vonDetlef Guertler 21.12.2009

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von Christian Dombrowski:

21. Dezember, Beginn des Winters, Tag der Sonnenwende

„Wie die Crew eines Schiffs, das im Eissturm Kap Hoorn umrundet, darauf wartet, dass das Ruder sich knarzend gen Norden wendet, so warte ich auf die Wintersonnenwende und die länger werdenden Tage“, hat eine Freundin von mir, Dorothea Löbbermann, vor einigen Wochen geschrieben.

Was für ein prächtiges Gleichnis! Was für ein intensives Bild! Und es stimmt auch: Denn sind diese kurzen Tage nicht einfach grausam?

„Goethes gute Laune war heute wieder glänzend“, notiert Eckermann unter dem Datum des 21. Dezembers 1823. „Wir haben den kürzesten Tag erreicht, und die Hoffnung, jetzt mit jeder Woche die Tage wieder bedeutend zunehmen zu sehen, scheint auf seine Stimmung den günstigsten Einfluss auszuüben. ‚Heute feiern wir die Wiedergeburt der Sonne!’ rief er mir froh entgegen, als ich diesen Vormittag bei ihm eintrat. Ich höre, dass er jedes Jahr die Wochen vor dem kürzesten Tage in deprimierter Stimmung zu verbringen und zu verseufzen pflegt.“

Was tun gegen diese Armut an Licht?

Als ich vor etwa zwei Jahren, mitten im Januar, gemeinsam mit meinem Bruder Martin die norwegische Küste emporfuhr, war die Dunkelheit ein beherrschendes Erlebnis. Sie machte alles so unwirklich und verwunschen. Im Süden des Landes – in Oslo, Bergen, Torvik oder Trondheim – gab es die Sonne noch; doch im Wesentlichen bestanden die Tage dort aus Dämmerungen – Dämmerungen, die einfach nicht enden wollten … Jenseits des Polarkreises, in Bodø, haben wir die Sonne zum letzten Mal gesehen. Es war Mittag – und sie berührte den Horizont! Schon gegen 15 Uhr gingen in den Häusern die Lichter an … Auf der Höhe von Tromsø, Hammerfest, Mehamn oder Berlevåg waren wir dann endgültig in die Polarnacht getaucht, umgeben von allen Emblemen des Nordens: Die eisige Ruhe des Berge – der Polarstern, fast senkrecht über uns – unbarmherzige Kälte – das Nordlicht, das seine Bögen über uns spannte wie eine ruhlose Draperie, so hell, dass es einen Widerschein auf dem Wasser erzeugte. Ich wurde nicht müde, es anzuschauen, wie man auch nicht müde wird, das Meer anzuschauen in seiner Bewegung oder das Flackern des Feuers.

Die Winterdunkelheit habe ich auf dieser Reise als einen Teil des Abenteuers erlebt. Doch im Alltag belästigt sie mich zuweilen. Ich verordne mir dagegen Spaziergänge, während die Sonne noch scheint, möglichst an jedem Tag. „Lichtspaziergänge“ nenne ich diese kleinen Touren für mich. Und empfehle sie hiermit weiter – als Wort und als Tat.

Lichtspaziergang – Spaziergang im Spätherbst oder Winter zur Zeit der Tageshelligkeit, um Licht zu tanken

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