vonHeiko Werning 27.09.2010

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Aber gebt bitte nicht gleich alles auf einmal aus! 5 Euro mehr im Monat, das sind immerhin 1,4 % mehr Einkommen. Das ist fast die Hälfte der jährlichen Inflationsrate, so solltet Ihr das mal sehen! Ihr bekommt am Jahresende also nur halb so viel weniger, wie es ohne diesen kräftigen Griff in die Fleischtöpfe des Staates der Fall gewesen wäre. Und da Ihr so viele seid, 6,7 Millionen immerhin, macht das satte 33,5 Millionen Euro zusätzlich im Monat bzw. rund 400 Millionen im Jahr. Das Geld wird aber auch anderswo gebraucht, denn Not und Elend herrschen ja überall. Bei den Banken beispielsweise, denen es bekanntlich teils so dreckig ging, dass sie auch Staatshilfe brauchten, Investment-Hartz-IV sozusagen. Die haben sich noch gar nicht wieder berappelt, gerade mal 200 Mitarbeiter der durch Staatsgeld getragenen Banken verdienen heute wieder mehr als 500.000 Euro im Jahr, also lediglich 100 Millionen. Versteht Ihr, Hartz-IV-Empfänger? Die kriegen 100 Mio im Jahr, ihr 400 Mio. Und das ist – das dürftet sogar Ihr mit Euren rudimentären Kenntnissen der Grundrechenarten verstehen – die kriegen also nur ein Viertel dessen, was Ihr bekommt. Seht Ihr, das ist doch total ungerecht. Denn die müssen ja sogar arbeiten dafür, alle 200. Und Ihr bekommt vier Mal so viel und betrinkt Euch damit nur.
Aber damit zumindest ist jetzt mal Schluss. Denn, das muss ja auch mal gesagt werden, in Wirklichkeit beträgt die Erhöhung ja nicht 5, sondern 25 Euro. Im Gegenzug wurden eben nur die 20 Euro gestrichen, die bisher für Alkohol und Tabak vorgesehen waren. Denn so geht’s ja nicht, dass der Staat Euch noch das Besäufnis finanziert. Die Banker müssen ihren Schampus ja schließlich auch selbst löhnen, das ist doch ungerecht.
Und nicht nur das: Noch immer werdet Ihr grundlos bevorzugt. Denn das Hartz IV für Kinder wird nicht erhöht. Für diese großzügige Entscheidung sollte Ihr Ursula von der Leyen ganz besonders danken, denn es hätte auch ganz anders kommen können. Denn, so die Ministerin, nach den detaillierten neuen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hätten die Regelsätze für Kinder sogar sinken müssen. „Das hat mich überrascht und sprachlos gemacht“. Sprachlos hat es sie gemacht, die Ministerin, sprachlos wahrscheinlich angesichts der Ungerechtigkeit, dass Eure Blagen seit Jahren schon viel zu viel Kohle einfahren. Und dennoch hat sie sämtliche Augen und die ihres eigenen runden dutzend Kinder zugedrückt, denn: „Die Koalitionsvertreter haben aber entschieden, diese Sätze nicht zu senken. Es soll einen Vertrauensschutz für Hartz-IV-Familien geben, die sich auf diesem Niveau eingerichtet haben“.
