Jetzt, da ich wieder Aushilfshausmeister bin, fällt mir erneut auf, dass in der taz nur noch zwei alt-tazler während der Arbeit kiffen, alle anderen, wenn überhaupt, erst nach der Arbeit. Dazu kommt, dass sie abgesehen von den Praktikanten fast alle mehr als pünktlich Feierabend machen. Das Nichtkiffen im Dienst wie die Einführung eines regelrechten Feierabends in diesem selbstverwalteten Alternativbetrieb hat sich erst in den letzten Jahren eingeschlichen. Ersteres mit der Begründung – wenn man jemandem während der Arbeit einen Joint reicht: „Um Gottes willen, dann kann ich gar nicht mehr arbeiten!“ Ähnlich wird eine Einladung zu einem Glas Rotwein am Vormittag kommentiert.
Auch diese veränderte Praktik verdankt sich der Anpassung an die Umwelt (das Schweinesystem drumherum) – und ist Ausdruck einer zunehmenden Trennung von Leidenschaft und Leistung („wir müssen uns stärker professionalisieren!“ „Ich seh das ganz leidenschaftslos!“ – stehende Redewendungen).
Man sagt, der Motor hat eine Leistung von…Das ist der physikalische Leistungsbegriff. Er ähnelt dem in der Wirtschaft, wo die Körper primär physikalisch begriffen werden und es um das Verhältnis der Arbeit zur Arbeitszeit geht, ähnlich dem Leistungsbegriff in der Informatik: zur Beschreibung der Verarbeitungsgeschwindigkeit von Computern. In der Nachrichtentechnik steht die Leistung für den Verkehrswert, den eine nachrichtentechnische Anlage maximal verarbeiten kann und im Zivilrecht für die ziel- und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. In der Schule und im Sport schlägt sie sich in Zensuren bzw. Zahlen und Medaillen nieder. Man spricht ferner von Leistungsträgern – damit sind meist die mediokren „Eliten“ gemeint, z.B. die Krankenkassenmanager: Je weniger sie uns zahlen, desto mehr streichen sie die „Leistungen“ heraus. Auf der anderen Seite stehen die Leistungsschwachen – Nichtskönner und Arbeitsverweiger. Dazwischen die Kanzlerin Angela Merkel – mit der Kraft der zwei Herzen: „Wenn wir ein Land sein wollen, in dem wir ein Herz für Schwache haben, dann brauchen wir auch ein Herz für Leistung.“ Sowie für Fleiß, Disziplin und Gehorsam.
Diesem ganzen kerndeutschen Scheiß gegenüber steht die Leidenschaft: Wenn die Leistung tauschwerorientiert ist, dann ist die Leidenschaft gebrauchswertorientiert, d.h. wenn die Leistung genaugenommen aus angepaßter Sklavenarbeit besteht, dann die Leidenschaft aus seinsvergessener Freude am Tun, an der selbstgestellten Aufgabe. Nur in seltenen Momenten gelingt es, aus der Leistungsnot mit Leidenschaft herauszukommen. Solschenizyn hat in seinem ersten Gulag-Roman geschildert, wie „Iwan Denissowitsch“ bei einer Zwangsarbeit dennoch gute Arbeit gelang – die ihn befreidigte. Im Westen waren und sind es meist die Produktivgenossenschaften, die versuchen, sich zwischen Leistung und Leidenschaft auszupendeln: Wie zwischen profitorientierten Managern oben in der Verwaltung und den faulen Schweinen unten an der Maschine, wobei letztere sich jedoch selbst alle für schwere Malocher halten – und dafür die Schlipsträger für lauter Nichts- und Wichtigtuer.
Der Sozialismus wurde zwar mit Leidenschaft und Leistung gleichermaßen „aufgebaut“, aber auch das mußte immer wieder ausgependelt werden – mit: „Leistungsgerechtem Lohn“ und Marxschen Diktum: „Die Kritik ist keine Leidenschaft des Kopfes, sie ist der Kopf der Leidenschaft“. Die Arbeiter- und Bauern-Ideologie verhinderte dabei nach beiden Seiten hin die schlimmsten Auswüchse. Desungeachtet deutete die dämliche Treuhand-Chefin Birgit Breuel die einstige Brigadegemütlichkeit sofort in „versteckte Arbeitslosigkeit“ um und ein noch mieserer Berliner CDU-Politiker sprach neulich von einem „Zwangsarbeitssystem“.
In Andrej Platonows Roman aus der Zeit des sozialistischen Aufbaus in dedr Sowjetunion „Tschewengur“ (1927) gab es den leidenschaftlichen Läufer Louis – man ließ ihn laufen, machte ihn jedoch zu einem Boten. Er war glücklich! Das ist genau das Schema des Genossenschaftstheoretikers Charles Fourier, der die Leidenschaft in seinem Kommunemodell (Phanlanstère) an die Stelle von Leistungsdruck setzte – so konsequent, dass Marx und Engels seine Werke immer wieder mit Vergnügen lasen und André Breton im Exil nichts anderes. „Wünscht sich nicht jeder, die Arbeit in Lust zu transformieren (und nicht etwa die Arbeit zugunsten der Freizeit nur auszusetzen)?“ fragte sich Roland Barthes – in „Sade, Fourier, Loyola“. Das „Feld des Bedürfnisses“ ist ihm zufolge „das Politische“ (auch für einige Marxisten, die dazu computerisierte Netzwerke als neue „Lösung“ loben), „das Feld des Begehrens ist dagegen das Häusliche“. Auch für den Leidenschaftssystemiker Fourier ist die Produktion eine häusliche Angelegenheit, sogar die händlerische Tätigkeit, obwohl er als ehemaliger Handlungsgehilfe den Handel eigentlich verabscheute. Da klingt noch „polis“ und „oikos“ nach. Wenn letzteres sich jedoch in der Genossenschaftsbewegung patchworkartig ausdehnt, wie es z.B. den Lassallianern als Gesellschaftsmodell vorschwebte, dann gerät es bald mit Politik und Kapital in Konflikt. Und aus ist es mit lustig – und leidenschaftlich.
In diesem öden Südstaaten-Kaff hat der Hausmeister der Kaschemme „Billy the Kid“ mit Lust und Leidenschaft die halbe Straße mit Tüten abgepollert. Der Photograph Peter Grosse bezeichnete sie kurz und schmerzlos als „Tütenpoller“.