vonLars Freudenberger 20.11.2024

linkslaut

Politische Kämpfe / Zeitgeschehen / Interviews

Mehr über diesen Blog

„Man hatte das Gefühl, dass eine Progromstimmung durch das Land schreitet“, berichtete ein Antifaschist im Film „Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ des linken Medienkollektivs leftvision. Auch im Göttingen der 80er und 90er Jahre galt stets diese Devise. Tagtäglich waren linke und migrantische Personen den Angriffen von militanten Nazis ausgesetzt.

Die Region im Süden Niedersachsens hatte sich zu einer Hochburg der extremen Rechten während der Baseballschlägerjahre entwickelt. Schnell bildete sich militanter Widerstand. Überwiegend junge Menschen organisierten sich, um aus der Notwendigkeit heraus gegen die Rechten zu agieren.

Eine dieser Personen war Conny Wessmann. Am Abend des 17. November, an dem einmal mehr Faschisten Menschen auf offener Straße angriffen, bildete sich schneller Widerstand. Binnen weniger Minuten hatten sich etwa 20 Antifaschist:innen zusammengefunden – darunter auch Conny.

Als die Polizei die Szenerie erreichte, eskortierten die Beamten die gewaltsuchenden Nazis zu einer Bushaltestelle. Währenddessen begannen zivile Einsatzkommandos eine regelrechte Jagd auf die Antifas. Im Polizeifunk, der zu dieser Zeit von ihnen abgehört wurde, fiel der Satz:

„Wenn wir genug sind, dann sollten wir

sie plattmachen.“

In der Nähe des Zentralcampus der Uni Göttingen sollte dann der Zugriff erfolgen. Mehrere Beamt:innen sprangen bewaffnet aus ihren Tarnungen hervor und trieben die Aktivist:innen weiter Richtung Norden aus der Innenstadt heraus.

Conny versuchte daraufhin über eine vielbefahrene Landstraße zu flüchten. Sie wurde jedoch von einem Auto erfasst und verstarb noch an der Unfallstelle. Ein Zeitzeuge erinnert sich in einem kürzlich erschienenen Beitrag im Neuen Deutschland:

„Während Conny reglos am Boden lag,

blieben die Polizisten in einer

Angriffshaltung“.

Menschen, die Conny zur Hilfe kommen wollten, wurden mit Hilfe von Polizeihunden und der Androhung von Gewalt zurückgedrängt. Mehrere Polizisten versprühten CS-Gas.

In einer Kundgebung am 17.10. erinnerten mehrere Strukturen an Conny und ihre Ermordung. Die Antifa Jugend Göttingen und die Sozialistische Perspektive betonten in ihren Redebeiträgen außerdem die gegenwärtige Notwendigkeit des antifaschistischen Selbstschutzes:

„Wenn wir uns auf den Staat verlassen,

um uns vor rechter Gewalt zu schützen,

werden wir niemals sicher sein.“

Die polizeiliche Vorgehensweisen im Fall Connys waren in der BRD aber keine Einzelfälle. Die Behörden ließen kaum eine Gelegenheit aus, um mit ausgesprochener Brutalität gegen linke Strukturen vorzugehen. Die Liste der Opfer ist lang. Zwei bedeutende Fälle unterstreichen diese polizeiliche Praxis.

Georg von Rauch – von Polizisten ermordet

Der erste ist der Tod des Anarchisten Georg von Rauch. In Berlin war er zum Anfang der 70-er Jahre politisch aktiv und lebte seine anarchistischen Überzeugungen aus. Wegen seinem Aktivismus stellten die Behörden ihn unter Verdacht, Mitglied der ersten Generation der RAF zu sein. Ein haltloser Vorwurf, der durch das reaktionäre Medienecho der Springerpresse vehement befeuert wurde.

Georg von Rauch wurde gemeinsam mit anderen Anarchist:innen über Wochen beschattet und schließlich bis zu einer Pension im Berliner Stadtteil Schöneberg  verfolgt, in der er häufig unterkam.

Dort, in der Eisenacher Straße, sollte am 4. Dezember 1971 der Zugriff erfolgen. Zwei Polizeibeamte überraschten insgesamt vier Aktivisten. Einer von ihnen floh. Georg von Rauch wurde gemeinsam mit zwei seiner Genossen unter vorgehaltener Waffe an einem Möbelladen festgehalten. Eine Anwohnerin, die den Vorfall beobachtete, erzählt in einem Interview im ARD-Format „Panorama“ wenige Wochen später:

„Er stellte die drei Leute mit erhobenen

Händen an die Wand und tastete sie ab.

