Auch bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien spielt die Europapolitik nur eine Nebenrolle. In Brüssel werden sie dennoch aufmerksam beobachtet. Denn ein Finanzminister Lindner und eine Außenministerin Baerbock könnten für Turbulenzen sorgen.
“Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, dann bin ich tot”. Dieser Seufzer wird Frankreichs Staatschef Macron zugeschrieben. Schon bei den (gescheiterten) Jamaika-Verhandlungen 2017 machte er sich große Sorgen, dass Kanzlerin Merkel die FDP in die Regierung holen könnte.
Vier Jahre später kommt es genauso – allerdings nicht unter Merkel, sondern unter dem Sozialdemokraten Scholz. Diesmal hält sich Macron mit öffentlichen Äußerungen zurück; schließlich versteht er sich mit Scholz sehr gut, zusammen haben sie den Corona-Aufbaufonds möglich gemacht.
Doch dass die FDP an die Macht kommt und sogar das Finanzministerium erobern könnte, sieht man in Paris weiter mit Sorge. Schon jetzt hat die FDP der Ampel einen Sparkurs verordnet, schon jetzt hat sich Scholz auf die Fortführung des Stabilitätspakts festgelegt.
Wenn nun auch noch FDP-Chef Lindner zum Finanzminister wird, könnte er die (von Scholz zumindest angedachte) Fortführung der EU-Schuldenaufnahme blockieren und die EU-Staaten zurück in einen harten Konsolidierungs- und Austeritätskurs zwingen.
Davor fürchtet man sich nicht nur in Paris, sondern auch in Rom, Madrid und Athen. Sogar in Brüssel sehen viele EU-Politiker die Ampel-Gespräche mit Unbehagen. Europa werde zu klein geschrieben, fiskalpolitische Disziplin zu groß, heißt es in EU-Kreisen.
Laut sagen will es keiner, schließlich wird man ja irgendwie mit Scholz und Lindner leben müssen. Doch nun hat Adam Tooze, ein britischer Wirtschaftshistoriker, ausgesprochen, was viele denken. The future of Europe is at stake in the fight for Germany’s finance ministry, schreibt er im “Guardian”.
Ein fiskalpolitisch Konservativer (sprich: Lindner) als Finanzminister und eine Rückkehr der Politik der Schuldenbegrenzung und Konsolidierung könnte ein “Desaster” für die EU und die Eurozone auslösen, warnt der prominente Kritiker der Merkel’schen Europapolitik.
Mit Spannung wird in Brüssel, aber auch in Washington und Moskau auch die Debatte über die deutsche Außenpolitik beboachtet. Nachdem sich die grüne Ko-Chefin Baerbock für eine Blockade der Gaspipeline Nord Stream 2 ausgesprochen hat, schrillen die Alarmglocken.
Baerbock heizt Spannungen an
In Washington freuen sich die Hardliner, die Nord Stream immer schon verhindern wollten – sie könnten nun US-Präsident Biden herausfordern, der die US-Sanktionen vorläufig aufgehoben hat. In Moskau ärgern sich die Gazprom-Leute, die auf die Pipeline setzen.
Und in Brüssel wächst die Sorge, dass der Streit erneut eskaliert – und das inmitten einer ohnehin harten Energiekrise und wachsenden Spannungen um das Gas aus Russland. Baerbocks Ansage kommt einer Sturmwarnung gleich – sie facht den Sturm weiter an.
Noch mehr Turbulenzen drohen, wenn Baerbock zur Außenministerin wird. Dann können wir uns auf neue Sanktionen gegen Russland, Belarus und China einstellen. Der Kalte Krieg der USA mit China, dem die EU bisher ausgewichen ist, würde den größten EU-Staat erfassen.
In Deutschland entscheidet sich wieder ‘mal die Zukunft Europas – leider hinter verschlossenen Türen, in Expertengruppen ohne große europapolitische Ambitionen…
Siehe auch “Ampel ohne Ambition für EUropa”