vonSchröder & Kalender 06.01.2008

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Ich setzte bei März und Olympia Press einen Hammerschlag auf den anderen und verstörte mit unseren Hervorbringungen viele, die spießigen Bölls, die feinsinnigen Liebhaber galanter Libretti wie Joachim Kaiser, die noch ziemlich sprachlosen Genossen wie Peter Schneider und solche linksbewegten Literaten wie Peter Handke. Ja, auch Handke war damals a bisserl links. Mehr aber als verstört, also fassungslos empört, waren die Sinngeber aus solchen Metropolen der Kultur wie Bottrop.

1971 lud ich zu einer Pressekonferenz in Dortmund, die intellektuelle Szene war damals erheblich proletarisiert, nicht weit entfernt vom ›Bitterfelder Weg‹, ›Greif zur Feder, Kumpel‹, Max von der Grün, F. C. Delius und Günter Wallraff vorneweg, die ehemalige ›Gruppe 61‹, jetzt ›Literatur der Arbeitswelt‹ oder auch ›Werkkreis 70‹ genannt. Ein schrecklicher bundesrepublikanischer DDR-Muff! Da kam mir Hans Henning Claer gerade recht, ein ehemaliger Polizeiboxmeister aus Berlin, der als Kumpel in Bergkamen lebte.

Noch in meiner Melzer-Zeit schickte er mir ein handgeschriebenes Manuskript in einer dumpfen großen Schönschreibschrift. Der Text war altfränkisch ausgedröhnt, besaß viele bombastische Genitive, die nobilitierende Protokollsprache des Polizeiwachtmeisters, der sich zum Schriftsteller berufen fühlt. Ich schrieb ihm einen Brief: »Lassen Sie doch diese gestelzte Sprache. Schreiben Sie, wie die Leute reden, die Leser wollen etwas vom Leben erfahren und nicht, ob Sie die Mittlere Reife geschafft haben.«

Ein halbes Jahr später erhielt ich einen dicken Umschlag, Claer teilte mit, daß er alle meine Anweisungen befolgt habe, jetzt stehe es so auf dem Papier, wie ich es ihm aufgetragen habe. Sein Manuskript hieß ›Glück auf, Kumpel‹. Und wegen der ›Bitterfelder‹ Jungs in den Feuilletons dachte ich mir, dieses Werk muß erscheinen, so, wie es ist, weil ich mir nämlich einen Ast lachte beim Lesen. Es gibt darin unschlagbare Sätze, anhand derer, wenn sie nicht so eng im Kopf wären, ganze Soziologenjahrgänge des Instituts für Handelsforschung der Universität zu Köln über Konsumismus forschen könnten, wie: »Der Slip flog in die Constructa.« Oder Alfons Silbermann könnte in der Schriftenreihe ›Kunst und Kommunikation‹ ausreichend Textstellen analysieren: »Auf dem reizvollen Körper hechelnd schlug der Glutäugige wieder zu: ›Oh, wie das juckt. Ich schmeck mein Blut.‹ ›Du Sau … du Mörder!‹ Und ganz von ferne vernahmen die Perversen das Keifen von Krampfader-Marie.«

Ja, das ist doch die reine Pütt-›Ilias‹. Haben sie nicht etwas Hauptumlocktes, etwas von der bombastischen Griechensprache, die schlau ersonnenen Worte dieses Kumpels, das ist doch Natur-Ilias, also Natursekt. Ich lachte Tränen und dachte: ›Glück auf, Kumpel‹ ist ein blöder Titel. Welche Wortverbindungen kenne ich mit ›Kumpel‹? Und weil ich von Düsseldorf aus oft im Ruhrgebiet war, fielen mir die geflügelten Worte ein: »Laß jucken, Kumpel!« Die waren damals überhaupt noch nicht sexuell besetzt, bedeuteten einfach nur: »Nu’ mach mal!« Am nächsten Tag gab ich das Manuskript meinem Olympia-Press-Lektor Hardo Wichmann: »Lies nur auf Orthographie, Zeichensetzung, ein wenig Grammatik, möglichst nichts ändern. Also quasi nur abtippen lassen, damit wir es so in Satz geben können.« Nach zwei Tagen kam Hardo: »Aaber«, er stotterte, wenn er sich erregte sogar heftig, »dadas kakann maman seseso nicht mamachen!« »Laß es so!«