(…) Daraufhin stand er plötzlich auf und

ging ein paar Schritte zurück. In dem

Moment viel ein Schuss. Einer brach zusammen.“

Die beiden Beamten gaben an, aus einer Notwehrsituation heraus gehandelt zu haben. Eine wage Behauptung, die den unabhängigen Zeugenaussagen klar widerspricht. Zum Verhalten der Beamten erklärte die Zeugin:

„Ich muss sagen, ich hatte sofort den

Eindruck, das kann niemals Polizei sein,

die da geschossen hat.“

Der Polizist selbst wurde bei der Tat, entgegen eigener Angaben, nur leicht verletzt. Er blieb im Nachgang noch in der Nähe des Tatorts und wurde erst am Abend in einem Krankenhaus kurzzeitig versorgt. Dort sagte er laut dpa aus, er glaube, dass er „den einen“ getötet habe.

abo

Zeiten wie diese brauchen Seiten wie diese. 10 Ausgaben wochentaz für 10 Euro im Probeabo. Jetzt die linke Wochenzeitung testen!

Das Medienecho am darauffolgenden Tag spekulierte zeitgemäß mit vagen Theorien, die durch zweifelhafte Polizeiaussagen weiter befeuert wurden. Demnach wurde Georg von Rauch angeblich von eigenen „Komplizen der Baader-Meinhof-Gruppe“ erschossen, die versuchten, die drei Anarchisten aus der Maßnahme zu befreien.

Schon im Vorfeld der Tat verbreitete unter anderem die Bild-Zeitung willkürliche Fahndungslisten von vermeintlichen RAF-Mitgliedern – darunter auch Georg von Rauch. 24 Stunden nach dem Bild-Artikel mit der durchweg seriösen Headline „Polizei: Baader-Meinhof-Leute schießen sofort!“ starb von Rauch durch den tödlichen Schuss in sein rechtes Auge.

Der damalige Vorsitzende der Berliner FDP, Wolfgang Lüder, kritisierte die Vorgehensweise der Polizeibeamten öffentlich und kündigte an, den Vorfall vor das Berliner Abgeordnetenhaus zu bringen.

Im ARD-Interview fragte er die Behörden: „Es waren (…) insgesamt vier Verfassungsschützer in Sichtweite des Tatorts anwesend. Wieso wurde kein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung eingeleitet?“ Zudem hatte sich die erste Polizeiaussage, es habe eine zweite bewaffnete Gruppe gegeben, als falsch herausgestellt.

Der Tod von Günter Sare

Auch die Ermordung von Günter Sare reiht sich in diese Vorfälle ein. Als sich am 28. September 1985 die NPD im Frankfurter Stadtteil Gallus zu einer Kundgebung treffen wollte, organisierten Antifaschist:innen in einer nahegelegenen Grundschule ein diverses Freundschaftsfest.

Am Abend kippte die Stimmung. Anwesende Aktivist:innen versuchten der NPD den Zugang zur Kundgebung zu verwehren. In einem Flugblatt erklären Günters Genossen wenige Tage später:

 „Die Polizei geleitete die Teilnehmer der

NPD-Veranstaltung ins Haus Gallus und

begann gleichzeitig mit Wasserwerfern

und Schlagstöcken gegen die versammelten

Demonstranten vorzugehen.“

Nicht mal eine Stunde später war Günter Sare tot. Der Strahl eines Wasserwerfers erfasste ihn an einer Kreuzung. Die Wucht drückte ihn zu Boden. Obwohl die Umgebung Augenzeugenberichten zu Folge durch die Polizei gut ausgeleuchtet war und im Vorfeld auf Günter Sare gezielt wurde, überrollte der Wasserwerfer den 36 Jährigen Antifaschisten und verletzte ihn tödlich.

Sanitäter, die dem Verletzten zur Hilfe eilten, wurden von der Polizei zurückgehalten. Darunter auch der Medizinstudent Michael Wilk. Als dieser mehrfach die Beamten aufforderte, den Weg zu Günter Sare freizumachen, entgegneten sie nur:

„Was, du Schwein willst Arzt sein?“

Im Nachgang der Aktion startete eine Spontandemonstration einiger hunderter Antifaschist:innen, die sich mit ihrem Ermordeten Genossen solidarisierten. In einem Gerichtsprozess wurden die Fahrer des Wasserwerfers etwa ein Jahr später freigesprochen.

Im Urteil heißt es, die Beamten hätten durch den Nebel des Wasserstrahls keine klare Sicht auf die Straße gehabt. Eine spektakuläre Behauptung. Antifaschist:innen zu Folge haben einige Polizisten noch auf der Spontandemonstration den Aktivist:innen zugerufen: „Morgen seid ihr dran“.

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/linkslaut/conny-war-kein-einzelfall/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert