vonErnst Volland 22.11.2010

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Deutscher Alltag
Ein Männlein steht im Walde
Von Kurt Kister
Nachdem nun auch der „Spiegel“ die Grünen zur Volkspartei erklärt hat, ist es an der Zeit, an ein vergessenes grünes Identitätsmerkmal zu erinnern: Die Rede ist vom Schrat.
Nachdem nun auch der Spiegel die Grünen zur Volkspartei erklärt hat, ist es an der Zeit, an ein grünes Identitätsmerkmal zu erinnern, das von coolen Postmaterialisten wie Cem und Renate gerne übersehen wird. Die Rede ist vom Schrat. Historisch gesehen ist der Schrat ein stark behaarter Naturgeist, der isst, was er sammelt und zwischen den Wurzeln großer Bäume wohnt. Manchmal erschreckt er Wanderer, zu denen er eigentlich nur freundlich sein will.
Viele Schrate verließen in den siebziger Jahren die Wälder respektive die soziologischen Seminare, um Nicht-Politik in einer Nicht-Partei zu machen. Jetzt ist aus der Nicht-Partei eine Volkspartei geworden.
Viele Schrate verließen in den siebziger Jahren die Wälder respektive die soziologischen Seminare, um Nicht-Politik in einer Nicht-Partei zu machen. Die Mehrheit von ihnen fand Gefallen an der Zivilisation, an Chianti Riserva, an Interviews und sogar an der Möglichkeit, sich die Haare schneiden zu lassen. Je höher mancher Schrat (übrigens ein geschlechtsneutraler Ausdruck) stieg, desto heftiger distanzierte er sich vom Schrattum. Andere aber blieben sich und dem Wald in sich treu. An der Spitze der Grünen kommen sie – ein schönes Verb für einen Schrat – gar nicht mehr vor. Auf Parteitagen aber sieht man sie immer noch in relativ großer Zahl, was die Schratforscher sehr freut.
Eher bedroht ist der normale Waldschrat, der bärtig ist und Rohgewirktes trägt. Gerade er aber ist wichtig für die Parteigeschichte; man denke nur an die erste grüne Bundestagsfraktion. Auch der moderne Schrat widersteht dem Konsumterror; Kleidung soll höchstens praktisch, jedenfalls aber ein Statement gegen den Mainstream sein. Nirgendwo auf der Welt sieht man so eigenartige Pullover wie am Körper des Schrats. In seiner Vorliebe für bedruckte T-Shirts nähert sich der Schrat dem ihm ansonsten inkompatiblen Mallorca-Touristen an.
Politisch steht der Schrat jenen Weltentwürfen nahe, bei denen er sagen kann: „Ja, seht ihr denn nicht, dass alles den Bach runtergeht, wenn IHR so weitermacht?“ Diese Entwürfe reichen von der Peak-Oil-Theorie über die Bilderberg-Verschwörung bis zum allgemeinen Orwellianismus. Die Hauptgegner des Schrats sind Energiekonzerne, feiste Amerikaner sowie alle anderen, die nicht anders genug sind, um nicht zum großen IHR oder DIE gerechnet zu werden. Vor allem auf Parteitagen rechnen die Schrate ihre Parteiführung auch zu DENEN.
Zwar ist der politische Lebensraum der Schrate immer noch die grüne Partei. Aber auch in der Linkspartei tummeln sich etliche; dort gibt es zudem Unterarten wie den Cuba-Schrat sowie den Ex-DKP-KBW-BWK-Schrat. Denkt man dann noch an das riesige Heer der parteiungebundenen Internetschrate, muss einem nicht bange sein um die Zukunft des Schrats.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/deutscher-alltag-ein-maennlein-steht-im-walde-1.1025641

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