Um den S-Bahnhof Ostkreuz stehen hunderte Antifaschist:innen versammelt. Die Stimmung ist noch relativ entspannt. Unweit von hier sollen gleich Neonazis durch einen der linksten Kieze Berlins ziehen. Einer der zahlreichen Gegenproteste wurde von der Gruppe „Ostkreuz bleibt bunt“ organisiert. Man sei wütend und besorgt über die rechte Demo, erklärt man mir. Unwidersprochen hinnehmen möchte man die Provokationen aber nicht.
Angemeldet wurde die rechte Demonstration vom Aachener Ex-AfD Politiker Ferhat Sentürk. Gegenüber der Presse gibt sich dieser regelmäßig als Demokrat, der angeblich nur gegen einen vermeintlichen „Linksextremismus“ auf die Straße gehen möchte. Die Akteure, die auf Sentürks Demo zu sehen sind, lassen jedoch anders vermuten.
Kampffeld Friedrichshain
„Wir dürfen diese Verhältnisse nicht normalisieren“, erklärt Ostkreuz bleibt bunt. Es sei zu gefährlich geworden, die Rechten nur noch zu belächeln und ihnen keine Aufmerksamkeit zu schenken. Die Lage sei ernst – und das gerade weil man sich in einem Kiez befindet, in dem schonmal erfolgreich Nazis vertrieben wurden.

„Hier gab es einfach eine krasse autonome Kultur. Hier sind immer noch mehrere Bauwagenplätze und das von Linksautonomen besetzte Haus in der Rigaer Straße. In den 90er-Jahren haben Leute hier wirklich sehr viel harte Arbeit geleistet, um diesen Kiez nazifrei zu bekommen“, so das Bündnis weiter.
Die rechten Demonstrationen sollen provozieren – und das tun sie auch. Schon im Dezember und im Februar mobilisierte das Umfeld nach Berlin. Besonders beim ersten Aufmarsch Mitte Dezember blockierten Gegendemonstrierende einen Großteil der Demoroute.
„Für den 14.12. haben sich eine Handvoll Leute zusammengefunden und wir haben dann als Gruppe unsere erste Gegendemo angemeldet. Dafür haben wir vor allem die Leute informiert und unsere schönen Ausmalbilder verteilt, mit dem Aufruf, den Kiez damit zu tapezieren. Am Anfang haben wir auch nur für 50 Leute angemeldet.“
Vielfältige Gegenproteste
Um das gesamte Ostkreuz stehen in fast allen Himmelsrichtungen Gegendemonstrierende versammelt. Auch an der Warschauer Straße sammelt sich eine Demonstration, wenig entfernt warten im Rudolfkiez Aktivist:innen auf den richtigen Zeitpunkt, um die rechte Demoroute blockieren zu können.

Wenig später wird klar: Bis zur Bundesstraße nahe der Spree würden die Rechten erstmal sowieso nicht kommen. Eine große Gruppe rennt daraufhin los. Ziel ist der Markgrafendamm. Dort kommt es inzwischen zu teils heftigen Auseinandersetzungen seitens der Polizei – es werden mehrere Festnahmen folgen.
Über mehrere Stunden harren die Blockaden aus. Die Polizei steht inzwischen nur noch in Ketten zwischen den Blockaden, in Richtung Ostkreuz stehen Gegendemonstrierende hinter Gitterabsperrungen. Auch vor dem Club About Blank haben sich hunderte Menschen versammelt.

Nach einigen weiteren Stunden erklärt die Polizei die rechte Demo für beendet. Es kommt kurz fast zu Rangeleien, als die Rechten anfangen, auf die Polizei zuzulaufen, mehr sollte aber nicht passieren. Daraufhin eskortiert die Polizei die frustrierten Neonazis in den S-Bahnhof.
Rechte Demonstration
Der rechte Mob ist an diesem Tag sehr durchmischt. In der Menge befinden sich einige rechte Boomer mit Russland- und Reichsflaggen. Auch Hannes Ostendorf, Sänger der Rechtsrockband Kategorie C, ist vor Ort. Bei der Startkundgebung soll er mehrere Lieder spielen.
Doch besonders junge Menschen prägen das Bild der geplanten Demonstration an diesem Tag. Ein Großteil von ihnen ist sogar mutmaßlich noch minderjährig. Mehrere rechtsradikale Jugendgruppen hatten sich für den Tag angekündigt. Darunter auch die Berliner Neonazigruppe „Deutsche Jugend Voran“. Einer ihrer führenden Köpfe muss sich aufgrund mehrerer Vorwürfe derzeit vor Gericht verantworten. Die taz berichtete kürzlich.
Die Lage sei extrem bedrohlich, erklärt die Mobile Beratungsstelle Rechtsextremismus Berlin (MBR) im Gespräch mit der taz. Ein Revival der „Baseballschlägerjahre“ sei derzeit zwar noch nicht abzusehen, jedoch spricht die niedrige Hemmschwelle junger Neonazis, körperlicher Angriffe auf Andersdenkende auszuüben, für sich.

Immer wieder fallen derartige Jugendgruppen durch Einschüchterungsversuche auf. Im Kontext der CSD´s 2024 traten die meisten von ihnen erstmals in Erscheinung. Einige hegen enge Verbindungen zu den Jungen Nationalisten, der Jugendgruppe der Heimat, ehemals NPD, agieren jedoch größtenteils unabhängig.
Zu den rechten Akteuren der Demonstration ist ein gesonderter Beitrag entstanden: https://www.belltower.news/rechtsextreme-demo-100-meter-revisionismus-in-berlin-159291/