vonHelmut Höge 23.12.2009

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„Sie hüllt den Menschen in Dumpfheit ein und spornt ihn ewig zum Lichte,“ schrieb Goethe 1780 über die „Natur“. Zwar irrte er sich, als er bestätigte, dass der Text von ihm war (er stammte ursprünglich vom Schweizer Theologen Georg Christoph Tobler), aber unter seinem Namen geriet das „Fragment“ noch 1869 ins Editorial der ersten Ausgabe des Zentralorgans der angloamerikanischen Neodarwinisten: „Nature“.

An einer Synthese – von in Dumpfheit verharren und zum Licht streben – wird heute in der „synthetischen Biologie“ gearbeitet – und wie! In den 1992 verabschiedeten US-Richtlinien für genveränderte Organismen (GVO) hieß es bereits: „The USA is world leader in biotechnology – and will keep it that way“. Zu den „Summer Schools“ der US-Eliteuniversitäten rücken seitdem die besten und jüngsten „Nature“-Karrieristen aus aller Welt an – und basteln „neue  Lebewesen“: Ein französisches Team  schleuste leuchtende Quallengene in farblose Mikroorganismen ein, ein bologneser Team baute stinkende Darmbakterien so um, dass sie fortan nach Bananen und Pfefferminze rochen, ein chinesisches kodierte den Text des Liedes „It’s a small world“ in DNA-Sequenzen, die sie derart in das Erbgut von Darmbakterien einschleusten, dass das Lied bei der Teilung des Einzellers mitvererbt wurde.

Auf der Gentechnik-Olympiade IGEM (International Genetically Engineered Machines) des MIT in Boston werden alljährlich die vielversprechensten Kompositionen aus „genetic components and technologies“ prämiert. 2008 gewann ein slowenisches Team die  begehrte „BioBrick-Trophy“. Es kreierte „a new type of vaccine against H. pylore [ein im Magen siedelndes Bakterium] based on the chimeric flagellin that combines activation of innate and adaptive immunity within the same molecule“.

Es gibt inzwischen schon Baukästen (Bio-Kits) zu kaufen, mit denen man sich zu Hause neue Lebewesen basteln kann, wie der „Chaos Computer Club“ entsetzt berichtete. Der Physiker Freeman Dyson von der Princeton University ist dagegen von diesem neuen „Trend“ begeistert: „Die domestizierte Biotechnologie wird uns, sobald sie in die Hände von Hausfrauen und Kinder gelangt, eine Explosion der Vielfalt von Lebewesen bescheren – ganz im Gegensatz zu den Monokulturen, die  Großkonzerne bevorzugen.“

Das  österreichische Magazin „profil“ veröffentlichte gerade einen Bericht über diese „Biohacker“ in den USA: „In Küchenlabors und Garagenwerkstätten führen sie mit Pipetten, Brutschränken, Mikroskopen und Computern Experimente durch. Sie isolieren. analysieren und vermehren DNA aus Gemüse und Speichel…“ Und wenn sie Feuer gefangen haben, gründen sie erst ein Inter-Netzwerk oder einen Club (erwähnt wird der landesweite  „Do it yourself – DIYbio-Club“) und dann ein „Start-Up-Unternehmen – wie z.B. „Ginkgo Bio Works“, dessen Motto da in Boston lautet: „Wir machen es einfach, Biologie zu manipulieren“. Für seine Kunden, u.a. aus der Kosmetikbranche, entwirft es neue Mikroorganismen und für „Hobbygenetiker“ hat die Firma ein „DNA-Bastelset“ im Angebot. Ihre Chefin träumt davon, Bäume zu schaffen, „die zu einem komfortablen Haus zusammenwachsen.“ Während der DIYbio-Clubgründer hofft, Hefezellen eines Tages so zu programmieren, dass sie das angeblich lebensverlängernde Antioxydans „Resveratrol“  produzieren:  „Damit würde das Biertrinken viel gesünder werden“.

