vonLars Freudenberger 16.08.2024

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„Wir müssen die Wahl zu einer Schicksalswahl erklären“, brüllt Björn Höcke bei einer Wahlkampfveranstaltung vor einem beschaulichen Publikum ins Mikrofon. Er steht im thüringischen Eisenberg – in einem Landkreis, in dem auf über 83.000 Einwohner:innen gerade einmal 2500 Geflüchtete kommen und in dem ohnehin schon hunderte armutsgefährdete Menschen wohnen, die der fehlende soziale Kurs der AfD noch weiter ruinieren würde. 

Doch das interessiert hier heute niemanden. Die populistischen Ressentiments der Partei verzerren die öffentliche Wahrnehmung extrem. Scheinbar auch mit Erfolg. Denn die Landtagswahl könnte sich tatsächlich zu einer Schicksalswahl entwickeln. Die AfD liegt jetzt, gut zwei Wochen vor der Wahl, in Thüringen und Brandenburg in Umfragen vorn – in Sachsen knapp hinter der CDU auf Platz zwei. Die Gefahr, dass die protofaschistische Partei stärkste Kraft wird, ist groß. 

Auffällig ist auch, dass derzeit immer wieder ein ostdeutsches Geschichtsbewusstsein im Wahlkampf aufgegriffen wird. Seien es Provokationen beim 63. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August in Erfurt oder beinahe schon groteske Wahlplakate Höckes in Thüringen, die ihn auf einer Simson S 51, einem DDR-Kultmoped, zeigen. Ostdeutsche Identitäten sind für die AfD im Landtagswahlkampf unumgänglich.

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Erst die Instrumentalisierung dieser Identitäten gibt dem völkischen Nationalismus der rechtsextremen Partei etwas Greifbares. Ähnliches beschrieb auch der Sozialwissenschaftler David Begrich kürzlich in der ZEIT: „[Die AfD] eignet sich in ihrer Wahlwerbung Aspekte eines ostdeutschen Lebensgefühls und der dortigen Alltagskultur an.“ 

Diese Strategien erfüllen ihren Zweck für die Partei. Um fehlende Sachkompetenz sorgt sich kaum jemand im AfD-Milieu. Weder auf dem Marktplatz in Eisenberg noch sonst irgendwo in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg. Die „Kartellparteien“, ein häufig genutzter Kampfbegriff der Partei, seien schlichtweg für alles „Unrecht“ verantwortlich. Die eigene Partei würde von der Ampel und der <<Mainstreampresse>> als rechtsextrem abgestempelt und pauschalisiert werden. Die Opferrolle steht – und sie verleiht der Partei noch mehr Auftrieb. Auf Kosten von Schutzsuchenden, queeren Menschen oder anderen marginalisierten Gruppen.

Antifaschistischer Protest gegen die AfD und ihren Spitzenkandidaten, Foto: Hendrik Bammel, flickr

Dass die AfD selbst autoritäre Machtgefälle und Elitarismus fördert, liegt dabei ganz in ihrem Sinn. Denn im Osten findet das Überlegenheitsgefühl einer homogenen <<Volksgemeinschaft>> besonders viel Anklang. Werte und Moral interessieren wenig, wenn eigene Ideale das Gefühl vortäuschen können, anderen überlegen zu sein. Dieses Phänomen zieht sich beinahe durch die ganze Wählerschaft der Partei. Doch besonders junge Menschen neigen immer häufiger dazu, solche Ideologien anzunehmen. 

Denn in jüngeren Altersgruppen wird die AfD zunehmend populärer. Vor allem auf TikTok und Instagram werden immer mehr Jugendliche radikalisiert. Accounts, wie der von Maximilian Krah werden tausendfach geklickt. Bots und Massen von reaktionären Troll-Accounts beeinflussen öffentliche Diskurse auf Social Media und normalisieren Hass und Diskriminierung. Auch hier spielt die ostdeutsche Identität eine zentrale Rolle. Der Osten wird von der Partei als bedrohtes Gebiet ausgerufen, das durch Zuwanderung seine Identität verlieren würde. Dass die Wirtschaft dort immer stärker stagniert und ohne Migration niemals gerettet werden könnte, lässt die AfD natürlich aus. Reguliert werden diese rechten Strukturen auf TikTok und co. übrigens kaum. 

Der Effekt ist bereits jetzt deutlich spürbar: Die AfD kam bei der vergangenen Europawahl in der Altersgruppe der 16-24-jährigen auf ganze 16 Prozent. Das entspricht einem Zuwachs von elf Prozent. Das kann in der Zukunft noch stärkere Auswirkungen zeigen, da die Generation der Erstwählenden besonders effektiv durch die rechtskonservative Polemik geködert wird. Für viele entsteht so langfristig der Eindruck, dass Nationalismus und Rassismus die einzigen richtigen Formen des politischen Widerstands seien.

Genau dort zeigt der Kulturkampf der <<Neuen Rechten>> seine größte Gefahr. Die nationalistische Identitätspolitik, die Queerfeindlichkeit, der Antifeminismus und die völkische Rhetorik der Sammelbewegung radikalisiert zunehmend diese Generation. Sie predigen ein „Aufstand gegen die moderne Welt“: mit offensiven Diskursstrategien und reichlich Revisionismus.

All diese Erfolge lassen sich im weitesten Sinn nicht nur auf Ideologie, Emotionalisierungen und ein aufgegriffenes Geschichtsbewusstsein zurückführen. Sie sind auch das Ergebnis einer rechten Öffentlichkeitsarbeit. Erst dort, in den sozialen Medien, im Funk oder Fernsehen, können die menschenfeindlichen Inhalte salonfähig gemacht werden. Immer mit dabei: die Inszenierung als „volksnahe“ Oppositionspartei.

 

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