Unter dem Motto „Neuwahlen – Chance zur Veränderung?“ hatte die Aktionsgruppe „Querdenken Göttingen 4“ für ihre geplante Großdemonstration mobilisiert. Angemeldet war die Demo für 2000 Menschen – gekommen waren lediglich etwa 150. Und das obwohl bereits zum vierten Mal unter dem Vorwand einer Großdemonstration Schwurbler:innen aus allen Ecken und Enden heran mobilisiert wurden.
Dagegen stellten sich über 5000 Antifaschist:innen. Zahlreiche Bündnisse hatten zu den Gegenprotesten aufgerufen. Laufen konnten die Querdenker deshalb nur zeitweise. Zahlreiche Blockaden verhinderten ein Weiterkommen der Rechten.
Gegendemo und Blockaden
Die Demo soll vom Bahnhof an einmal um die Innenstadt führen. Der Tross der Querdenker:innen bahnt sich gegen 15 Uhr allmählich seinen Weg entlang der Polizeiketten. Nichtmal 200 Meter nach dem Start kommt es jedoch zu ersten Blockadeversuchen. In der Nähe der Universitätsbibliothek wird es kurz hektisch, als Polizeibeamt:innen eine Sitzblockade räumen – später wird von Schmerzgriffen und massiver Gewaltanwendung die Rede sein.
Einige Blockaden danach treffe ich eine Person der „Antifajugend Göttingen“. „Angefangen hat alles mit dem Pseudowiderstand gegen vermeintliche Impfpropaganda. Inzwischen hat sich die Querdenken Szene zu einer regelrechten Regenschirm-Organisation entwickelt, die nahezu die gesamte Verschwörungs-Bubble mit anspricht. Dagegen müssen wir uns organisieren und aktiv werden“.
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Tatsächlich hat sich Göttingen über mehrere Jahre hinweg zu einem beliebten Anlaufpunkt der Schwurbel-Szene entwickelt.
„Anfangs wurden die Montagsspaziergänge während der Corona-Pandemie noch von Querdenken-Hannover organisiert und angemeldet. Das hat nur wenig Anklang generiert. Inzwischen stammen die meisten Demo-Teilnehmer aus anderen Teilen Deutschlands.“
«Ich denke, inzwischen ist es für die
eher so ein Ego Spiel, weil sie sich nicht
eingestehen können, dass
Göttingen nicht ihre Stadt ist.»
Die Straßen um uns herum füllen sich derweil immer weiter. Anwohnende stehen an den Fenstern, von hinten strömen immer mehr Demonstrierende zu den Sitzblockaden. Mehrere Querdenken-Streamer stehen auf Anhöhen und versuchen in den linken Mob hinein zu filmen.
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Auch in den Jahren zuvor wurde in Göttingen breit gegen die verschwörungsideologischen Aufmärsche mobilisiert. „Die erste Demonstration im April 2023 hatte nur wenig Anklang gefunden. Daher versuchte man es im September 23 nochmal. Da sind die Schwurbler keine 500 Meter weit gelaufen, bis sie von einer brennenden Barrikade gestoppt wurden.“
Repression gegen linke Demonstrierende
Hunderte Aktivist:innen sitzen derweil auf dem Asphalt in der Göttinger Oststadt. Vereinzelt laufen kleinere Gruppen behelmter Polizist:innen an der Menge vorbei. Immer wieder ist die Situation kurz davor hochzukochen. Mehrere Personen müssen von den Demo-Sanitäter:innen behandelt werden.
„Die Polizei hat wegen mehrerer anderer Großveranstaltungen heute weniger Einsatzkräfte mobilisieren können, als sie ursprünglich geplant hatten. Daher war die Grundstimmung heute definitiv etwas aggressiver als in den vergangenen Jahren. Bei der Blockade an der Uni-Bibliothek wurden bei mehreren Personen Schmerzgriffe angewendet, wenig später sind einfach acht Beamte über eine zweireihige Sitzblockade drübergelaufen“, erklärt mir die Antifajugend Göttingen.
Auch bei vorherigen Aktionen ist es in Göttingen immer wieder zu Repressionen gegen Aktivist:innen gekommen. Im Nachgang der dritten Querdenken-Demonstration im Januar 2024 gab die Polizei an, 60 Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen des Vorwurfs des Landfriedensbruchs und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, eingeleitet zu haben.
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„In der Vergangenheit wurden die eröffneten Verfahren zu großen Teilen fallengelassen. Das Handeln der Polizei hat sich aber trotzdem relativ stark gewandelt.“
«Wir stehen momentan an einem Wendepunkt der Göttinger Polizeiführung.»