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Dieses Buch sollte jetzt auf einer Pressekonferenz vorgestellt werden – eine Dortmunder Inszenierung. Claer schlug ich vor: »Moppel«, das war sein Boxerspitzname, auf dem bestand er, »bring doch ein paar Kumpels mit zur Pressekonferenz, du hast doch dein Buch nach deren Leben geschrieben.« Denn gleich nach Erscheinen setzte im Ruhrgebiet eine hitzige Diskussion ein: »Bergmannssex – Skandal! Der Kumpel wird zum Sexmonster!«; ›Bild Essen‹ machte mit großen Schlagzeilen auf, für sie ein gefundenes Fressen. Die Literaturheinis des ›Werkkreises‹ meldeten sich zur Pressekonferenz an und drohten, gegen mich und Claer mit allen Mitteln vom Leder ziehen zu wollen. Das WDR-Fernsehen fuhr mit seinem Literaturchef Ivo Frenzel auf, alle nahmen sich vor, es dem zynischen März-Verleger, dem aber auch nichts heilig ist, der jetzt sogar die Welt der Arbeit in den Dreck des Pornomilieus zieht, mal richtig zu zeigen.

Jedoch es wurde nichts draus, denn Moppel und seine zehn Kollegen rissen die Diskussion an sich. Kein Pressemensch, keiner der anwesenden Autoren kriegte auch nur einen Fuß dazwischen. Die Kumpels diskutierten zwei Stunden unter sich darüber, ob die Olle von Friedhelm tatsächlich vormittags mit Hartmut, der nicht auf Schicht war, fremdgegangen war oder nicht. Sie ließen nicht über Textstrukturen und Erlebnispostulate mit sich reden, nicht über die literarisch-künstlerische Auseinandersetzung mit der industriellen Arbeitswelt, nur Fragen über das System ihrer Wohnblocks und ihres Zusammenlebens waren interessant. Sie sprachen noch nicht mal über Claers Roman, sondern über ›Bild‹, denn sie hatten sein Buch gar nicht gelesen. In der ›Bild‹-Zeitung stand genau beschrieben, wie die Frauen und Männer es in ›Laß jucken Kumpel‹ treiben. So redeten sie nicht über Romanfiguren, sondern über Menschen vor Ort: »Och hör doch auf! Natürlich geht die Erna mit dem Gerold, ich hab sie doch vorgestern noch zusammen gesehen! Erna …«

Das WDR-Team kurbelte, was das Zeug hielt. Die Kumpels packten ihren Pütt-Tratsch und die Heiße-Hosen-Geschichten aus, alles, was sie sonst nur am Stammtisch nach zehn Bier rauslassen, schmissen sie sich an den Kopf. Es gab natürlich auch Freibier, die Pressekonferenz fand schließlich im Saal einer Kneipe statt. Ich habe den WDR-Beitrag später nicht gesehen, aber man berichtete mir, daß er sehr lustig gewesen sei. Die Kritiker hingegen waren nicht amüsiert, solche Medien-Happenings nahmen sie mir eben übel. Und wahrhaftig, eine Pressekonferenz wie diese gab es vorher noch nie und später auch nicht wieder. Das war eine ›Von der Lippe‹- und ›L’amour en danger‹-Mischung, nur zwanzig Jahre früher – al fresco. Horst-Dieter Ebert war wie immer für den ›Spiegel‹ dabei, das ergab drei, vier Spalten. Nicht, daß du denkst, er habe jedesmal zwei Mille geschnappt, er kam auch ohne Bezahlung, ich lieferte doch schöne Themen.

(BK / JS)

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