Einfach- oder Urpoller? fragte sich der Photograph Peter Grosse hierbei.
Genaugenommen geht es um Kunstkuratorinnen, die längst die Kunstpädagogin früherer Zeiten, die primär ihrem Künstlerfreund zuliebe eine Galerie eröffnete, abgelöst haben. Wir haben es hier und heute mit einem ganzen postmodernen „Netzwerk“ zu tun. Und darin werden inzwischen so gut wie alle Künste – bis hin zu Strand-, Stadteil- und Straßenfesten – verhandelt.
Kürzlich fragte ich die Ethnologin und FAZ-Polenautorin Stefanie Peter: Was sie von dem neuen Kuratorinnen-Phänomen, man könnte schon fast von einer -Bewegung sprechen, halte? Sie arbeitete bereits etliche Male als eine temporär beschäftigte Kuratorin. Für die von ihr bisher kuratierten deutsch-polnischen Kunstprojekte bekam sie vor einiger Zeit sogar einen polnischen Verdienstorden. Und das ist ja nicht wenig. Ich ahnte jedoch bereits, was sie antworten würde. Dass sie davon nicht viel hält. Von diesem komischen Job. Sie hätte jetzt langsam genug Künstler bzw. Kunstprojekte kuratiert. Und als Phänomen sei ihr diese KuratorInnen-Bewegung inzwischen suspekt geworden. Jeder , der mal etwas in die Richtung gemacht habe, nenne sich inzwischen Kurator. Es gab mal ein paar gute – den verstorbenen Harald Szeemann, und Peter Weibel – nannte sie glaube ich als Beispiele.
Bevor ich im Wikipedia nachkuckte, was das Wort überhaupt bedeutet, hatte ich bereits volle drei Jahrzehnte für diese oder jene Kuratorin gearbeitet, einmal auch für einen Kurator, was prompt schief ging.
Pollerweg. (Photo: Peter Grosse)
Das Wort Kurator kommt aus dem Lateinischen – von „curator“: „Pfleger“, „Vormund“; „curare“ heißt: „sich kümmern“. Wir werden dabei an die engagierte brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt erinnert, die bei ihrem letzten TV-Auftritt – in einer „Show“ von Christoph Schlingensief – auf einer Hollywoodtreppe herunterschritt – und unten angekommen sagte: „Kümmern Sie sich!“ Wir sollten uns also alle mehr kümmern – um Arme, Schwache, Notleidende, um Verwandte, Freunde, Nachbarn. Dieser Satz, das war gewissermaßen ihre letzte Botschaft, maggiwürfelmäßig auf drei Worte reduziert, an und für uns gewesen.
Hier geht es aber erst einmal um die Kuratoren, genauer gesagt: um blutjunge Kuratorinnen. Ein neues soziales Phänomen in den Gesellschaften des Übergangs (von der Industrie- zur Informations-Gesellschaft). Die jungen Kunst-Kuratorinnen haben nicht nur die (langsam aber sicher verbitterten) Galeristinnen alten Schlages weit hinter sich gelassen, sondern sich auch noch gleich an die Stelle der alten Kunst-Künstler gesetzt. Zunächst kamen sie gleichsam schleichend über die vielen Kunsthistoriker-Ausbildungen der Universitäten, aber bald gab es dort schon eigene „Kuratoren“-Studiengänge, in denen zu 90% weibliche Studenten ihren „Master of Curating“ machten. Dann ließen sich all die jungen Frauen, die früher Sozialarbeit studiert hätten, zu Kuratorinnen ausbilden, zuletzt schwenkte auch noch ein Teil der „Culture“ und „Media-Science“-Studentinnen zu ihnen rüber.
Kürzlich behaupteten sogar die männlichen Künstler/Betreiber des „Urban Garden-Projects“ „Prinzessinnengarten“ am Moritzplatz: „Wir sind eigentlich keine Gärtner sondern Kuratoren.“ Zwischen „Hau 1, 2, 3“ und den „Kunstwerken in Mitte“ gab es kürzlich ein regelrechtes Kuratorinnen-Aufgebot: Das war anläßlich der von zwei Chef-Kuratorinnen betreuten „6. Berlin Biennale“. Da kümmerten sich gleich drei ihrer Deputy-Kuratorinnen in einem Sonderprogramm für „Young Curators“ um zwölf Junior-, d.h. angehende, überwiegend weibliche Kuratoren. Diese waren aus der ganzen Welt zu dem zweiwöchigen Fortbildungsprogramm nach Berlin geflogen. Auch ihre fünf Senior-Kuratorinnen kamen von weither: aus Österreich, Dänemark, Kroatien, Chile und Argentinien.
