Der Bär flattert heftig in östlicher Richtung.
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Und so geht’s weiter mit dem Foto-Shooting für das Stellungsbuch ›Einmaleins für Zwei. 111 Liebesvariationen‹:
Maurice Girodias kam alle zwei Monate nach Frankfurt, verspürte aber kein Bedürfnis, mich im Darmstädter Keller zu besuchen, saß lieber im ›Intercontinental‹ in einer Suite und berichtete mir dann von weltweiten Olympia-Press-Gründungsplänen. Der Grund seiner häufigen Besuche war vor allem, bei jedem Treffen einen Scheck von dreißig- oder vierzigtausend Mark à conto der Tantiemen entgegenzunehmen. So hatten wir es mündlich vereinbart, denn einen schriftlichen Lizenzvertrag gab es noch nicht. Girodias erhielt, wenn ich einen Titel aus seinem amerikanischen Programm übernahm, einen Vorschuß von tausend Dollar à conto der Autorentantieme von siebeneinhalb Prozent vom Ladenpreis. Zusätzlich war als Abgeltung für die Benutzung des Olympia-Press-Logos eine Lizenzgebühr von sieben Komma fünf Prozent vom Nettoverkaufspreis vereinbart, die für Girodias’ Genfer Holding bestimmt war. Diese trug den seltsamen Namen Euratom SA, hatte also, bevor Maurice sie übernahm, ganz anderen Zwecken gedient.
Girodias wurde zum Kuckuck, der nach immer mehr Geld schrie. Wenn er den Scheck eingelutscht hatte, redete er über neue Buchprojekte. Einer seiner Lieblingspläne war ein Fotopornoroman, Arbeitstitel ›Swedish Family‹. Den sollte ich in Deutschland produzieren, und er wollte den Titel international mit Bildunterschriften in der jeweiligen Landessprache für seine Olympia-Press-Filialen übernehmen. Ich machte das Buch später tatsächlich unter dem Titel ›Made in Sweden‹, und während Maurice seine Vorstellungen dazu ausbreitete, fiel mir etwas Schlichteres ein, ich sagte ihm aber nichts davon. In Skandinavien gab es sogenannte »Stellungsbücher«. Beate Uhse hatte eines in Lizenz produziert, ›Karin und Bernd‹, die beiden Stellungsdarsteller trugen darin Baletttrikots, weil ja die Abbildung der primären Geschlechtsmerkmale strengstens verboten war. Die Vorläufer von ›Karin und Bernd‹ waren Scharteken mit fotografierten Gliederpuppen, Pinocchios ohne Geschlechtsteile, wie sie die Kunstschüler fürs Aktzeichnen benutzen, bevor sie vor die lebenden Figüren gelassen werden. Rechts lief eine Bildleiste mit Holzpuppenverrenkungen, links stand dumpf und dröge, was bei dieser oder jener Stellung zu beachten sei, pseudowissenschaftlich, damit der Text nur ja nicht ins Laszive pendelte. Die Sache war als seriöses Eheberatungsbuch getarnt. Während Maurice über seine »Swedish Family« abprobte, dachte ich mir: Wäre doch toll, wenn ich einen Schritt weiter ginge und einmal nackte Menschen in einem Stellungsbuch plazierte.
In der Urszene der deutschen Pornographie gab es noch keine Modelle, deshalb hörte ich mich in Dänemark um und machte schließlich Frederik Eriksen in Kopenhagen ausfindig. Frederik, ein dunkelhaariger junger Mann, besuchte mich mit seiner blonden Freundin Mette in Darmstadt. »Modelle sind doch kein Problem«, meinte er, dann rechnete er mir seine Produktionskosten für die Fotoserie vor. Wir verbrachten den Nachmittag über den Zahlen, aßen abends zusammen, und nach dem theoretischen Teil kam plötzlich die Praxis zu ihrem Recht, das Pärchen wollte einen flotten Dreier machen; ich war nicht abgeneigt. Die beiden bezogen ein Doppelzimmer im ›Parkhotel. Mein Einzelzimmer blieb unbenutzt, Mette zog mich ohne viel Federlesen aufs Doppelbett, und wir vögelten. Frederik lag daneben, beglotzte uns und wichste sich an. Als ich erschöpft zur Seite fiel, packte er seine Freundin – nie wieder habe ich eine solche Leistungsfickerei erlebt! Mag sein, daß ich manchmal auch so verrückt zugange war, aber dabei beobachtet man sich ja nicht selbst. Jedenfalls, wie die beiden das Tier fütterten, rollten, reinklatschten, rammelten, wie Frederik röhrte und Mette kreischte, war wahnwitzig. Das ging eine halbe Stunde lang, was weiß ich, mir kam es endlos vor. Die Schlammreiterei war mir jetzt so unangenehm, daß ich diese Sauerei am liebsten verboten hätte!
