Koordination: Kiva Drexel
Es war der erste Tag des unbefristeten Streiks in Abancay, einer Stadt in der südlichen Region Apurímac. Die Atmosphäre war angespannt, aber es herrschte eine gesellige Stimmung. Vor allem aufgrund der vielen Menschen, die aus den verschiedenen Provinzen kamen, um ihren Forderungen und gemeinsamen Zielen Gehör zu verschaffen. Am ersten Tag, dem 12. Dezember, verlief der Streik ohne jegliche Auseinandersetzungen. Die Polizei beschützte die öffentlichen Einrichtungen und es gab keine Zwischenfälle, außer in der Stadt Andahuaylas, drei Stunden von Abancay entfernt, wo fünf Tote gemeldet wurden.
Am nächsten Tag gab es in Abancay nur wenig Polizeipräsenz. Dagegen gab es viele Beamte in Zivil und anstatt die öffentlichen Einrichtungen zu schützen, sahen wir, wie die infiltrierten Polizisten Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum verübten. Viele gaben dennoch den Demonstranten die Schuld.
Am Abend ging eine Gruppe von Bürgern auf die Straße, um gegen den Vandalismus zu protestieren, wobei sie die Demonstranten, insbesondere die angereisten Indigenen, ohne jeden Grund beschuldigten. Diese reaktionären Gruppen gewannen mit der Zeit an Stärke und wurden später mit dem Slogan „Nein zu Vandalismus; kein Terrorismus mehr“ bekannt. Sie zeichnen sich durch ihre rassistischen und klassistischen Äußerungen aus.
Neue Verfassung könnte die Situation verbessern
Nach dem Staatsstreich von Castillo mitsamt seiner Ungeschicklichkeit und seinen Unzulänglichkeiten, bedeutete der Amtsantritt von Dina Boluarte eine offenkundige Veränderung des politischen Szenarios. Die neue Präsidentin ist zwar legal ins Amt gekommen, aber für eine große Mehrheit der Bevölkerung mit illegitimen Mitteln.
Ich glaube nicht, dass Peru bald aus der Krise herauskommt. In diesem Moment spürt man die Wut der Bevölkerung auf die aktuelle politische Situation. Ich denke, wir müssen politische Reformen durchführen, damit sich die Bevölkerung besser vertreten sieht. Ich möchte nicht mehr zwischen dem kleineren und dem größeren Übel wählen müssen. Ich weiß, dass eine neue Verfassung nicht alles ändern kann, aber sie kann dazu beitragen, die Situation zu verbessern und das Land demokratischer zu gestalten.
// Dante Wayrasonqo, Ingenieur, Apurímac / Abancay
Wie wir auf nationaler Ebene und speziell hier in der südlichen Andenregion gesehen haben, hat die Tatsache, dass ein Präsident abgesetzt wurde, der von einer Mehrheit in diesen Gebieten gewählt wurde, die Bevölkerung mobilisiert. Zumindest mich mobilisierte das starke Gefühl, dass wir nie an der politischen Gestaltung dieses Landes teilnehmen konnten.
Über Jahre erlegten uns der Kongress und die Exekutive Gesetze auf, die meist zu ihren Gunsten waren. Jetzt gerade sehen wir, wie die Regierung den neoliberalen Unternehmen die Steuern erlässt und millionenschwere Verträge für viele Jahre verlängert. Die Bevölkerung spürt, dass es so nicht weitergehen kann und dass es Veränderungen geben muss.
Es gibt verschiedene Forderungen. Die wichtigsten sind, dass Dina Boluarte und die Spitze des Kongresses zurücktreten und dass noch in diesem Jahr Wahlen angesetzt werden sowie ein Referendum darüber abgehalten wird, ob es eine verfassunggebende Versammlung geben wird.