Und eingerichtet habt Ihr es Euch ja nun wahrlich. Zum Beispiel im Problembezirk Wedding. Die „Welt“ hat ihren Kriegsberichterstatter Clemens Wergin dorthin entsandt, und der sendet folgenden Lagebericht: „Neulich bei Aldi im Berliner Problembezirk Wedding: Ein Stammkunde, der auf Hartz IV lebt, bittet die Kassiererin, ihm die Schranke für das Zigarettenregal zu öffnen. Worauf die Angestellte ihn im breiten Berlinerisch tadelt: „Ick hab mir dett ja abjewöhnt, dett kann ick mir nich leisten.““ Und weiter: „Die Weddinger Episode zeigt aber, dass es falsch ist, die Gerechtigkeitsfrage immer nur aus der Perspektive dessen zu betrachten, der Überweisungen von der Gemeinschaft erhält. Tatsächlich gilt es, soziale Gerechtigkeit als relative Balance zu beschreiben – zwischen denen, die in den Sozialstaat einzahlen und denen, die von ihm alimentiert werden. Der Gerechtigkeitsäquator dieser Gesellschaft verläuft also exakt zwischen jener Aldi-Kassiererin, die jeden Morgen aufsteht, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, und ihrem Kunden, der Hartz-IV erhält, ohne dass die Gesellschaft dafür größere Gegenleistungen verlangt.“ Die „Welt“, schon ihrem Namen nach der globalen Sicht verpflichtet, richtet ihren Blick nun nicht nur auf den Gerechtigkeitsäquator, sondern auch auf den Pol, sozusagen ins ewige Eis der sozialen Gerechtigkeit. „Gerade die HRE-Banker brauchen ein Topgehalt“, lautet ein Artikel von Jörg Eigendorf vom selben Tage. Denn: „Was für ein Albtraum. Ein weiteres Wochenende bestimmt die Hypo Real Estate (HRE) die Schlagzeilen. Einmal mehr wird über Boni und Pensionen gestritten. Und die Fortsetzung folgt: Am Montag werden Vertreter des Haushaltsausschusses im Bundestag über Sonderzahlungen von 25 Millionen Euro an die Mitarbeiter der verlustreichen Staatsbank diskutieren. Und die Pensionsansprüche bei der Bank werden für gehässige Kommentare sorgen: Wie soll man auch dem Wahlvolk erklären, dass Vorstände nach nur einem Jahr im Amt eine Rente von über 15.000 Euro im Monat ab dem 60. Lebensjahr bekommen?“ Das ist allerdings ein Alptraum. Also, dass man das dem Wahlvolk auch noch erklären muss.
Aber zurück zum Gerechtigkeitsäquator. Dort fragt sich die Kassiererin laut Clemens Wergin nun immer öfter, „warum sie eigentlich solch einen harten Arbeitsalltag sich nehmen soll.“ Woraus Wergin folgert: „Deshalb ist es richtig, Bier und Zigaretten aus dem Warenkorb zu streichen, mit dem Hartz-IV berechnet wird.“ Denn: „Es ist wichtig, dass die Gesellschaft der Kassiererin bei Aldi signalisiert: Arbeit soll sich lohnen.“ Hier könnte man zwar jetzt kurz über die Logik stolpern, denn der Lohn bei Aldi reicht ja der Kassiererin offenbar nicht mal für Fluppen. Aber wir wollen jetzt auch nicht zu spitzfindig werden. Es geht ja ums große Ganze. Um den Gerechtigkeitsäquator. Unter dessen gnadenlose Sonne hat sich, natürlich, die B.Z. gewagt, und berichtet über Armin S., 51, seit sechs Jahren arbeitslos. Der behauptet dreist: „Ich habe auch Recht auf Lebensqualität“. Und die sieht laut B.Z.-Artikel wie folgt aus: „In seinem Kühlschrank liegen ein paar Tomaten, eine alte Zwiebel und mehrere Flaschen Bier.“ Andererseits liegt die Lösung im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Tisch. Armin S.: „Ich trinke, weil ich doch auch Spaß verdient habe. Dafür verzichte ich lieber auf einen Döner, esse eben Tütensuppe.“ Na also, geht doch! Das merkt auch B.Z.-Kommentator Gerd Schupelius freudig an: „Wer in Not ist, dem soll geholfen werden. Auf Alkohol und Zigaretten muss er solange verzichten. Oder er isst eben einen Döner weniger, wie Armin S.“
Und, liebe Hartz-IV-Empfänger, und das ist die wirklich gute Nachricht des Tages: Auf den Döner müsst Ihr ja nicht einmal verzichten. Ihr könnt sogar noch einen drauf legen. Denn dafür reichen die 5 Euro Erhöhung locker. Also: guten Appetit!

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