Auf der IGEM wurde in diesem Jahr  besonders viel mit dem Darmbakterium E.coli experimentiert. Die „Trophy 2009“  gewann ein englisches Team der Uni Cambridge – mit einem  manipulierten „E.chromi“, das abhängig von Umweltreizen verschiedene Farbstoffe absondert. Mit von der Partie war heuer auch das FBI, das schon mal die Nähe der Biohacker sucht, weil es sich um „Bioterroristen“ sorgt, wie „profil“ nach einem Gespräch mit einem FBI-Agenten aus der „Abteilung für Massenvernichtungswaffen“ meint. 2004 hatte diese Truppe einen Künstler, der mit „harmlosen Bakterienkulturen“ experimentierte, wegen „Biotechmord“ verhaftet – und mußte ihn dann wieder laufen lassen. Das „Gen-ethische Netzwerk“ hat etwas weiter gedacht: „Vom Bio-Terror zum Bio-Error“. Aber nicht nur die Genkritiker, auch immer mehr Künstler beschäftigen sich mit synthetischer Biologie. Berühmt wurden die diesbezüglichen  Aktionen des 1987 gegründeten „Critical Art Ensembles“ (CAE).

1999 thematisierte die „Ars Electronica“ in Linz „genetische“ bzw. „transgener Kunst“ – d.h. „die Erforschung des künstlichen Lebens wie dessen Kritik. Sie ist eine der wenigen Kunstformen der Gegenwart, die nicht rein kunstimmanent bleibt, sondern sich zentralen Punkten des Lebens nähert,“ wie Peter Weibel etwas unkritisch ausführte. 2007 fand im Berliner Kunstverein NGBK eine weitere Übersichtsschau zur „BioTech-Kunst und den Verheißungen der Biotechnologie“ statt: „Put on your Blue Genes“. Der Philosoph Vilem Flusser hatte bereits 1986 gemeint: „Erst mit der Gentechnik beginnt die wahre Kunst, d.h. sind selbstreproduktive Werke möglich.“ Und damit auch selbstreproduktive Waffen, wie das FBI befürchtet. Die Firma  „Ginkgo Bio Works“ ebenso wie der „DIYbio-Clubgründer spielen jedoch laut „profil“ diese Gefahr herunter: „Wenn jemand mit technischer Expertise entschlossen ist, Pathogene herzustellen, dann werden ihn davon keine Vorschriften oder andere Hürden abhalten,“ meint z.B. Tom Knight von GBW.

Die eher an kropotkinschen „Symbiosen“ als an neodarwinistischen -„Natur-Verbesserungen“ interessierte US-Mikrobiologin Lynn Margulis veröffentlichte 1993 zusammen mit ihrem Sohn einige Vorschläge für Hobbybiologen – zwischen „BioTech-Kunst“ und „synthetischer Biologie“: „Garden of Microbial Delights: A Practical Guide to the Subvisible World“. Auch an diesem praktischen Ratgeberbuch wurde bemängelt: „The authors should have included a note on safety, as some of the cultures can produce pathogenic organisms.“

Darum ging es u.a. auf dem „Chaos Communication Congress“ im Berliner Kongreßcenter, wo 2007 z.B. „Biohacker“-Probleme diskutiert wurden. Der MIT-Biotechniker Drew Endy referierte dort über „Programming DNA“. Während die Veranstalter, der Chaos Computer Club (CCC), sich über „Building a Hacker Space“ Gedanken machten. Vielleicht nannte sich deswegen das an der IGEM 2008 beteiligte Team von der ETH Zürich bereits „Chaos Cloning Club (CCC)“. Seine Mitglieder versuchten in Boston, „aus einem Plasmid einen Teil des DNA-Strangs herauszulösen und in ein anderes Plasmid einzupflanzen. Am Schluss sollten die Bakterien, die das Plasmid enthielten, durch das Besprühen mit einem Stoff gelb werden. Leider klappte es nicht, doch dies tat dem Tatendrang keinen Abbruch. Selbst die wissenschaftliche Zeitschrift ’nature‘, in der wir hoffen mit unserem Design zu erscheinen, war vertreten,“ berichteten sie anschließend frohgemut. Das „Gen-ethische Netzwerk“ ist weniger begeistert. In der Dezember-Ausgabe seines GID-Infos schreibt Florian Rötzer: „Die Befürworter der synthetischen Biologie werden derzeit deutlicher hörbar. So fand unlängst der Kongress ‚Synthetic Biology 3.0‘ an der ETH Zürich statt. Dort heißt es, dass ‚die neue und sich schnell entwickelnde Forschungsrichtung‘ das Ziel habe, ‚(neue) biologische Systeme (neu) zu entwerfen und herzustellen‘. Potenzielle Anwendungen gebe es viele. Die Vorträge beschäftigten sich mit der minimalen Zelle, der Weiterentwicklung von Genomen, neu verbundenen Gennetzwerken von Bakterien, der Herstellung von menschlichen Zellen, Gensynthese oder eben einem ‚Ab Initio Design of Complete Living Organisms‘. Es wurden auch Sicherheitsvorkehrungen behandelt und Anwendungen in der Chemie, der Material- und Systemforschung diskutiert.“

