Download als PDF: Bescheide der Senatsverwaltung aus dem Jahr 2008 über die Geheimhaltung der Schulinspektionsberichte und der Prüfungsergebnisse zum Mittleren Schulabschluss
Die Veröffentlichung der Daten über die Leistungen einzelner Schulen sei „nicht möglich“, schrieb die Verwaltung von Berlins Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) im Jahr 2008 an die taz. Die Redaktion hatte damals zwei Anträge auf Akteneinsicht gestellt und sich auf das Informationsfreiheitsgesetz des Landes (PDF) gestützt, das die Aktenschränke der Behörden für alle Bürger öffnen soll. Die Anträge wurden damals abgelehnt. Jetzt hat Zöllner plötzlich von sich aus die Veröffentlichung der Informationen angekündigt.
Vor zwei Jahren gab es nach Ansicht von Zöllners Verwaltung noch viele Gründe gegen so viel Transparenz: „Im Falle einer Gestattung der Einsichtnahme könnten die Lehrkräfte ,an den Pranger gestellt‘ werden“, heißt es in einem Bescheid an die taz. Wir wollten wissen, wie gut die Schüler der einzelnen Schulen im Durchschnitt beim „Mittleren Schulabschluss“ (heißt anderswo Realschulabschluss oder Mittlere Reife) abschneiden. Doch das lehnte die Senatsverwaltung ab: „Da an den Schulen nur jeweils wenige Lehrkräfte ein Fach unterrichten, kann durch die Kenntnis der Einzelergebnisse problemlos auf einzelne Lehrkräfte geschlossen werden, die namentlich genannt und für Ergebnisse verantwortlich gemacht werden können. Ein vorschnelles Urteil über eine Lehrkraft möchte meine Verwaltung aber in jedem Fall verhindern“. Seien die Informationen „erst einmal der Einsichtnahme zugänglich gemacht, so können sie nicht wieder ‚zurückgeholt‘ und unter Verschluss gebracht werden.“
Eine Einsicht in die Daten sei „rechtlich nur möglich und zulässig, wenn diese Schulen auf der Grundlage der Entscheidung ihrer Schulkonferenz ihre Ergebnisse veröffentlichen“, schrieb die Senatsverwaltung. Auch wegen des Datenschutzes der Lehrer müssten die Informationen unter Verschluss bleiben: „Die Reidentifizierung der Lehrkräfte lässt sich in Anbetracht ihrer geringen Zahl, die in Klassenstufe 10 das jeweilige vom Mittleren Schulabschluss betroffene Fach unterrichten, im Falle einer Einsichtnahme nicht vermeiden. Diesem Problem kann nicht, wie Sie es vorschlagen, durch Schwärzung begegnet werden. Vielmehr müssten sämtliche Lehrkräfte um ihr Einverständnis zur Einsichtnahme gebeten werden.“ Es sei auch zu befürchten, dass es aufgrund der Daten zu vorschnellen Urteilen kommt: „Viel zu schnell werden oftmals Schlussfolgerungen gezogen, die Hintergründe und Umstände unberücksichtigt lassen.“
In einem zweiten Antrag der taz ging es um die Schulinspektionsberichte. Die sind das Ergebnis einer Evaluation von drei bis vier Personen (ein Schulrat oder Seminarleiter, zwei Schulleiter oder Lehrer und ein Elternteil oder Wirtschaftsvertreter), die eine Schule mehrere Tage lang besuchen. Sie verteilen Fragebögen an Lehrer, Schüler und Eltern, führen Interviews mit Eltern, Lehrern und der Schulleitung und setzen sich in den Unterricht. Heraus kommt ein rund 30 Seiten langer Bericht, der die Situation der Schule sowie ihre Stärken und Schwächen beschreibt und der Empfehlungen gibt. Auch hier lehnten Zöllners Mitarbeiter eine Veröffentlichung ab:
Diese Informationen dienen in einem ersten Schritt dazu, den Ist-Zustand an der jeweiligen Schule zu erfassen. Stärken und Schwächen der Schule, der Schulorganisation, der Umsetzung des staatlichen Unterrichts- und Erziehungsauftrages, des pädagogischen Verhaltens, des Unterrichtsklimas, des Umgangs der Lehrkräfte mit den Erziehungsberechtigten, des Schulprogramms, der Entwicklung von Lehr- und Lernprozessen sollen unbefangen und ohne die Besorgnis, sich zu blamieren oder blamiert zu werden, erfasst und bewertet werden.
Nur wenn das Vertrauen besteht, dass die Schulevaluation sachbezogen und mit dem nachfolgenden Ziel der Optimierung der jeweiligen schulischen Situation durchgeführt wird, ist mit einer offenen und unbefangenen Mitwirkung zu rechnen. Fehlt dieses Vertrauen, so ist zu erwarten, dass die Situation geschönt dargestellt wird. Die Schulevaluation wird aber nicht im Interesse einer Selbsttäuschung durchgeführt, sondern um belastbare Fakten zu Tage zu fördern, mit deren Hilfe anschließend die Situation an der jeweiligen Schule im Interesse insbesondere der Schülerinnen und Schüler optimiert werden soll.