Es gibt eine Erzählung, ich glaube von Michail Lermontov, in der ein Jäger das Gebrüll eines unbekannten Tieres hört, es ist kein Wolf und kein Bär. Als er die Bestie endlich beschleicht, entdeckt er ein Liebespaar, das sich in der Tundra begattet und dabei Brunstlaute ausstößt. Diese schöne Geschichte kam mir in den Sinn, als die beiden neben mir so ekstatisch schrien. Es half nichts, die Szene blieb mir zuwider, bis Mette und Frederik endlich in einen komaartigen Schlaf fielen. Die Verabschiedung am Morgen verlief entsprechend kühl, das Geschäft kam nicht zustande. Ich hatte keine Lust mehr, mein ›Einmaleins für Zwei‹ mit Eriksen zu produzieren, beschloß daher, es allein zu versuchen, und besorgte mir ›Karin und Bernd‹ sowie das Pinocchio-Buch. Natürlich zog ich auch das ›Kamasutram‹ zu Rate. Darin findest du noch viel mehr Varianten, regelrechte Kopulationspyramiden, eigentlich ist das ja eher Yoga, sehr akrobatisch. Von den harmloseren indischen Knäueln suchte ich mir ein paar aus. Das wäre übrigens etwas für André Heller! Wenn ihm für die nächste Show nichts einfallen sollte, könnte er das ›Kamasutram‹ nachstellen: ›Fickende Körper‹. Wird bestimmt ein Welterfolg, mit Helmut Markwort als Untermann.
Eine ganze Nacht lang bastelte ich an meinen hundertelf Liebespositionen, stellte ein Storyboard zusammen mit Strichfrauchen und -männchen, rief dann Uve Schmidt an: »Ich arbeite gerade an einem Stellungsbuch, du schreibst bitte die Texte. Aber es gibt ein Problem: Ich brauche ein nettes junges Paar.« Uve, wie immer gnadenlos in solchen Dingen, leierte seine Kusine Heide an, die in Bochum Biologie studierte, ein nymphomanisch angehauchtes Mädchen, hübsch mit langem braunem Haar und feinem Gesicht. Für die Fotoserie wollte Heide eine blonde Kurzhaarperücke tragen, damit sie niemand wiedererkennt. Danach fragte ich Gunter Rambow, der war Feuer und Flamme, die Serie zu fotografieren, und besorgte den Partner. Roy hatte ein paarmal als Modell für sein Atelier gearbeitet, die fürstliche Tagesgage von tausend Mark überzeugte ihn. Gunter stellte jedoch eine Bedingung: »Ich darf da namentlich nicht vorkommen, sonst machen sie mir das Atelier zu! Ich nehme ein Tageshonorar, wie ich es von Arwa kriege, wenn ich Strumpfbeine fotografiere, und weiß sonst von nichts!«
Um dem Verdacht der pornographischen Darstellung zu entgehen, sollten die Bilder keine zerwühlten Kissen zeigen, also wurden Telefonbücher und Kisten mit Papier bezogen, die Bett, Stuhl und Tisch simulierten. Dann rollte Rambow curryfarbene Papierbahnen auf dem Fußboden aus, auf dieser Fläche arrangierte ich die beiden Modelle nach meinem Storyboard. Natürlich fanden keine wirklichen Kopulationen statt, auf gut deutsch: es wurde nicht gevögelt. Heide und Roy waren lediglich nackt. Die Fotosession dauerte einen Tag, Gunter ließ die Filme entwickeln, gab mir die Dias und kassierte seine drei Mille, mehr wollte er mit der Sache nicht zu tun haben – normalerweise sucht ein Fotograf selbst die Motive aus. Nein, das wollte er partout nicht. Gunter Rambow hatte als passionierter Mösengucker zwar gerne fotografiert, aber auch höllische Angst – und die war nicht unberechtigt –, daß die Staatsanwaltschaft ihm die Hammelbeine langzieht. Das stand ja dermaßen unter Strafe! Kuppelei und Herstellung unzüchtiger Abbildungen …
Deshalb erschien ›Einmaleins für Zwei‹ unter den Verfassernamen Istvân Schwenda für Uve Schmidt und Thomas Leuchner für Gunter Rambow, dem Uve und ich das Pseudonym ohne sein Wissen und Wollen verpaßt hatten. Schmidt legte die Dias nach meiner vorgegebenen Abfolge fest, dann schrieb er die Kommentare. Auf der linken Seite sollte der Text stehen, rechts das jeweilige Foto abgebildet werden. Das ging von: »Die klassische ›Oben-unten-Position‹ wird lustbringend verändert, indem die Frau das rechte oder linke Bein von sich winkelt«, bis zu den exaltierteren Stellungen wie der Rumpfbeuge, der offenen Kerze oder: »Die ›Schubkarre‹ kann vom Mann sowohl im Stand als auch im Fortschreiten ausgeführt werden. Durch Führung der Hüfte beziehungsweise des Unterkörpers der Frau bestimmt der Mann Dichte und Tiefe der Vereinigung.« Also eine komische Mischung aus Ernest Bornemannscher Beratersprache und hinterfotziger Ironie. Die kam denn auch in Uves Vorwort zur Geltung, in dem er Zitate benutzte, die er, wie es seine Spezialität ist, samt und sonders erfand: »Der Phallus ist die Brücke in die Zukunft. D. H. Lawrence«, »… aber sicherlich nicht die Brücke in die Zukunft der Frau. Simone de Beauvoir«, auch vor folkloristischen Erfindungen schreckte er nicht zurück: »In knarrenden Betten steckt ein Wurm, der Lieblos heißt. Burgundisches Sprichwort.«
(BK /JS)
In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)