Die Notwendigkeit für die antifaschistischen Interventionen sei drastischer geworden. Die Region um Südniedersachsen hatte über Jahrzehnte Hinweg ein immenses Problem mit Neonazis, während der Baseballschlägerjahre kam es regelmäßig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen militanten Rechten und Antifas.
Heute sieht das politische Klima in Göttingen extrem anders aus. Dennoch bleibt die Stadt ein beliebtes Provokationsmittel für die extreme Rechte. Auch am 1. Februar mischten viele von ihnen fleißig mit.
Querdenken und rechts außen
Anlass für einen Blick nach rechts bietet die Anwesenheit des ehemaligen NPD-Vorstandsmitglieds Sebastian Schmidtke. Erst im Juni 2024 kandidierte Schmidtke für den fünften Listenplatz der „Heimat“ für die Europawahlen. Um politischen Einfluss gehe es ihm bei der Wahl im Übrigen nicht, betonte er in einem Wahlwerbespot seiner Partei. Schließlich stünde man im ideologischen Widerspruch mit dem System EU. Die Tagessätze für die Abgeordneten möchte man dennoch für den „politischen Kampf“ nutzen.
Seit einiger Zeit versucht sich Schmidtke auch als Streamer und „Journalist“. Auf seinem Telegram Kanal „Schmidtkes Welt“ berichtet er von bundesweiten Demos: häufig aus dem Querdenken-Milieu, immer wieder Seite an Seite mit der AfD.
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Unter dem Schutz der behelmten Beamten:innen streamte Schmidtke über sechs Stunden aus Göttingen, schaffte es mehrfach sogar nahezu unbegleitet an Sitzblockaden heranzukommen. Kurios dabei: Gegen Ende der Veranstaltung redete er mit dem Leipziger AfD-Streamer Sebastian Weber, aka Weichreite tv, und kritisiert die Veranstaltenden der Demonstration:
Schmidtke: „Ich hätte mir auch so eine Straße überhaupt nicht ausgewählt, die sind ja wirklich top zum Blockieren.“
Weber: „Die machen das hier ja auch zum vierten Mal.“
Später ergänzte Schmidtke: „Die Musik (in der Querdenken-Demo) ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Deswegen bin ich froh, dass wir eher vorne unterwegs waren.“
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Angemeldet wurde die Demonstration von Alina M. „Sie ist eindeutig dem engen Vertrautenkreis um Michael Schele zuzuordnen“, erklärt das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen (ABAG).
Schele gilt als einer der führenden Köpfe der Querdenken-Bewegung in NRW. Dort hat er häufig Autokorsos und Demonstrationen angemeldet. Laut der ABAG pflegt Schele darüber hinaus enge Kontakte zu Marcus Fuchs nach Dresden, einem der Hauptakteure der Querdenker in der sächsischen Landeshauptstadt. Erst wenige Wochen vor dem Aufmarsch haben beide einen gemeinsamen Livestream gemacht.
Marcus Fuchs tritt an diesem Tag selber als Redner auf der Demonstration auf. Erst vor wenigen Wochen wurde er wegen seiner Funktion als Versammlungsleiter bei einer nicht angemeldeten Kundgebung am 6. Februar 2022 im Dresdner Stadtteil Laubegast verurteilt. Im Januar wurde er deswegen im Berufungsprozess vor dem Landgericht zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.
Brisant dabei: Nur kurze Zeit später, am 13. Februar 2022, wurden Medienschaffende im selbigen Stadtteil von Neonazis attackiert. Der Vorfall wurde damals von Marcus Fuchs selber gefilmt. Kurz darauf kursierte das Video in einschlägigen Facebook- und Telegram-Kanälen und wurde dort als vermeintlicher Angriff auf den Corona-Spaziergang umgedeutet. Das Antifa Recherche Team Dresden (ART) dokumentierte den Vorfall damals in einem Blogpost.
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In einem Statement auf Telegram werteten Marcus Fuchs, Alina M. und Michael Schele kürzlich den Aktionstag in Göttingen gemeinsam aus. Letzterer sprach dort von einem „Verrat des Versammlungsrechts“. Darüber hinaus hätte der Autokorso jedoch nach der Demonstration von den, Zitat Schele, „echten Göttingern“ angeblich positiveres Feedback als in den letzten Jahren erhalten – die Gegendemonstrant:innen seien folglich „Krawallmacher, die von der SPD, von den Grünen, von der Kirche oder vom DGB in die Stadt gekarrt worden sind.“
Eine mutige Behauptung, berücksichtigt man, dass am 1. Februar noch mehr Göttingerinnen und Göttinger als in den vergangenen Jahren auf der Straße waren, um den Schwurbler:innen zu zeigen, dass ihre Stadt kein Ort für Verschwörungsideologen, Putin-Symphatisianten und Rechtsextreme ist.