vonSchröder & Kalender 20.09.2006

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Und so geht’s weiter mit den klandestinen Dreharbeiten zum Pornofilm ›Sexokratie‹: Ob Svensson uns nachsetzte? Er löste sich auf geheimnisvolle Weise in Luft auf, dachte ich damals. Erst ein paar Jahre später wurde mir klarer, was es mit der Food-Schiene auf sich hatte, als Werner Klemming beschloß, sich nach Norditalien zu verkriechen, und mir vorher seine Malik-Sammlung verkaufen wollte. Beiläufig erzählte er mir von seiner Lehrzeit in Bechers Nachkriegs-Weizenkontor. Aber erst nachdem Hans Dieter Heilmann den Bericht des ollen Biss über die Budapester Verhandlungen neu herausgab, über Kastner, Eichmann, Becher, 1985, und da auch erst zwei Jahre später, dämmerte es mir endlich, mit welchem Netzwerk diese Hilfsorganisation auf Gegenseitigkeit die zweite Republik überzogen hatte. Da paßt mal ›Netzwerk‹, die neudeutsche Metapher für jedwede Gruppengemeinheit und lobbyistische Abstauberei. Ja, warte doch ab! Es verknüpft sich schon noch.

Erst mal waren wir wieder in Frankfurt, Beitlichs Nase wurde bald rosiger, aber er machte mich noch wochenlang verrückt mit seiner Schwedenparanoia. Ich dachte mir, die können mich mal, beauftragte Rechtsanwalt Riemann, einen Brief zu schreiben, daß ich als linker Verleger wegen der ungewöhnlichen Geschäfte, die Svensson und seine Geschäftspartner angedeutet hätten, von der Gründung der projektierten Aktiengesellschaft absehen müsse. Nach diesem Brief habe ich von den Typen direkt nichts mehr gehört. Was die Filmkopien anging, war ich so klug als wie zuvor. Da, gänzlich überraschend, meldete sich das Atlantik-Filmkopierwerk aus Hamburg, sie seien nun möglicherweise doch bereit, erotische Filme zu kopieren, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß ihnen ein Gutachten vorgelegt würde, welches sie juristisch freistellt, ein Gutachten von ausgewiesenen Wissenschaftlern, daß es sich bei unseren Filmen nicht um strafwürdige Pornographie handelt. Ein ungewöhnliches Zusammentreffen, diese plötzliche Bereitschaft von Atlantik-Film nach unserem Schwedenabenteuer, kann aber auch Zufall gewesen sein.

Nun ging die wunderbare Geschichte mit Konsul Breckwoldt los. Der erste Film war gedreht, das Gutachten für seinen ›Schüler‹-Film hatte sich Bazon Brock selbst geschrieben. Ich konnte also darangehen, das nächste Œuvre vorzubereiten. Es sollte eine Eigenproduktion von Uve Schmidt und mir werden, Rainer Boldt hatte seinen Freund Roland Hehn als Kameramann empfohlen. Der Film trug den Titel ›Sexokratie‹, ein Lehrfilm, in dem die Grundrechte des Grundgesetzes mittels erotischer Metaphern erklärt wurden: »Die Würde des Menschen ist unantastbar« oder »Die Kunst ist frei«. Jeder dieser Leitsätze – ja, stimmt schon, dumpf – wurde in einer Szene ausgespielt, ein erotischer Vulgär-Stanislawski, dafür mußten vier Leute gefunden werden.

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Rosi hatte bereits zugesagt, eine vollbusige Frau mit dunkelbraunen Haaren, der wir aber stets eine lockige blonde Mittellanghaarperücke nach Landfrauenart verpaßten. Rosi war Sekretärin, gehörte nicht gerade zum intellektuellen Überbau, war eher schlicht zu nennen. Sie hatte einen Tierarzt zum Freund, der natürlich nicht wissen durfte, daß sie auf Pornopfaden wandelte. Die Frau hatte exhibitionistische Anlagen, es machte ihr Vergnügen, sich vor der Kamera auszuziehen, und das Vögeln vor imaginierten Zuschauern bereitete ihr Lust. Deshalb belebte sie unsere Film- und Fotosessions, so auch die ›Made in Sweden‹-Produktion, die Gunter Rambow zwei Wochen vorher fotografiert hatte. Rosi war zur allgemeinen Begeisterung durch die Wohnung gelaufen – die ›schwedische Familie‹ wurde in meiner Wohnung in der Günthersburgallee fotografiert – und schrie: »tiefa, tiefa!« mit Inbrunst. So machte sie es auch bei der ›Sexokratie‹, es gehörte mit zu ihrem exhibitionistischen Coming-out. Die zweite hieß Martina, eine dunkelhaarige Frau, die ich vor drei Jahren bei Dominique in Frankfurt wiedergetroffen habe. Sie ist jetzt ein bißchen füllig, früher war sie sehr schlank. Martina erzählte unbefangen, daß sie alles erreicht habe, was sie damals wollte, nämlich Malerin werden, dazu sei sie noch Kunstlehrerin. Zur Zeit der ›Sexokratie‹ studierte sie und war mit einem Diplom-Psychologen verheiratet, der bald darauf in der RAF landete, ein freundlicher, aggressionsfreier Mann, ich sah ihn plötzlich auf einem Fahndungsplakat. Für Martina war es die erste Pornoproduktion, bei der die Vögelei nicht simuliert wurde. Als männlicher Darsteller hatten wir Jörn Freese aus Hamburg engagiert, sein Fleischschwanz war sein wichtigstes Kapital in dem Geschäft, denn die Standfestigkeit der Pimmel bereitete sonst gewisse Probleme.

