Horrende Mieten und steigende Lebenshaltungskosten belasten immer mehr Menschen. Der Markt radikalisiert sich immer weiter, während Tausende am Existenzminimum leben. Ein Interview mit dem wohnungspolitischen Sprecher der Linken Berlin, Niklas Schenker.
linkslaut: Auf Social Media haben Sie gerade eine Kampagne, in der Sie dazu aufgerufen haben, Ihnen Fälle von dreisten Vermietern zukommen zu lassen. Was ist Ihre Motivation dahinter?
Im Interview:
Niklas Schenker: Ich bin auf diese Idee gekommen, weil ich den Eindruck habe, dass immer mehr Vermieter in Berlin die Wohnungsnot der Menschen ziemlich schamlos ausnutzen. Da gibt es zum Beispiel große Immobilienkonzerne, wie Deutsche Wohnen, Vonovia oder Adler.
Es gibt aber auch kleinere Vermieter, die oft gar nicht so sehr im Vordergrund stehen. Zum Beispiel der Co-Living-Anbieter Habyt, der 215 Sozialwohnungen zweckentfremdet und als möblierten Wohnraum zu wirklich überzogenen Preisen vermietet. Deshalb war die Idee, hier über die sozialen Medien nochmal darauf aufmerksam zu machen und gleichzeitig den Aufruf zu starten, dass mir Mieterinnen und Mieter ihre eigenen Beispiele zusenden können.
Ehrlich gesagt war ich dann wirklich überwältigt, wie viele Leute sich gemeldet haben und teilweise völlig unfassbare Geschichten erzählt haben. Ich versuche auch immer, die Leute selbst in Videos zu Wort kommen zu lassen, damit sie ihre Erfahrungen teilen können. Viele trauen sich das jedoch nicht, weil sie Angst haben, gekündigt zu werden.
«In Berlin gibt es ein starkes
Ungleichheitsverhältnis zwischen
Vermietern und den Mietenden,
wobei die Angst eindeutig auf Seiten
der Mieter:innen liegt.»
Genau das soll die Kampagne verdeutlichen: Dass wir uns gemeinsam gegen Vermieter zur Wehr setzen müssen und dass wir einen komplett anders regulierten und gestalteten Wohnungsmarkt brauchen.
Welche Fälle waren denn bis jetzt am drastischsten?
Da gibt es wirklich eine Vielzahl an Problemen. Es gibt viele Fälle von vorgetäuschtem Eigenbedarf, bei denen Mietende eine Eigenbedarfskündigung erhalten haben, obwohl es offensichtlich keinen rechtlich zulässigen Grund dafür gab. Ein Beispiel sind die Fälle des Vermieters Gijora Padovicz, der Mieter:innen aus Bestandswohnungen hinausgedrängt hat, um die Wohnungen anschließend an Geflüchtete zu vermieten, da sich mit den vom Amt übernommenen Kosten mehr Geld verdienen lässt.
Es gibt jedoch auch viele Einschüchterungsversuche, wie zum Beispiel Bedrohungen. Mir wurden bereits Fälle mitgeteilt, in denen körperliche Gewalt gegen Mieter:innen angedroht wurde, die Einspruch gegen Mieterhöhungen eingelegt hatten. Oft handelt es sich dabei um Fälle von kleinen Privatvermietern.
Dann gibt es natürlich auch die systematischen Probleme, insbesondere bei den großen Immobilienkonzernen. Man könnte stundenlang darüber sprechen. Ein Beispiel ist hier der Konzern Heimstaden, der Mieter, die Widerspruch gegen eine Mieterhöhung eingelegt hatten, telefonisch unter Druck setzte, um sie zur Rücknahme ihres Widerspruchs zu bewegen – teils mit Unterstützung von Inkassounternehmen.
Am Ende hat sich herausgestellt, dass viele dieser Mieterhöhungen rechtlich gar nicht zulässig waren. Es ist wirklich verrückt, was auf dem Berliner Wohnungsmarkt möglich erscheint. Das muss einfach noch viel stärker in den Fokus. Viele Mieterinnen und Mieter erleben das ja tagtäglich und sind diesen Zuständen ausgeliefert. Manche bekommen auch den Eindruck, dass das irgendwie normal wäre.
Gerade für Menschen mit Migrationsgeschichte, die neu nach Berlin kommen, ihre Rechte nicht kennen und nicht wissen, wo sie Hilfe finden können, ist das eine enorme Belastung. Hier zeigt sich ein systematisches Versagen der zuständigen Behörden, das Problem richtig anzugehen.
Eine Ursache für stetig steigende Mieten ist die Gentrifizierung, die in einigen Vierteln besonders starke Auswirkungen hat. Wie könnte man dieses Problem denn auf politisch angehen?
