chromosomensträngen der Kartoffel  aufzuspüren und zu isolieren, teilte die Max-Planck-Gesellschaft mit. Das Gen codiere ein Protein von etwa 1300 Aminosäuren, die im Fall von Eindringlingen eine hypersensitive Reaktion in der Pflanzenzelle auslösten.  Die Zellwände würden dicker, so dass sich die Pilzsporen nicht ablagern könnten. Außerdem stoße die Zelle Stoffe aus, die für den Erreger (Phytophthora infestans) giftig sind. Mit dem isolierten Gen hätten die Wissenschaftler nun „eine Art Prototyp“ in der Hand, erklärte der MPI-Mitarbeiter Agim Ballvora. Im Erbgut der Kartoffel lägen mehrere andere Resistenzgene in unmittelbarer Nähe, darunter Gene zur Abwehr des Fadenwurms (Globodera). „Wir hoffen, dass die verschiedenen Resistenzgene eines Tages so weit erforscht sind, dass wir den gesamten Abwehrmechanismus der Kartoffel verstehen und für die Entwicklung neuer Sorten nutzen können“, sagte Ballvora.

(4) An einer Stelle geht es darin um einen Lehrer, der die Kinder und Erwachsenen über die mit der US-Sabotageaktion verbundenen Gefahren aufklärt, um sie zum Kampf gegen die Kartoffelkäfer zu motivieren: „Wenn der Feind die Oberhand gewinnt, wird die Kartoffel vielleicht eines Tages zu einer Delikatesse, die nicht für jedermann erschwinglich ist, so wie Orangen oder Bananen.“ In der DDR veröffentlichte die DEWAG Werbung 1950 eine Broschüre „Arbeiter und Bauern, seid wachsam. Kartoffelkäfer entlang der Bahn und Strassen“. Das bezog sich vor allem auf den sächsischen Kreis Bautzen. Dazu waren auf einer Karte alle Befallstellen von Kartoffelkäfern in diesem Kreis mit roten Punkten verzeichnet worden.

Kartoffelacker. Photo: einfach-gruen.de

(5) Am 11.6.09 hatte dpa zunächst gemeldet:  „EU-Behörde bestätigt Sicherheit von Gen-Kartoffel – Die genveränderte Kartoffel Amflora ist nach einem Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sicher für Mensch und Umwelt. Ungeachtet von Unsicherheiten seien schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt nach derzeitigem Wissensstand unwahrscheinlich, teilte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Parma in Italien mit. Es gebe aber Unsicherheiten bei der Prüfung und Bewertung. Für Amflora lag bisher keine EU-Zulassung vor. Der Chemiekonzern BASF teilte mit, damit habe die EFSA erneut die Sicherheit von Amflora bestätigt. Die Bundesregierung hatte den Versuchsanbau zugelassen. Die Industrie will die Kartoffel zur Stärkegewinnung nutzen.“

Am 19.6. kam jedoch die Nachricht: „Keine Zulassung für Stärkekartoffel Amflora. Der Chemiekonzern BASF hatte sich zu früh gefreut. Vergangene Woche hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) erneut eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für die gentechnisch veränderten Stärkekartoffeln Amflora der BASF ausgestellt.“ Negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt seien „den derzeitigen Erkenntnissen zufolge unwahrscheinlich“, heiß es in dem Efsa-Papier. „Wir hoffen, dass die derzeitige EU-Kommission nun handelt“, sagte BASF-Vorstand Stefan Marcinowski. Die Stellungnahme gebe der „gesamten EU-Kommission die abschließende Klarheit, um Amflora zuzulassen“. Doch angesichts der EU weiten Widerstände gegen Gentech-Pflanzen wird die Kommission die Amflora-Zulassung nicht weiter betreiben.  In den vergangenen Jahren musste die EU-Kommission mit ihren industriefreundlichen Gentech-Entscheidungen im Ministerrat eine Niederlage nach der anderen einstecken. Für keine in den letzten Jahren erteilte Gentech-Genehmigung hatte die Kommission eine Mehrheit im Ministerrat hinter sich. Diese Situation soll jetzt beendet werden. Die Kommission werde auch bei Amflora nichts gegen die im Ministerrat vorherrschende Position zu gentechnisch veränderten Organismen unternehmen, verkündete vor wenigen Tagen der zuständige EU-Generaldirektor für Umwelt, Karl Falkenberg. Praktisch heißt das: Obwohl die EU-Kommission den Vertrieb und Anbau der Stärkekartoffel zulassen könnte, wird sie es nicht tun. Denn bisher gab es auch dafür im Ministerrat keine qualifizierte Mehrheit.  Für die BASF muss das wie ein Wortbruch klingen. Im Mai vergangenen Jahres hatte Kommissionspräsident José Manuel noch erklärt, sobald das Efsa-Gutachten vorliege, werde die Zulassung erfolgten.  Vor zwölfeinhalb Jahren schon hatte BASF den Genehmigungsantrag bei der EU eingereicht. Als ein Problem stellte sich jedoch heraus, dass die Kartoffeln aus technischen Gründen ein Resistenzgen für ein Antibiotikum enthalten, das auch medizinisch genutzt wird. Nach den derzeit gültigen EU-Richtlinien sollen jedoch keine Resistenzgene für medizinisch relevante Antibiotika in Gentech-Pflanzen genutzt werden. Um hier das Risiko besser einschätzen zu können, hatte die EU-Kommission die Efsa gebeten, Gutachten über die Nutzung des Resistenzgens zu erarbeiten.  Bei dem Gen ging es vor allem um die Frage, ob es auf Bakterien übertragen werden könnte und welche Folgen dies hätte. Mehrheitlich meinte das Efsa-Gremium, es bestehe keine Gefahr. Zwei Wissenschaftler jedoch wollten sich der Efsa-Mehrheit nicht anschließen. Zwar sei der Transfer „unwahrscheinlich“, erklärte der Efsa-Experte Christophe Nguyen-Thé. Sollte er aber doch stattfinden, wären die Folgen „bislang unabsehbar“.