Die Bewahrung der zunächst vom ehemaligen Senator Böger zugesagten und von Herrn Senator Prof. Zöllner erneut betonten Vertraulichkeit der Ergebnisse der Schulevaluation ist demzufolge unverzichtbare Voraussetzung und ebenso unverzichtbares Mittel dieser Evaluation. Diese verfolgt nicht das Ziel, Schulen und schulisches Personal gegeneinander auszuspielen oder öffentlicher Kritik auszusetzen, sondern sie soll gerade umgekehrt die Grundlage für die nachfolgende Optimierung der jeweiligen schulischen Situation bilden.
Im Sinne dieser – unverzichtbaren – Vertraulichkeit und der daraus resultierenden Möglichkeit einer Verbesserung der Situation an der jeweiligen Schule ist das Interesse der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung an der Wahrung dieser Vertraulichkeit höher zu bewerten als das Interesse an der Information von Bürgern über die bisherigen Ergebnisse. (…)
Über diese auf den Willensbildungsprozess innerhalb der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung bezogenen Sachverhalte hinaus enthalten die Evaluationsberichte zu einem beträchtlichen Teil Informationen über Stärken und Schwächen einzelner Personen, namentlich der jeweiligen Schulleitungen, aber auch sonstiger reanonymisierbarer Personengruppen. Insoweit handelt es sich um schützenswerte personenbezogene Daten im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a des IFG.
Der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Alexander Dix, teilte diese Rechtsauffassung (Jahresbericht 2008, Seite 174-176). Die taz akzeptierte die Entscheidung der Bildungsverwaltung und verzichtete darauf, sie gerichtlich überprüfen zu lassen.
Jetzt will Zöllner plötzlich doch alles veröffentlichen: „Zur Standortbestimmung der Schulen und zur Elterninformation beabsichtigt Senator Zöllner in einem fairen Vergleich die Veröffentlichung der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten, Schulabschlüssen und Schulinspektionsberichten“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Die taz fragte bei der Bildungsverwaltung an, wie sie zu ihren Argumenten von vor zwei Jahren steht. In der Antwort werden die damaligen Argumente einfach für falsch erklärt: „Es ist weder damit zu rechnen, dass Schulen zukünftig ihre Situation geschönt darstellen werden, noch wird das Ziel verfolgt, ‚Schulen und schulisches Personal gegeneinander auszuspielen oder der öffentlichen Kritik auszusetzen‘.“ Wie die Bildungsverwaltung vor zwei Jahren zu der gegenteiligen Einschätzung kommen konnte, erklärt sie nicht. Es sei auch noch nicht entschieden, ob die Lehrer vor Veröffentlichung der ihnen zuzuordnenden Daten um Zustimmung gefragt werden: „Ob und inwieweit Absprachen und Einbeziehung betroffener Personengruppen im Zusammenhang mit der dann möglichen Veröffentlichung von Inspektionsberichten vorgenommen werden, ist bisher noch nicht endgültig geklärt.“
Es folgt nun die vollständige Antwort von Zöllners Pressesprecherin auf die taz-Anfrage:
Sehr geehrter Herr Heiser,
die Überlegungen zur Veröffentlichung von Schulinspektionsberichten beziehen sich auf den Zeitraum ab dem kommenden Schuljahr 2011/12. Die erste Runde Schulinspektionen wird dann abgeschlossen sein; d.h. alle Berliner Schulen sind bis dahin inspiziert und die zweite Runde Schulinspektionen wird dann beginnen. Hinsichtlich dieser zweiten Runde findet eine konzeptionelle Überarbeitung statt, um aus den Ergebnissen der ersten fünf Jahre Schlussfolgerungen für ein möglicherweise zu modifizierendes Evaluationsverfahren und inhaltliche Schwerpunkte zu ziehen. Ob und inwieweit Absprachen und Einbeziehung betroffener Personengruppen im Zusammenhang mit der dann möglichen Veröffentlichung von Inspektionsberichten vorgenommen werden, ist bisher noch nicht endgültig geklärt.
Zweifelsfrei liegt hier jedoch kein Vertrauensbruch vor. Die von den Senatoren Böger und Zöllner gemachten Zusagen über die Vertraulichkeit von Inspektionsergebnissen in der ersten Runde Schulinspektionen wird eingehalten. Der erste Schritt zur Erfassung „Ist-Zustandes an den jeweiligen Schulen“ hat eine offene und konstruktive Mitwirkung durch die Schulen erfahren. Tatsächlich hat eine Vielzahl von Schulen die Inspektionsberichte von sich aus auf ihren Homepages veröffentlicht. Und auch für die zweite Runde werden Rahmenbedingungen geschaffen, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Evaluation von Stärken und Schwächen der Schulen fördern. Es ist weder damit zu rechnen, dass Schulen zukünftig ihre Situation geschönt darstellen werden, noch wird das Ziel verfolgt, „Schulen und schulisches Personal gegeneinander auszuspielen oder der öffentlichen Kritik auszusetzen“. Auch zukünftig werden Inspektionsberichte keine Gesamtbewertung für die Qualität einer Schule ausweisen, sondern weiterhin starke und entwicklungsfähige Bereiche und Merkmale beschreiben. Als Instrument für ein Schulranking werden sich diese Berichte auch künftig nicht eignen.
Mit freundlichen Grüßen
Beate Stoffers