In der Kampagne stelle ich natürlich Einzelfälle und Vermieter vor, die in meinen Augen besonders dreist agieren. Doch das eigentliche Problem liegt nicht nur im Fehlverhalten einzelner Vermieter, sondern in der grundlegenden Struktur des Marktes. Wir leben im Kapitalismus, und dessen drastische Auswirkungen zeigen sich Tag für Tag auch auf dem Wohnungsmarkt.
Dieses Machtgefälle zwischen Vermietern und Mieter wird so erst ermöglicht. Die eigentliche Ursache liegt daher in der kapitalistischen Organisation selbst. Auch deshalb brauchen wir drei zentrale Maßnahmen, um in Berlin effektiv gegen Gentrifizierung vorzugehen.
«Wir brauchen zum Beispiel wieder
einen Mietendeckel, wie es ihn schon
einmal gab, der verhindern würde,
dass die Mieten weiter explodieren.»
Wir brauchen außerdem mehr öffentlichen und gemeinwohlorientierten Wohnraum. Das sollte einerseits durch die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne geschehen, aber auch durch ein kommunales Wohnungsbauprogramm, damit neue Wohnungen entstehen, die zur Zeit sehr dringend gebraucht werden.
Das wären drei konkrete Instrumente, die dazu führen könnten, dass viele Berliner Kieze nicht mehr so schnell und drastisch ihren Charakter verändern. Wir erleben hier eine dramatische Entwicklung: Verdrängung und einen regelrechten Austausch von Teilen der Wohnbevölkerung in manchen Kiezen. Man muss sich das wirklich bewusst machen – auch aus sozialpsychologischer Sicht – was hier in Berlin eigentlich passiert.
In den letzten 15 Jahren haben praktisch hunderttausende Haushalte ihre Wohnungen verloren und wurden von der Innenstadt an den Stadtrand verdrängt. Besonders dort finden sich viele Großwohnsiedlungen mit schlechteren Wohnverhältnissen und einer mangelhaften Nahversorgung. Diese Erfahrungen haben viel mit einem Gerechtigkeitsempfinden zu tun und vermitteln häufig das Gefühl, weniger wert zu sein, da die Innenstadt zunehmend zu einem Ort wird, an dem sich nur Menschen mit sehr hohem Einkommen eine Wohnung leisten können.
In der Karl Marx Allee in Friedrichshain wurden 2018 und 2019 viele Wohnungen aufgekauft, was extrem steigende Mieten für Viele zur Folge hatte. Der Konzern der damals dafür verantwortlich war, ist Deutsche Wohnen – ein Unternehmen, das in Berlin seit Jahren mit am meisten in der Kritik steht. Wie stehen Sie zu den Enteignungsforderungen als Idee Wohnraum umgreifend zu vergesellschaften?
Berlin hat leider Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre hunderttausende kommunale Wohnungen privatisiert. Das war der größte wohnungspolitische Fehler der letzten 30 Jahre. Die Folgen davon spüren wir noch heute, da viele dieser ehemals kommunalen Wohnungen inzwischen in den Händen von Unternehmen wie Deutsche Wohnen & Co. sind.
Das Geschäftsmodell dieser Konzerne ist eigentlich recht simpel. Sie haben häufig größere Siedlungen in Berlin relativ günstig gekauft. Anschließend werden dort energetische Modernisierungen oder andere Mieterhöhungen durchgesetzt, um die Mieterinnen und Mieter zu verdrängen und an der Börse ein großes Geschäft zu machen. Es gibt immer wieder Auswertungen, die zeigen, dass von einem Euro gezahlter Miete 30 bis 40 Cent als Dividende an die Aktionäre von Unternehmen wie Deutsche Wohnen & Co. oder Vonovia fließen.
Dieses Geschäftsmodell ist eines, das extrem toxisch für den Berliner Wohnungsmarkt ist. Auch dagegen richtet sich die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die ich sehr unterstütze. Ich halte es für absolut notwendig, die Vergesellschaftung umzusetzen. Wir müssen uns gegen dieses Geschäftsmodell stellen und sagen: Wir brauchen einen Wohnungsmarkt, der vor allem auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft ausgerichtet ist. Das wirksamste Mittel, um dauerhaft bezahlbare Mieten zu sichern, ist in diesem Fall ein Wechsel des Eigentümers.
In Berlin wurde unter RRG seit 2016 versucht diese Umstände zu verbessern. Bis 2023 stand die Koalition dazu in der Verantwortung. Was ist außer einem gekippten Mietendeckel denn alles erreicht worden, was die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt sozialer gemacht hat?
Ich denke, Rot-Rot-Grün hat viel erreicht, hätte aber noch mehr tun müssen. Man muss auch anerkennen, dass Stadtentwicklung ein Marathon ist. Es ist leider nicht so, dass sich alles von heute auf morgen grundlegend ändern kann – viele Prozesse brauchen einfach ihre Zeit.