Ähnlich wie die Markteinführung von „Amflora“ war zuvor auch schon die von „Walli“ gescheitert. Dies erfuhr ich aus Michael Rutschkys Internet-blog „www.das-schema.de“, wo er im April 2009 mitteilte: „Einst setzte man in der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft große Hoffnungen in eine eigene Genkartoffel mit Namen Walli. Sie sollte die Produktion von Stärke ebenso vereinfachen wie vervielfachen, Stärke für die Lebensmittel – ebenso wie für die chemische und die Papierindustrie. Jetzt ist diese Etwicklungsarbeit eingestellt, genau besehen schon seit einem Jahr.  Christian Sebald erzählt in der SZ die komplizierte Geschichte. Die bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft und ihre Walli wurden von BASF überholt, die eine eigene Genkartoffel entwickelt. Und das holländische Unternehmen Avebe züchtete eine konventionelle Kartoffel, die Wallis Aufgaben ebenso gut erfüllt.  Schließlich: es hätte eines großflächigen Anbauversuchs mit Walli bedurft, und die Landesanstalt für Landwirtschaft beantragte ihn bei der Südstärke GmbH in Schrobenhausen.  Aber heftige Proteste der Bürger, Kundgebungen und Demonstrationen schüchterten die Südstärke GmbH so ein, dass sie auf den Großversuch verzichtete.“

Mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP, in dem der Anbau von Amflora unterstützt wurde, war für Bayer der Weg frei, seine gentechnisch veränderte Kartoffel versuchsweise im Freiland anbauen zu lassen. Die  Genkritiker gingen daraufhin von verbalen Protesten zu Aktionen über.

Am 26. 7. teilten sie in einer ersten Presseerklärung mit:

„Am kommenden Donnerstag wird die Initiative Gendreck-weg eine öffentliche Feldbefreiung des Amflora-Ackers bei Zepkow (Mecklenburg-Vorpommern) durchführen! Unter dem Motto ‚Komm auch du, greif zu!‘ kündigen die beiden TeilnehmerInnen der Gruppe, Karl Braig und Holger Isabelle Jänicke, dies öffentlich an!

In Schutzanzügen werden sie sich auf den Acker begeben, die Knollen der Amflora aus dem Boden holen und in einem Müllsack sammeln. Der Müllsack wird ordnungsgemäß mit ‚Vorsicht! Gentechnisch veränderte Organismen! Nicht zum Verzehr geeignet!‘ gekennzeichnet sein.

Bei diesem 15 ha goßen Acker mit den gentechnisch veränderten ‚Amflora‘-Kartoffeln von BASF handelt es sich um das derzeit einzige kommerzielle Gentechnik-Feld in Deutschland. Alles andere sind Versuchs-Freisetzungen.

Die Initiative Gendreck-weg hat seit 2005 fast jährlich mit einem gentechnikfreien Wochenende und anschließender gewaltfreier Feldbefreiung von sich Reden gemacht. Nachdem deutlich wurde, dass die Einführung der Gentechnik auf dem Acker nicht mit legalen Mitteln zu verhindern ist, griff die Initiative zu diesem Mittel zivilen Ungehorsams. Mit hunderten UnterstützerInnen wurden dadurch mehrere Hektar gentechnisch veränderter Pflanzen unschädlich gemacht. Näheres erfahren Sie auf der Homepage: www.gendreck-weg.de.“

In einem Newsletter dieser deutschlandweiten Initiative hieß es dann wenig später: „Immerhin ist bei der Amflora das Kontaminationsrisiko sehr hoch und kein Mensch weiß, was die Knolle an Schäden auslöst, wenn sie in die Nahrungskette gelangt. Angeblich sei das alles kein Problem, weil die Amflora ja gar nicht in den Handel kommen soll, sondern in Stärkefabriken zu Kleister und anderen Produkten verarbeitet werden soll. Was aber, wenn die Amflorastärke nicht nur im Kleister, sondern im Fertig-Kartoffelbrei auftaucht? Wer den Brei dann isst, sollte sich vor TBC hüten, denn die Amflora vermittelt auch eine Resistenz gegen ein Antibiotikum. Nach Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist genau dieses Antibiotikum ein Reservemedikament für Patienten, die gegen andere Antibiotika schon resistent geworden sind. Aber das passiert ja nicht, weil die Warenströme strikt getrennt werden und es zu keiner Vermischung kommt. Seltsam nur, dass für die Amflora auch die Zulassung als Futter- und Lebensmittel beantragt wurde. Ansonsten müssten kontaminierte Futter- oder Lebensmittel vom Markt genommen und die Betroffenen entschädigt werden. Empörend, dass die Zulassung erteilt wurde – obwohl sie nicht den aktuellen Standards entspricht, die Gesundheit der Menschen gefährdet und nicht mal die dafür vorgeschriebenen Studien (z.B. zu Fütterungsversuchen) vorgelegt wurden. Es wird also höchste Zeit zu Handeln!

Eine weitere Mail am 29.7. informierte dann darüber, dass ihre Genkartoffel-Vernichtungsaktion an dem Tag auf dem Amflora-Acker der BASF nahe Zepkow im Müritzkreis (Mecklenburg-Vorpommern) erfolgreich war.

Kartoffelprojekt. Photo: gut-hixholz.de

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