Zu den Zürcher Referenten gehörte die Biologin Florianne Koechlin von der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnik (SAG), sie kritisierte: „Einmal mehr hören wir von der Wissenschaft, unterstützt von Industrie und Militär, man habe das Leben im Griff und könne es bald konstruieren. Doch Leben ist mehr als die Summe seiner Teilchen.“ (Koechlin ist Mitglied der eidgenössischen Ethikkommission EKAH, die sich demnächst mit den Auswirkungen der synthetischen Biologie auseinandersetzen wird). Für Deutschland ist in dieser Hinsicht wenig zu erwarten – seitdem  CDU, CSU und FDP an der Regierung sind. Diese Parteien handelten einen Koalitionsvertrag aus: „Es findet sich darin kein einziges Wort zum Schuldenabbau, wohl aber über eine vom Konzern BAYER entwickelte Kartoffelsorte: ‚Der Anbau der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Verwertung wird unterstützt,‘ heißt es im Regierungsvertrag.  Der Konzern bemüht sich seit zwölf Jahren um eine Zulassung für die Kartoffel. Jetzt sehe man, wer der Regierung die Feder führe,“ schreibt die „IG Bauen Agrar und Umwelt“ in ihrem Gewerkschaftsorgan „Der Säemann“.

Auch das Organ der Bundesregierung und der Länder zur politische Bildung – der „Fluter“ – ist durchaus genkritisch eingestellt. Über „Das Eigentum in der Pharmaindustrie und der Gentechnik“ heißt es dort:

„Der ganze Erkenntnis-Apparat ist ein Abstraktions- und Simplifikations-Apparat – nicht auf Erkenntnis gerichtet, sondern auf Bemächtigung der Dinge …“ (F.Nietzsche)

Als der Kernphysiker Klaus Fuchs, der im Exil an der englisch-amerikanischen Atombombe mitarbeitete, Teile des Bauplans an die Sowjetunion weitergab, wurde er als „Spion“ verhaftet und kam ins  Gefängnis. Er selbst begriff seinen „Verrat“ – die Weitergabe von Forschungsergebnissen – jedoch als eine Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit unter Wissenschaftlern – zumal da sie in Ländern arbeiteten, die damals noch alliiert waren.

Ein ähnlich komplexes internationales Forschungs- und Entwicklungsprojekt war in den Neunzigerjahren die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts, das sog. „Human-Genom-Project“. Als das HGP seine ersten Daten 2000 im Internet veröffentlichte und der US-Präsident Bill Clinton zusammen mit dem englischen Premierminister Tony Blair eine Erklärung herausgaben, in der sie die „weltweite Forschergemeinde“ aufforderten, auch fürderhin ihre „Rohdaten“ auszutauschen, hatte sich die Situation jedoch umgedreht: Jetzt waren es vor allem die Biowissenschaftler, von denen in den USA fast 80% eigene Firmen besitzen – zur Verwertung ihrer Arbeiten, die auf den staatlichen Schutz ihrer Daten vor Entwendung durch Dritte bestanden, d.h. auf ihre Patentierung.

Der Biochemiker Craig Venter, dessen Firma Celera in Konkurrenz zum HGP forschte – und 1999 bereits für 6500 ausgemachte Gene Patentanträge gestellt hatte, schreibt in seiner Autobiographie: „Ich war auf dem Weg, der erste Dollar-Milliardär der Biotechnologiebranche zu werden.“ So viel war den Geldgebern sein baldiges „geistiges Eigentum an menschlichen Genen“ wert. Aber innerhalb von 48 Stunden nach der Erklärung von Clinton und Blair zogen seine Aktionäre  „Venture-Capital“ im Wert von 6 Milliarden Dollar aus der Firma: „Der Biotechnologiemarkt verlor insgesamt rund 500 Milliarden,“ schreibt Venter, der sich daraufhin nicht einmal mehr den Kauf einer Yacht für 15 Millionen leisten konnte. Aber Clinton und Blair hatten das alles gar nicht so gemeint, wie sie wenig später in einer weiteren Erklärung, zusammen mit Venter, versicherten. Die Verwandlung wissenschaftlicher Genforschung in Biokapital wollten und konnten sie nicht stoppen. In den 1992 veröffentlichten US-Richtlinien für genveränderte Organismen (GVO) hieß es bereits: „The USA is world leader in biotechnology – and will keep it that way“.