Ich habe das Gefühl, dass sich der gesamte Süden und jetzt auch der Norden und das Zentrum des Landes auflehnen. Das ist ein gutes Zeichen, denn es zeigt die Ablehnung des neoliberalen Systems, in dem wir leben. Ich spüre auch eine Hoffnung, dass wir – trotz der Trauer über die Morde – mit neuen Perspektiven und neuen Gedanken in der Gemeinschaft zusammen vorankommen werden. Wir werden den heutigen Individualismus überwinden. Schritt für Schritt, trotz aller Unzulänglichkeiten, aller Probleme, die auftauchen werden.
// Claudia (Name von der Redaktion geändert), Journalistin, Apurímac / Andahuaylas
„Wir sind es leid, Gewalt zu sehen“
Die Repression der Regierung von Dina Boluarte ist keineswegs neu. ANFASEP besteht nun seit 40 Jahren. Wir sind es leid, Gewalt zu sehen. Derzeit ermorden sie Menschen in vielen Dörfern, in Juliaca, in Andahuaylas, in Ayacucho. Wir protestieren lautstark und sie töten uns mit Schüssen, am helllichten Tag.
Sie haben junge Menschen voller Lebensenergie getötet. Ihre Familien leiden, so wie wir gelitten haben. Ich weiß nicht, ob es für diese Menschen Gerechtigkeit geben wird. Hier in Ayacucho sind wir in Trauer und niemand unternimmt etwas. Die gekauften Journalisten, die alle Fujimori befürworten, äußern sich nicht dazu.
Die Polizei und das Militär betrachten uns nicht als Menschen, sie töten uns wie Tiere. Es heißt, es sei das erste Mal, dass mit Boluarte eine Frau Präsidentin ist. Und wie hat sie das gemacht? Sie ist mordend ins Amt gekommen. Sie soll den Kongress und den Regierungspalast verlassen, sie ist nicht unsere Präsidentin.
Unser Präsident ist Pedro Castillo. Wir alle haben ihn unterstützt. Die Fujimoristas, die im Kongress sitzen, haben unseren Reichtum an sich gerissen. Und als Pedro Castillo begann, unsere Rechte einzufordern, haben sie ihn ins Gefängnis gesteckt. Und wie damals Fujimori, wird auch Dina Boluarte sofort als Präsidentin vereidigt. Doch wir haben nicht für sie gestimmt.
// Lidia Flores, Präsidentin von ANFASEP (Asociación Nacional de Familiares de Secuestrados,*Detenidos y Desaparecidos del Perú), Huamanga / Ayacucho
Ich war gerade auf der Arbeit in der Apurímac-Region. Um zwei Uhr erfuhr ich, dass mein Bruder von einer Kugel getroffen worden war. Man schickte mir per WhatsApp ein Video. Mein Bruder war Präsident der bäuerlichen Gemeinde von Anta und Präsident des Bauernverbandes der Anta-Provinz. Er war als Gemeindepräsident federführend in der Organisation der Proteste. Auf einem Gemeindetreffen wurde die Entscheidung getroffen, gegen die Regierung von Dina Boluarte zu demonstrieren. Er war ständig bei den Treffen gewesen, weil die Gemeinschaft von Anta dort war.
Feige Regierung
Für mich ist das Verhalten der Regierung feige. Ich glaube, dass in unserem Land Rechtsvorschriften existieren und wenn eine Person gegen diese Vorschriften verstößt, müssen die zuständigen Stellen eine Mitteilung machen, sei es über die Justiz oder die Kriminalpolizei. Dazu ist es nicht gekommen, und wie ich nun von meiner Familie höre, wurde mein Bruder schon seit längerem überwacht. Das ist auch eine Gefahr für mich und für meine ganze Familie.
// Romulo Candia Guevara, Anthropologe und Bruder von Remo Candia Guevara, der am vergangenen 11. Januar durch Polizeischüsse ums Leben kam, Cusco
Weitere Stimmen des Protests in Peru finden Sie in der aktuellen Ausgabe der Lateinamerika Nachrichten.
// Übersetzung und Transkription: Moritz Aschemeyer, Tininiska Zanger Montoya, Elisabeth Erdtmann, Sarah Schaarschmidt & Johanna Saggau