vonBlogwart 09.04.2011

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Von Luis Cruz

Foto: Fiona Krakenbürger
Foto: Fiona Krakenbürger

Neukölln ist so was wie das Sahnebonbon unter den Berliner Bezirken. Harte Schale, weicher Kern. In den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung als Keimzelle der Deutschfeindlichkeit wahrgenommen, in der knallzarten Realität allerdings irgendwas zwischen trendiger Szenebezirk und Multikulti-Familien-Kiez. Der Hermannplatz ist Herberge für studentische Wohngemeinschaften, rund um die Weserstraße reiht sich eine hippe Kneipe an die andere. Und trotzdem scheint kein Beitrag über den Südberliner Stadtteil ohne „Multikulti ist gescheitert“-Floskeln a la Herrn Buschkowsky (Bezirksbürgermeister von Neukölln, SPD) auszukommen. „Experten“ wollen Neukölln gar als Rekrutierungsmaschinerie für radikal islamistische Terrororganisationen verstehen. Das dem nicht so ist, wollen die Schüler Ugur Adigüezel und Yachya Rmeid von der Neuköllner Otto-Hahn-Schule zur Sprache bringen. Auf dem taz-Kongress unterhalten sich die beiden Schülervertreter mit der taz-Redakteurin Alke Wierth über „die mediale Konstruktion eines Stadtteils und seiner BewohnerInnen“. Gemeint ist natürlich Neukölln. Mit ihrem selbstgedrehten 20-minütigen Dokumentarfilm wollen die beiden Schlagzeilen wie „jeder vierte Neuköllner lebt auf Kredit“ oder „Neukölln – Der Hinterhof der Hauptstadt“ korrigieren und richtig stellen. Beide sind vor ungefähr zehn Jahren nach Neukölln gezogen.

Yachya ist in Ostfriesland geboren und arabischer Abstammung. Er ist der dominantere von beiden. Bevor er auf die Otto-Hahn-Schule gewechselt ist, hat er nur schlechtes über selbige gehört. „Die haben mir gesagt, da werden die Lehrer in Mülltonnen geworfen“, erzählt er. Er hat etwas ganz anderes erlebt. „Ich bin mit meinen Lehrern richtig gut befreundet“. Das ihm dieser Umstand unter seinen Mitschülern den Ruf als Schleimer und Streber einbringt, interessiert ihn nicht.

Hausblog-Reporter Luis Cruz. Foto: Fiona Krakenbürger
Hausblog-Reporter Luis Cruz. Foto: Fiona Krakenbürger

Ugur ist türkischer Abstammung und seit 1998 deutscher Staatsbürger. Er dürfe sich nun „Deutscher mit Migrationshintergrund nennen“, stellt er schmunzelnd fest. Er fühlt sich wohl an seiner Schule. Natürlich gäbe es auch Mobbing unter den Mitschülern. Das sei aber nicht durch den hohen Ausländeranteil bedingt (der Schulleiter schätzt den Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund auf über 90%) sondern liege lediglich an dem pubertierenden Wesen der etwa 700 Schüler. „So was gibt es doch überall.“

Es ist die erste Veranstaltung am heutigen Tag. Der kleine Veranstaltungsraum ist vollkommen überfüllt, einige müssen stehen, der Großteil kommt jedoch gar nicht erst herein. „Wurdet ihr schon mal aufgefordert, Al Qaida oder so beizutreten?“ möchte ein Reporter aus dem Publikum wissen. Ugur und Yachya lassen sich Zeit mit der Antwort. „Nein“. Auch der taz-Kongress ist vor medialer Konstruktion nicht gefeit …

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