vonericbonse 29.03.2019

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Normalerweise wäre es keiner Erwähnung wert. Welche Rolle spielt das Europaparlament schon in der Außenpolitik? Aber angesichts der nahenden Europawahl sollte man schon wissen, dass die Abgeordneten auf Anti-Russland-Kurs schwenken – und neue Sanktionen befürworten.

Russland könne nicht mehr als strategischer Partner betrachtet werden, heißt es in einer Resolution, die mit 402 Stimmen gegen 163 bei 89 Enthaltungen angenommen wurde. Stattdessen sind die Abgeordneten nicht weit davon entfernt, den Nachbarn im Osten zum Feind zu erklären.

Auszug aus der Presseerklärung des Parlaments:

Die Abgeordneten stellen fest, dass seit 2015 neue Spannungsfelder zwischen der EU und Russland entstanden sind, darunter: die Intervention Russlands in Syrien sowie die Einmischung in Ländern wie Libyen und der Zentralafrikanischen Republik und das fortgesetzte aggressive Vorgehen in der Ukraine. Sie betonen auch die Unterstützung Russlands für EU-feindliche Parteien und rechtsextreme Bewegungen, zum Beispiel in Ungarn, und dass es sich immer wieder in Wahlen einmischt und die Menschenrechte im eigenen Staat verletzt.

Das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Ausgerechnet an dem Tag, da der Chef der größten Fraktion des Parlaments, EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU), dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban seine Aufwartung macht, beschuldigt man Russland, dort “rechtsextreme Bewegungen” zu unterstützen!

Doch es geht noch weiter:

Zudem betonen die Abgeordneten, dass die EU bereit sein sollte, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen, auch gezielt gegen bestimmte Personen. Die Sanktionen sollten im Verhältnis zu den Bedrohungen durch Russland angewandt werden.

Das EU-Parlament fordert also neue Sanktionen – einfach so. Das klingt nach einem Freibrief für die Hardliner im Ministerrat. Vor allem gegen die deutsch-russische Nordstream-2-Pipeline würden die Abgeordneten gern vorgehen – man könnte fast meinen, dass sie US-Sanktionen herbeisehnen!

Von Dialog ist dagegen keine Rede. Sozialdemokraten wie Knut Fleckenstein setzen sich zwar immer mal wieder dafür ein, doch sie dringen nicht durch. Es gebe “nur sehr wenig Spielraum für eine Kooperation”, sagte die Berichterstatterin Sandra Kalniete, die – wie Weber – auch der EVP angehört.

Die Abgeordneten setzen sich damit über die Mehrheit der Bürger etwa in Deutschland hinweg, die sich in Umfragen für eine Annäherung an Russland aussprechen. Vor der Münchener Sicherheitskonferenz wurde sogar eine Erhebung bekannt, derzufolge die Deutschen Russlands Zar Putin mehr vertrauen als US-Präsident Trump!

Vielleicht sollte man das bedenken, wenn man Ende Mai zur Europawahl geht. Wer EVP wählt, wählt einen prononciert antirussischen Kurs. Aber auch andere Abgeordnete, die Grünen eingeschlossen, scheinen in der Russland-Politik anders zu “ticken” als ihre Wähler…

P.S. Fast zeitgleich zum Parlaments-Votum gegen Russland hat die EU-Kommission China zum “systemischen Rivalen” erklärt. Prima, da hätten wir also zwei Quasi-Feinde auf einen Streich. Zum Glück haben wir ja noch die USA, oder?

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https://blogs.taz.de/lostineurope/kalter-krieg-im-europaparlament/

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kommentare

  • Kein Wunder ist es, dass die EVP und mit ihr die deutschen Vertreter der CDU den kalten Krieg wiederbeleben wollen. Interessant wäre es zu wissen, wie viele Vertreter der SPD und der Grünen diesen Kurs durch ihr Abstimmungsverhalten unterstützt haben. Könnten Sie dies bitte nachliefern?
    Ansonsten vielen Dank für diesen kritischen Beitrag.

  • „Die Abgeordneten stellen fest, dass seit 2015 neue Spannungsfelder zwischen der EU und Russland entstanden sind…“ – man kann ja darüber diskutieren, wie man damit umgeht, aber in der Sache stimmts doch, oder etwa nicht ?

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