Auch das Kunstpublikum macht mobil. Hier steht es allerdings gerade mal – vor und hinter einigen oberöstereichischen Rundpollern. Photo: Peter Grosse
Kanadischer Pollerladen mit bemalten und unbemalten Souvenirpollern für den Maritim-Urlauber. Photo: Peter Grosse
Sie sind es natürlich auch, die für die diesmalige Auswahl der „internationalen Künstler“ (inzwischen alle „Projektemacher“) verantwortlich sind – und nach Formen der Präsentation dieser Künstler-„Projekte“ in ihrem Kuratorinnen-„Projekt“ suchten, für das erst einmal „neue Räume“ gefunden werden mußten. Sie wollten ihr Kunstereignis nicht mehr in der fast zur Gänze von Galeristinnen und Galeristen reteritorialisierten Auguststraße stattfinden lassen – sondern wagten sich raus aus Mitte – und nach Kreuzberg. Das wurde dann auch tatsächlich als gewagt beschrieben und vielleicht sogar auch empfunden. Immerhin meinten die Chef- und Deputy-Kuratorinnen dann doch, die Securitykräfte mindestens bei den Künstlerlerprojekten am Oranienplatz verdoppeln zu müssen. Das gehört jedoch ebenso zum Ereignis wie die anonymen Plakate, die dazu aufriefen, mindestens die beiden Chef-Kuratorinnen als verantwortliche Gentrifizierer zu lynchen oder wenn auch nicht gleich zu lynchen, dann immerhin zu stalken. So wie die noch lebenden Kreuzberger Linken sich schon seit Beginn von den Kunstwerken in der Auguststraße gestalkt fühlen. Aber auch das gehört noch zum Event, mindestens zur Vorgeschichte. Zurück zu den Kuratorinnen…
Mit der Übernahme der Kunst durch die Kuratorinnen wurde aus der (männlich-hierarchisierten) „internationalen Kunst“ eine sich bekümmernde „nomadische Kunst“, auch Content generierende „Projekt-Kultur“ genannt. Nicht zufällig hieß das Kuratorinnen-Programm der „6. Berlin Biennale“, die laut ihrer Chefkuratorin Kathrin Rhomberg einem neuen Realismus verpflichtet war: „Real Things“.
In Berlin gab es, man möchte sagen: notgedrungen, immer wieder eine neue, dem Realismus verpflichtete Aufbaukunst: angefangen mit Adolf Menzel (der in die 6. Biennale integriert wurde), bis zu den Ostberliner Malern des sozialistischen Realismus und ihren Helden des Wiederaufbaus, die Walter Wommaka zuletzt mit der „Pop-Art“ verband. Während sich im Westberlin der Hausbesetzerjahre der „Studio-Realismus“ mit den „Jungen Wilden“ zu „expressionistischen Seelenzuständen“ verdichtete. (Sie wurden wegen ihrer Moritzplatz-Galerie auch „Moritz-Boys“ genannt).
Spielpilone (1). Photo: Peter Grosse
Spielpilon (2). Photo: Peter Grosse
Nach der Wende kam es zu einem neuen „Hauptstadt-Realismus“, der sich zwar noch auf diese Geste verließ, jedoch statt Menschen (Bauarbeiter gar) nur noch Baustellen malte. Ganze Spielfilme hießen „Baustelle Berlin“ und die Baustellen selbst „Schaustellen“. In dieser Situation kam die arbeitslose Kuratorin der 1993 abgewickelten „Kunsthalle“, Bea Stammer, auf die Idee, eine „Art Management“-Firma zu gründen, die diese Kunst mit den Bauherren „vernetzen“ sollte. Das war die Geburtsstunde einer weiblich kuratierten „Baustellen-Kunst“ (die es in den USA, in Asien und Arabien bereits in Ansätzen gab). Der hiesigen Kuratorin fiel dazu u.a. ein „Kranballett“ und „Lesungen auf Kränen“ (mit Otto Sanders) ein.
Als Mutter der neuen Kuratorinnen-Bewegung muß man jedoch Hannah Hurtzig ansehen (und preisen).Die ehemalige Maoistin kuratierte ihre „Formate“ erst in diversen Theaterramen (u.a. in Bochum und an der Volksbühne) und dann vollends losgelöst in Warschau, Tel Aviv und was weiß ich Wo. Wiederkehrend geht es dabei um ihren „Schwarzmarkt für nützliches Wissens“ und ihrer „Mobilen Akademie“. Dazu gehört auch ein fahrbares „Archiv“ in Wort und Ton, das man sich via Internet aneignen kann: http://www.mobileacademy-warsaw.com.
Ökopoller (1), Bundessieger 2008. Photo: Peter Grosse
Ökopoller (2), Norddeutscher Meister 2004. Photo: Peter Grosse
Bei ihren nach wie vor in Theatern stattfindenden Projekten kuratiert sie mit Hilfe von über 20 jungen Kuratorinnen bis zu 50 Uniprofs, freie Künstler und schräge Vögel. Letztere können vom Publikum „gebucht“ werden, so dass auch diese als träge Masse von den Kuratorinnen noch mit-„betreut“ werden muß. Das ist Knochenarbeit. Man sieht es ihrem „Team“ jedoch nie an.
Zurück zum neuen Realismus. Inzwischen handelt es sich bei den angehenden Kuratorinnen wie gesagt bereits um the „Real Things“. Als nächstes stehen sie selbst im Mittelpunkt des Ereignisses. Deswegen interviewte ich schon mal in dem „Real Things“-Programm die 24jährige Lerato Bereng. Sie stammt aus Lesotho und studiert „Curating“ an der Uni von Kapstadt. Dort wird sie Ende 2010 ihren „Master of Curating“ machen – als „Pionier“, wie sie sagt, denn sie wird dann die erste dort ausgebildete Kuratorin sein. Anfang 2011 muß sie bereits eine Ausstellung selbst kuratieren: südafrikanische und chinesische Kunst – in sechs verschiedenen sozialen Räumen Kapstadts. Lerato Bereng gehört nicht zu den Unterprivilegierten des Königreichs Lesotho: ihre Mutter stammt aus dem regierenden Königsgeschlecht. Das kleine Land hat weder eine Kunst- und Kuratoren-Ausbildung noch überhaupt ein Kunstmuseum (nur ein noch unbebautes Grundstück). Dafür hat das benachbarte Südafrika eine sehr lebendige „Kunst-Scene“, wie sie sagt, und diese setze sich ebenso wie die in Berlin mit der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit ihres Landes auseinander. Lerato Bereng will sie „auch der Kunst eher fernstehenden Menschen vermitteln“, also sich quasi um beide Seiten kümmern, darum war sie hier: „BMW paid for us!“
Pollerkeyboard. Photo: Peter Grosse