Und bis 1995 waren schon 1200 Patente auf menschliche DNS-Abschnitte erteilt, an denen vor allem die Pharmaindustrie  interessiert war. Noch weit mehr Patente bezogen sich auf die Zelllinien von Pflanzen und Tieren – für die Agrarindustrie. Hans-Magnus Enzensberger schrieb 2001: „Die mit der Industrie verschmolzene Wissenschaft tritt als höhere Gewalt auf“, wobei der dafür „nötige Energieeinsatz nicht mehr aus der Umwelt, sondern aus dem entfesselten Kapital stammt.“ Die indische Biologin Vandana Shiva nennt das in ihrem Buch „Biopiraterie“, eine zweite „Kolonisierung“, die nun „auf die Innenräume von Lebensformen ausgeweitet wird, auf die ‚genetischen Codes‘ von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren, einschließlich des Menschen“. Schon 1991 hatte die US-Firma General Electrics ein Patent auf ein gentechnisch verändertes Bakterium beantragt. Ihr Mitarbeiter Anand Moha Chakravarty hatte die DNA-Moleküle (Plasmide) von drei Bakterienarten isoliert und in eine vierte transplantiert: „Ich habe einfach einige Gene gemischt,“ erklärte er. Obwohl der Forscher also keinen neuen Organismus „erfunden“ hatte, wurde die Gen-„Verschiebung“ als sein geistiges Eigentum anerkannt und ihm das „erste Patent auf Leben vergeben“. Die indische Biologin erbost besonders, dass die Bauern jahrtausendelang, seit einigen Jahrhunderten auch zusammen mit Wissenschaftlern, Pflanzen und Tiere züchterisch verbessert haben, und diese nun aber mit den profitorientierten Gentechnikern in das Eigentum von Biokonzernen übergehen. Die Bauern müssen z.B. das Saatgut von ihnen kaufen und dürfen aus den Pflanzen dann bei Strafe nicht mehr ihr eigenes Saatgut ziehen.

Der in den USA lehrende Anthropologe Kaushik Sunder Rajan hat neuerdings einige Fallstudien über das Vorgehen der Genforscher und Pharmakonzerne veröffentlicht. Auch er spricht im Zusammenhang ihres Vorgehens von einem „quasi kolonialen Unternehmen, das sich genetisches Material aus der Dritten Welt aneignet, um in der Ersten Welt Werte zu erzeugen.“ Darüberhinaus ist dieses Material dann auch noch Grundlage für neue Medikamente, die dann wieder in der Dritten Welt getestet werden, u.a. an arbeitslosen Textilarbeitern in Bombay, für die das die einzige Einkommensquelle ist. Hierbei von „freiwilligen Versuchsteilnehmern“ zu sprechen, hält Rajan für „ethisch äußerst fragwürdig“, sie sind eher von „Opfern zu bloßen Objekten geworden.“ Da die Mikrobiologen auf der anderen Seite für ihre „Venture Science“ laufend Kapital einwerben müssen, propagieren sie einen wahren „Genfeteschismus“: Alle menschlichen Probleme und Krankheiten werden von ihnen auf das Erbmaterial reduziert. Sogar unsere Sterblichkeit wird als ein Gebrechen angesehen, das heilbar ist. Wir haben es dabei mit einer postfaschistischen Eugenik zu tun, die nicht mehr auf nationaler, sondern auf individueller Basis und mit Privatbesitz operiert. Einer der berühmtesten US-Genetiker, James Watson, sagte es so: „Früher haben wir gedacht, unser Schicksal stünde in den Sternen. Heute wissen wir, es liegt in unseren Genen.“ Dort liegen auch die Schätze begraben, die es nun zu heben gilt. Mit Erkenntnissen bei der Wahrheitssuche hat das nur noch am Rande etwas zu tun.

Craig Venter: „Entschlüsselt“, Frankfurt/Main 2009

Kaushik Sunder Rajan: „Biokapitalismus“, Frankfurt/Main 2009

Ananada Shiva: „Biopiraterie –  Kolonialismus des 21. Jahrhunderts“, Münster 2002.

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