vonericbonse 16.10.2021

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Das europäische Parteiensystem ist ins Rutschen geraten. Nach dem tiefen Fall der Sozialdemokraten wohnen wir nun dem Absturz der Konservativen bei.

Kanzlerin Merkel, CDU-Chef Laschet, Wirtschaftsminister Altmaier, Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer – sie alle haben ihren Rückzug angekündigt.

In ein paar Wochen werden sie Geschichte sein. Die CDU kämpft um das Überleben, ihre “Zerstörung” ist weit fortgeschritten, Besserung bisher nicht in Sicht.

Nun ist auch noch Österreichs Kanzler Kurz, die heimliche Hoffnung vieler deutscher Christdemokraten, zurückgetreten. Er stürzte – wie so viele Konservative – über eine Korruptionsaffäre.

Kurz hofft zwar noch, die Macht wiederzuerlangen. Er bleibt Partei- und Fraktionschef, sein Amtsnachfolger Schallenberg wird Mühe haben, sich aus seinem Schatten zu lösen.

Doch erstmal ist er weg vom Fenster, zum Vorbild für die orientierungslosen deutschen Christdemokraten taugt Kurz nicht mehr. Und ein anderes Modell ist nicht in Sicht.

Hollands rechtsliberaler Premier Rutte, den Merkel verehrte, ringt seit Monaten um eine Regierungsmehrheit. Der frühere britische Premier Cameron, den Merkel pflegte, hat sein Land in den Brexit geführt.

Die einst stolze Europäische Volkspartei, die jahrzehntelang die Geschicke der EU bestimmt hat, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. In der aktuellen Krise ist sie kaum zu vernehmen.

Derweil schlägt die Stunde der Souveränisten. In Ungarn und Polen ist diese europakritische und nationalistische Variante des Konservatismus schon an der Macht.

Die polnische Regierung bestreitet den Vorrang des EU-Rechts vor dem polnischen Recht. Die nationale Souveränität sei wichtiger, heißt es in Warschau.

Die ungarische Regierung hat sich mit Polen solidarisiert. Auch in anderen EU-Ländern verspüren die Souveränisten – die sich oft gegen Deutschland positionieren – Rückenwind.

So haben in Frankreich gleich mehrere Parteien das polnische Verfassungsgerichtsurteil begrüßt. Und es waren nicht nur die üblichen Verdächtigen Le Pen und Mélenchon.

Nein, auch der frühere linke Wirtschaftsminister Montebourg und der streitlustige Journalist Zemmour, dem Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt werden, freuen sich.

“Es ist höchste Zeit, dem französischen Recht seinen Vorrang vor dem Europäischen Recht zurückzugeben”, titterte Zemmour nach dem polnischen Urteil.

Dem Mann werden gute Chancen eingeräumt, im Mai 2022 in den zweiten Wahlgang einzuziehen und Präsident Macron herauszufordern.

Vielleicht sollte man sich in Deutschland doch mal wieder mit Europapolitik beschäftigen. Polen und Frankreich, die angeblich engsten Partner, wären ein guter Anfang…

Siehe auch “Polen stürzt EUropa in Verfassungskrise”

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https://blogs.taz.de/lostineurope/die-stunde-der-souveraenisten/

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