vonSchröder & Kalender 23.11.2006

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

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Und so geht’s weiter mit einem P.E.N.-Kongreß in Nürnberg, das Tagungsthema hieß ›Wer hat Angst vor Pornographie?‹:

Auf dem Rückweg fuhr ich mit der Familie nur bis Nürnberg, blieb allein dort, ich wollte zur PEN-Tagung, das Tagungsthema hieß ›Wer hat Angst vor Pornographie?‹. Horst-Dieter Ebert vom ›Spiegel‹ hatte mir den Tip gegeben, dort aufzutauchen, ich war ja in Sachen Pornographie auch als Lobbyist tätig, es ging schließlich immer noch um die ›Freigabe‹. Die Meistersingerhalle war überfüllt, die Leute saßen auf dem Boden, die Diskussion mußte in die Wandelgänge übertragen werden. Präsident war Heinrich Böll, und auf dem Podium saßen Walter Jens, Werner Ross, mein ehemaliger Französischlehrer in Bonn, und einige andere unentwegte Debattierer. Aus dem Saal sollte mitdiskutiert werden. Ebert hatte für uns einen Platz in der ersten Reihe reserviert, neben mir saß Gabriele Henkel, die sich in der Bewegungszeit in jedes Kulturereignis einmischte, das irgendwo en vogue war. Es konnte gar nicht links und schrill genug zugehen, bis ihr Konrad so etwas strikt verbot.

Das jetzt nur als Volte, um klarzumachen, daß Gabriele Henkel sich damals geradezu manisch fortschrittlich gebärdete und in der Meistersingerhalle natürlich auch über Pornographie ein Wörtchen mitreden wollte. Die Veranstaltung begann, und Heinrich Böll posaunte vom Podium, ich traute meinen Ohren nicht — was erzählt er da? Er betete Petschulls ›Stern‹-Artikel über den Pornokönig runter wie auswendig gelernt. Anhand dieses Pornokönig-Bösewichts — Böll nannte mich nicht beim Namen, aber fixierte mich, ich saß ja nur ein paar Meter unter ihm —, anhand dieser »hemdsärmeligen Figur, die sich auch noch etwas darauf einbildet, daß sie kein guter Mensch sei und auch keiner werden wolle«, machte er seine Abscheu vor Pornographie klar, begleitet von rotbäckchenhafter Akklamation des Werner Ross und des Gummischuhgesichts Walter Jens. Derselbe Jens, der 1968 für mich zusammen mit seiner Frau Inge ein dreißig Seiten langes euphorisches Gutachten schrieb in Sachen ›Geschichte der O‹, was ja nun mal ein veritabler pornographischer Roman ist. Das glaubst du nicht? Fahr doch nach Marbach, da findest du ihr Gutachten im Melzer-Konvolut des März-Archivs. Derselbe Jens zog hier im Anschluß an Böll gegen Pornographie vom Leder wie einer vom Volkwartbund. Da war mir klar, hier ist nichts mehr zu machen, die ganze Meistersingerhalle hatte den ›Stern‹ gelesen, alle wußten, daß ich diese eklige Type bin. Das war nicht irgendeine Geschichte, die man schnell vergessen würde, das hatte richtig eingeschlagen. Aber aufzuspringen und »Das ist doch alles ganz anders!« zu brüllen, wäre sinnlos gewesen. Alle Libertinage war diesen Vordenkern plötzlich abhanden gekommen. Ich stand da wie ein Übeltäter, als hätte nicht kürzlich noch die intellektuelle Elite an meiner Türschwelle gekratzt, als sei da nichts veröffentlicht worden von Urs Widmer, Elfriede Jelinek und Rolf Dieter Brinkmann, gar nicht zu reden von Chotjewitz, Wondratschek, Nettelbeck, Piwitt, mal von den Amerikanern abgesehen wie Leslie Fiedler, Cohen und Ken Keseys ›Kuckucksnest‹, von der politischen, der psychoanalytischen, der pädagogischen Literatur! Als hätte das alles nie stattgefunden. Komisch daran ist, daß ausgerechnet ein Mann wie Böll, der ein paar Jahre später eine Novelle über Pressehetze, nämlich ›Die verlorene Ehre der Katharina Blum‹, veröffentlichte, unhinterfragt auswendig lernte, was so ein Schmierant zusammengekleistert hatte. Er hätte ja erkennen können, daß es nicht stimmen konnte, wenn er es hätte erkennen wollen. Klar, wenn einer beim Friseur sitzt und den ›Stern‹ liest, kann er das nicht analysieren, aber die Literaten! Auch wenn man ihnen zugestehen muß, daß gerade sie wenig Bücher lesen, hauptsächlich Verlagsprogramme und Feuilletons durchblättern und von einem Symposion zum anderen hetzen. Überleg dir nur mal, was dieser Böll für Ämter auf sich gehäuft hatte! Wenn Henscheid das meinte, wenn er Korruption sagt, ist es das falsche Wort. Das ist nicht Korruption, sondern galoppierende Wichtigtuerei. Ich werfe Böll nicht vor, daß er wenig von März las, aber er muß doch gewußt haben, daß dies ein Verlag war, der 1971 bereits hundert Titel vorgelegt hatte. Und es reichte eine blöde Veröffentlichung im ›Stern‹, um alles ungeschehen zu machen.

Ich machte mich bald aus dem Staube, zwar warf Ebert als mein Freund vom ›Spiegel‹ ein paar ätzende Brocken dazwischen, was die Männer auf dem Podium etwas verwirrte, aber ich ging, hatte keine Lust, mich weiter dem Neid dieser PEN-Männer auszusetzen, denn eigentlich wollten sie alle auch nur einen Jaguar, zwei nackte Frauen und ein Schloß. Es war die Zäsur, der Wind drehte sich, das Klima für Pornographie wurde wieder rauher. Väterchen Böll, der Durchblicker des Presseunwesens und der Journalistenmentalitäten, hatte verkündet, daß Pornographie böse ist, und alle Feuilletonisten, die jahrelang das Gegenteil verbreitet hatten, waren jetzt ebenfalls auf dieser Linie. Es war auch für mich die negative Zäsur, aber vielleicht ist es zu monokausal, dies nur auf den ›Stern‹ zu schieben, es hatte viel mit Sexualneid zu tun, aber es gab genug Gründe für Neid anderer Provenienz.

(BK /JS)

In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)

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