In der ›Sexokratie‹ sollte auch Peter Steiner mitspielen, damals noch nicht fett, sondern sehr sportlich. Er hatte nämlich diese ›Tiefa‹-Rosi eingebracht, war ihr Freund, neben dem Tierarzt. Jetzt saßen wir in der Kulisse, die uns Donatus Bölkow gebaut hatte, richtig, das damalige schwarze Schaf von MBB, der häufig als Requisiteur mitwirkte. Er hatte ein drei mal drei Meter großes Bett in unserem Hilfsstudio aufgeschlagen, mit den bundesrepublikanischen Farben bezogen: schwarz, rot, gelb. Uve Schmidt spielte, als Harlekin geschminkt und gekleidet, den Spruchhochhalter: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«, »Eine Zensur findet nicht statt«, »Eigentum verpflichtet«, »Die Würde des Menschen ist unantastbar«. Als Drehort diente uns die Dorfschule unseres Filmspezialisten im Taunus. Der Schulraum, sonst sein Filmvorführraum, war zum Studio umfunktioniert, die Jupiterlampen strahlten, die Fenster waren mit schwarzen Papierbahnen zugeklebt, das Bett mit schwarzen Volants umhängt, durch die von Zeit zu Zeit ein lüsterner bebrillter Praktikant lugte. Wir baten Ratibor, ihn wegzuschicken, aber der ließ sich nicht abschütteln. Ratibor selbst war während der Filmarbeiten nicht anwesend, wir hatten ihm den Raum für einen Haufen Geld abgemietet. Schließlich haben wir Wolfgang, den Praktikanten, da er einfach nicht verschwand, zum Bier- und Brötchenholen abgestellt. Fünfzehn Jahre später, während einer Interview-Session mit dem alten Biss in Berlin, hat Wolfgang Felger plötzlich beim Italiener am Lehniner Platz rausgelassen, daß er es war, ob ich mich nicht an ihn erinnere, daß wir doch damals diesen Porno gedreht hätten, daß er bei Ratibor sein Kameragewerbe gelernt habe. Und daß wir ihn bei Gefahr des Eierabhackens damals zur höchsten Geheimhaltung verdonnert hätten.

Ja, Peter Steiner hatte Rosi angeschleppt, und als er die Hosen fallen ließ, da sahen wir seinen blauen Slip, aber darunter bewegte sich nichts, nur sein Maul regte sich: »Was soll das? Ich kann das nicht, so öffentlich ficken, das will ich nicht.« Er fing an rumzurandalieren, ich beendete das mit: »Hose an, Steiner, Schluß! Wenn du nicht kannst – in Ordnung, aber dann verschwinde auch.« Das Studio war gemietet, die Beleuchtung, die Mitspieler, der Kameramann, jeder Beteiligte kriegte tausend Mark pro Tag, jetzt fiel Steiner aus, und wir hatten keinen Ersatzmann. Weil er Zicken machte, war auch die scheinbar unverwüstliche Rosi unvermittelt demotiviert, bekam Skrupel, fühlte sich nicht attraktiv, von Peter zurückgestoßen. Ich versuchte sie zu beruhigen und zu überzeugen, daß sie im Gegenteil ein sehr attraktives Mädchen sei. Die Worte nutzten nichts, ich konnte ihr die Selbstzweifel nur nehmen, indem ich mit ihr vögelte, auf dem Bundesbett. Diese Szene hat Roland Hehn geistesgegenwärtig mit der Kamera eingefangen, ein komischer Filmclip. Es war eine merkwürdige Erfahrung, vor laufender Kamera zu ficken, und die Tristesse danach war auf dem Filmstreifen sichtbar: Ich fiel zurück, der Schwanz stand noch, aber er zog sich, wie in Zeitlupe gedreht, teleskopartig zusammen. Diese Sequenz wurde natürlich nicht benutzt für den späteren Film, sie gehörte ja auch nicht dazu.

Rosi war wieder die alte, aber für den gehemmten Steiner mußte dringend ein Ersatz her. Jörn Freese wußte Rat: »Ich rufe in Hamburg an«, so umständlich war es damals noch, einen zweiten Ficker zu finden, »mein Freund Stefan ist Friseur, wenn der sich eine Perücke aufsetzen und einen Bart ankleben kann, dann macht er mit.« Die Produktion wurde für sechs Stunden ausgesetzt und der Hamburger Friseur vom Flughafen abgeholt. Er brachte seine eigene Perücke mit, klebte sich auch selbst den Bart an, und ›Sexokratie‹ wurde abgedreht.

(BK /JS)

In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)

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