vonJakob Hein 30.08.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Thilo Sarrazin hat vermutlich ein Buch geschrieben. So genau weiß das niemand, weil das Buch noch nicht offiziell erschienen ist. Aber insofern das Buch schon die Nummer eins der Bestsellerliste ist und viel diskutiert wird und insofern schon einige Zitate aus dem vermutlichen Buch an die beiden Medienschwestern „Bild“ und „Spiegel“ gegeben wurden, ist es mehr als wahrscheinlich, dass das Buch tatsächlich geschrieben wurde. Unabhängig davon ist es nach seinem jetzigen Erfolg absolut sicher, dass es erscheinen wird, vollkommen unabhängig davon, ob es bisher geschrieben wurde.

Alles, was man von dem Buch sicher weiß, ist, dass Thilo Sarrazin als Autor zeichnen wird und dass darin die Zitate aus den genannten Medien vorkommen werden, unabhängig davon, ob das Buch schon geschrieben ist. Denn auch, wenn es anlässlich seines großen Erfolges jetzt erst geschrieben werden wird, müssen die genannten Zitate darin auftauchen, das erwartet das zahlende Lesepublikum, das sich ja vor allem aufgrund der Zitate das Buch kaufen wird.

Auf einer großen Welle der Empörung wurden die genannten Zitate durch das ganze Land gespült und kamen so in jeder noch so bücherfernen Ecke an, wo sie in den stets bereit stehenden Gewächshäusern, erbaut aus den hervorragend isolierenden Glaswänden von Vorurteil, Ignoranz und Langeweile unter den klimatisch optimalen Bedingungen des ausklingenden Sommers die wohlbekannten Blüten von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zum Sprießen brachten. Zwar gibt es viele, die diese Blüten zum Wachsen bringen, noch mehr, die diese Blüten gern pflegen und noch viele, viele mehr, die diese Blüten gern haben. Aber das Problem ist, dass der Club dieser Blütenfreunde ein Geheimclub ist. Es gibt so wenige offizielle Mitglieder, die aber gesellschaftlich wenig geachtet sind, wie es viele inoffizielle Mitglieder gibt, die sich als hoch geachtete Leute fühlen. Die inoffiziellen Mitglieder bedienen sich gern geheimer Zeichen am Revers, heimlicher Handschläge, einem verstohlenen Zwinkern. Und der offizielle heimliche Handschlag des Jahres der Freunde des Rassismus ist nun das Buch mit den Zitaten von Thilo geworden. Die Buchhandlungen werden sie erobern wie einst der Führer Österreich, dort das auf großen Tischen bereitwillig bereitliegende Buch greifen und zwanzig Euro Mitgliedsbeitrag zum Zwecke des Zeigens ihrer Zuneigung für die Abneigung gegen das Fremde zu zahlen. Dann werden sie in den Wohnzimmern und U-Bahnen sitzen, um im Buch die Zitate zu suchen, die sie schon aus den Zeitungen kennen und sich gegenseitig über den Buchrücken hinweg zuzwinkern mit einem zufriedenen Lächeln.

Aber all das ist natürlich vollkommen unbeabsichtigt. Der Verlag und der Autor hatten sich nur eine profunde Debatte zur strategischen Ausrichtung der Bevölkerungspolitik in den kommenden Jahrzehnten gewünscht. Der Hype, der nun um das Buch entstanden ist, die zahllosen Zeitungsmeldungen und der Bestsellererfolg – all das ist für Verlag und Autor ungewollt, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Denn in die Debatte mischen sich nun Töne der Unsachlichkeit, die den Autor vollkommen bestürzen. Die NPD lädt ihn zur Mitwirkung ein, die SPD lädt ihn zum Austreten ein, das Literaturfestival lädt ihn aus. Alles, was Sarrazin wollte, war eine sachliche Debatte zum Thema der Bildungschancen für alle in Gang zu setzen, deswegen auch die Veröffentlichung des Zitates: „Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel muslimisch ist.“ Dass sich nun an dieser sachlichen Feststellung bar jeder Emotion eine gefühlsbetonte Debatte entzündet, hat den ehemaligen Politiker natürlich schockiert. Sehr zu Recht fordert er deshalb, dass alle doch erstmal das Buch lesen sollten und die Zitate natürlich vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen sind, während sie in diesem für zwanzig Euro erwerbbaren Zusammenhang sehr nüchtern und sachlich erscheinen. So wie der Atombombenabwurf auf Hiroshima einem zunächst auch ganz schrecklich erscheint, im Gesamtzusammenhang des zweiten Weltkrieges aber plötzlich logisch und rational wirkt. Bleibt nur die beklemmende Frage, wer diese Zitate so grausam aus ihrem Zusammenhang gerissen auf den Markt der Meinungen geworfen hat, aber das wird sich wohl abschließend nicht klären lassen. Vielleicht ein Praktikant des Verlages, oder gar ein Maulwurf, der dem Buch schaden wollte?

Jedenfalls habe ich eine Rezension zu dem Buch von Thilo Sarrazin vorbereitet. In dieser Rezension beklage ich unter anderem, „dass dieser dreckige kleine Salonrassist mal wieder sein Spundloch geöffnet hat, um dünn mit dem Mantel der Sachlichkeit bedeckte Hasstiraden aus seinem hohlen Hirnkasten zu entlassen.“ Das klingt nach einer schroffen Ablehnung, aber im Zusammenhang der Gesamtrezension wird deutlich, wie konstruktiv ich Sarrazins Anregung einer Diskussion der Migrationsproblematik gegenüber stehe. Ohne ihren Kontext scheint auch die Zeile: „Wenn er Menschen auf ihre Verwertbarkeit hin untersuchen will, regt das sicher zum Kotzen, kaum aber zum Nachdenken an.“ kontrovers zu klingen. Auch wirkt es für sich genommen extrem, wenn ich schreibe, „dass aus dem jauchigen Tümpel dieses halbseitengelähmten Spuckfroschs hoffentlich keine Enkel oder gar Urenkel hervorgehen, die das offensichtlich fehlerhafte Genmaterial Sarrazins weiter über den Planeten tragen müssen.“ Aber wenn man die ganze Rezension liest, erkennt man, dass hier jemand ernsthaft um die sachliche Auseinandersetzung bemüht ist. Auch wenn ich im Rahmen der Textexegese davon schreibe, dass „dieses rassistische Schwein jahrelange politische Mitverantwortung für die Zustände trägt, die es jetzt klagend begrunzt“, dann kann dieses Zitat aus dem Zusammenhang gerissen unsachlich und verletzend wirken.

Daher verlange ich nicht mehr und nicht weniger, als dass meine Rezension erst beurteilt wird, wenn der ganze Text veröffentlicht und im Ganzen verstehbar ist. Denn dann erst erschließt sich, warum ich Sarrazin am Ende des Textes die Krätze an den Hintern in Kombination mit kurzen Armen wünsche. Für Diskussionen stehe ich nach der Veröffentlichung jederzeit bereit, mein Vorschlag wäre das Clubhaus von Türkiyemspor –  weil mir da die Akustik so zusagt.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/landschaft_absicht_deutsch_-_bisher_unveroeffentlichte_rezension_an_sarrazins_buch/

aktuell auf taz.de

kommentare