Der Mietendeckel war dabei sicherlich das wichtigste Instrument, weil er dafür gesorgt hat, dass viele Menschen ihre Wohnungen behalten konnten. Während des Mietendeckels war Berlin die einzige Großstadt weltweit, in der die Mieten nicht nur stagnierten, sondern sogar sanken. Und trotz niedrigerer Mieteinnahmen sind die Vermieter nicht pleite gegangen. Insofern war das wirklich ein entscheidendes Instrument.
Rot-Rot-Grün hat jedoch auch andere wichtige Maßnahmen umgesetzt, wie zum Beispiel den Bau von 25.000 neuen kommunalen Wohnungen und den Rückkauf von 50.000 Wohnungen durch Rekommunalisierung. Außerdem wurde das Zweckentfremdungsverbot verschärft, um illegale Ferienwohnungen, spekulativen Leerstand und den unnötigen Abriss von Wohnungen besser verfolgen zu können.
Es gibt auch einzelne Modellprojekte der kooperativen Stadtentwicklung. Besonders das Dragoner-Areal, wo beispielsweise ein Modellprojekt für dauerhafte Sozialbindung im Neubau realisiert wird, ist dafür ein gutes Beispiel. Dabei entstehen Sozialwohnungen, die nicht aus der Bindung fallen, sondern dauerhaft als solche genutzt werden.
Wichtig ist auch, dass die landeseigenen Wohnunternehmen, die das zentrale wohnungspolitische Instrument sind, mit ihren heute 380.000 Wohnungen, nicht nur im Bestand enorm aufgestockt wurden, sondern wir auch dort die Mieten reguliert haben. Auch als der Mietendeckel weggefallen ist, war er in seinen Grundzügen immer noch die Grundlage für die landeseigenen Wohnunternehmen. Das hat die neue schwarz-rote Koalition relativ schnell wieder rückgängig gemacht.
Eine weitere wichtige Maßnahme war die Durchsetzung des kommunalen Vorkaufsrechts. Überall dort, wo beispielsweise luxemburgische Briefkastenfirmen einzelne Häuser aufkaufen wollten, ist das Land Berlin in die Kaufverträge eingetreten und hat zugunsten landeseigener Wohnunternehmen das Vorkaufsrecht genutzt. Auf diese Weise konnten viele Mieterinnen und Mieter wirksam vor Verdrängung geschützt werden.
In Ihrem Podcast haben Sie kürzlich gemeinsam mit Gregor Gysi die Fehler ihrer Partei besprochen, die sie in eine ihrer schwersten Krisen befördert hat. Denken sie, dass eine modern gedachte Klassenpolitik, die sich nicht nur gegen die Konzerninteressen, sondern gegen die Existenz dieser Konzerne im Gesamten richtet, der Schlüssel sein könnte?
«Ich glaube auf jeden Fall, dass die
Linke sich wieder viel stärker auf
Klassenpolitik fokussieren muss.
Gerade das Thema Wohnungspolitik
eignet sich dafür sehr gut, weil
die Wohnungsfrage entlang von
Klassenlinien strukturiert ist.»
Wir haben auf der einen Seite Mieterinnen und Mieter, die in Berlin 85 Prozent der Haushalte ausmachen. Auf der anderen Seite gibt es einen sehr kleinen Anteil von Menschen, die mit Wohnraum Geld verdienen und Profite erzielen. Diese Gegenüberstellung müssen wir politisch thematisieren und aufgreifen.
Ich glaube, dass die Linke wieder in die Erfolgsspur kommen kann, wenn sie ihr Profil schärft. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, sich auf einige wenige Kernforderungen und Themen zu konzentrieren. Das Thema Wohnungspolitik steht dabei weit vorne an.
Ich glaube, wir sind dabei besonders erfolgreich, wenn wir zwei Konzepte kombinieren: Einerseits politische Inhalte sowohl auf die Straße und ins Parlament zu bringen und andererseits direkte Hilfe anzubieten. Das mache ich auch persönlich sehr häufig.
Ich organisiere in ganz Berlin Mieter:innenversammlungen in Siedlungen, die von hohen Heizkosten, Nachzahlungen, Mieterhöhungen oder Modernisierungsankündigungen betroffen sind. Ich mache auch viele Wohn- und Sozialsprechstunden, wo mir viele Mieterinnen und Mieter schreiben und wir versuchen, für ihre Probleme Lösungen zu finden. Die Kampagne mit diesen dreistesten Vermietern soll auch ein bisschen Ausdruck dessen sein.
Zahlreiche Mieterinnen und Mieter haben mich in diesem Zusammenhang kontaktiert und ihre konkreten Probleme geschildert. In vielen Fällen habe ich mich daraufhin bemüht, sie vor Zwangsräumungen zu schützen oder sie bei Fragen zu Mieterhöhungen und überhöhten Heizkostennachzahlungen zu beraten. Es geht uns darum, gezielte Unterstützung im Einzelfall zu bieten. Diese Themen müssen wir jedoch auch wieder verstärkt im Parlament aufgreifen.