vonSchröder & Kalender 16.08.2006

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

Und so geht’s weiter: Den Druckauftrag gab ich an eine Firma, deren Namen ich so erfolgreich vergaß wie Tante Elfis Lakritze. Wegen der Staatsanwälte durfte doch niemand wissen, wo die Liebespositionen hergestellt wurden, nackt auf nackt im Bild war in jenen Zeiten ebenso verpönt wie Sex mit Tieren heute. Erst als der Drucker mich nach dem Impressum fragte, fiel mir siedendheiß ein, daß dieser klandestine Titel ja keinesfalls bei Olympia Press erscheinen durfte, um das Geschäft mit der geschriebenen Pornographie nicht mit nackten Liebespositionen zu belasten, und erst recht war das nichts für März, weil der Avantgardeverlag sonst in die Nähe von Beate Uhse gerückt wäre. Also saß ich wieder einen Abend in meiner Formaldehydkabine und überlegte mir, wie ich denn um alles in der Welt den Verlag für mein ›Einmaleins für Zwei‹ nennen könnte. Weiß der Teufel, wie die Synapsen klickerten, es fiel mir die Porta Westfalica ein. Vielleicht, weil ich in den Wäldern um sie herum meine pubertierende Jugend verbracht und mir als Knabe oft, im Angesicht des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf den Sandsteinklippen des Wesergebirges hockend, einen runtergeholt hatte.

Jedenfalls, um das Wurmloch ein letztes Mal zu bemühen, wenn du im Jahre 1969 ein Wort suchst und im Jahre 1949 landest, fällt dir immer etwas ein: Porta Westfalica, bumm, zack! Klar, der Verlag heißt Porta Verlag! Und wenn du keine Lust mehr hast, morgens um vier auch noch ein Logo zu entwerfen, setzt du einen griechischen Buchstaben in einen Kreis, in diesem Falle ein Pi. Ab ging die Post! Ich hatte ja über die Olympia Press alle Sexhändler als Kunden – Beate Uhse, Dr. Müller, Luifilipp –, und in deren Kometenschweif gab es etliche kleinere Erotikshops, die vorher schon den skandinavischen Kram unterm Ladentisch verkauft hatten. Es waren vielleicht fünfzig Kunden, dazu kamen noch einmal so viele Buchhandlungen, die auch auf der Pornoliste standen. Auf diese hundert konnte man sich verlassen, die würden mich nicht bei den Strafverfolgungsbehörden anschwärzen, schließlich wollten sie ja meine Produktion verkaufen. Hundert ausgesuchte Kunden bekamen also je ein Musterexemplar, und diese bescheidene Aussendung brachte einen sensationellen Umsatz. Die erste Auflage von zwanzigtausend war sofort weg. Anschließend wurde ›Einmaleins für zwei‹ in großen Stückzahlen nachgeordert und entwickelte sich zum wirtschaftlich erfolgreichsten Buch der ersten vier März-Jahre.

In den Nachauflagen ab 1970 stand dann »März Verlag O-Produktion«, die Impressumsänderung geschah übrigens nicht freiwillig. Man soll doch nie nachts Verlagsnamen erfinden, wenn schon am nächsten Tag gedruckt wird, oder zumindest sollte man nachsehen, ob es einen Verlag dieses Namens nicht vielleicht bereits gibt. Es gab ihn! Wo? In Porta Westfalica natürlich. So heißt die kleine Ortschaft im Durchbruchstal der Weser zwischen Wiehengebirge und Weserkette, unterhalb des Kaiser-Wilhelm-Denkmals. Die dortigen wahren Porta-Verleger, mit dem Schwerpunkt Heimatliteratur, waren ziemlich ratlos, weil ständig ungeduldige Sexkunden ein Buch kaufen wollten, das gar nicht bei ihnen erschienen war, also beschwerten sie sich mehrfach über die Störungen. Ich muß aber sagen, daß diese Ostwestfalen eigentlich sehr gelassen waren. Ungeachtet dessen, was sie mir hätten am Zeuge flicken können, baten sie mich lediglich, daß ich ihren Verlagsnamen nicht weiter benutze. Und als die hundertelf Liebesvariationen schon lange unter »März Verlag O-Produktion« firmierten, reichten die guten Leute aus Porta Westfalica immer noch Bestellungen an uns weiter.

Das Buch war mit seiner deutschen Auflage von hundertfünfzigtausend nicht nur das wirtschaftlich erfolgreichste, sondern auch das folgenreichste, seinetwegen entwickelte sich später eine Kontroverse mit dem Fotografen Gunter Rambow, dem ich aus reiner Freundlichkeit und gegen seinen erklärten Willen versprochen hatte, ihn am Profit zu beteiligen. Schließlich verlangte er mehr, als ich ihm zugestanden hatte. So trugen die Liebespositionen zur Kontroverse mit diversen März-Autoren bei, weil Rambow fleißig das Neidfeuer schürte. Sogar ein ›Spiegel‹-internes Hauen und Stechen zwischen Horst-Dieter Ebert und dem Denunzius Werner Harenberg löste das Buch aus, was mir zwei ›Siegfried‹-Prozesse einbrachte. Und ›Einmaleins für Zwei‹ fuhr die meisten Lizenzen ein, auch in Schweden und in Finnland erschienen Ausgaben. Es wurde in die USA verkauft, erschien in Serbokroatisch, wurde als Paperback in Israel und bibliophil in Japan produziert. Ein Vietnamese aus Paris schmuggelte es sogar im kleinen Grenzverkehr nach Frankreich. Ein sonderbarer Schmuggler, dieser Truong. Als er die ersten tausend Exemplare bereits in seinem Peugeot-Kombi verstaut hatte, fragte er Winfried Kumetat, meinen späteren Prokuristen: »J’ai un grand problème. N’est-il-pas dangereux de passer la frontière avec ces livres?« Und Kumetat, der als junger Mann viel im Elsaß gewandert war, setzte sich mit ihm hin und baldowerte auf seiner alten Wanderkarte die besten Schleichwege aus. Dann zählte Truong ihm in singendem Tonfall »quatre, cinq, six mille Mark« in die Hand, und ab ging’s mit der Konterbande Richtung Wissembourg. Zehntausend Exemplare verkaufte Monsieur Truong in Frankreich, klar, Bücher in deutscher Sprache. Meinst du denn, hier hätte man sich besonders für die Texte interessiert?

Nicht anders war es in Japan, nur eben noch komplizierter. Während der Buchmesse fragte mich der Verleger Kusomoto nach den japanischen Rechten, schlug einen Pauschalvertrag vor, also einen einmaligen Betrag für alle Auflagen, der die Druckunterlagen für die Abbildungen einschließen sollte. Kusomoto bot achttausend Dollar, wir einigten uns auf zehntausend, das waren ungefähr dreißigtausend Mark damals. Ein schönes Geschäft, die Duplikate für die Lithos zu ziehen, kostete mich vielleicht fünftausend Mark. Kusomoto bat mich, die Filme sehr bald zu versenden, er müsse sie noch bearbeiten lassen. Ich guckte ihn irritiert an, Lithos »bearbeitet« man nicht, lediglich beim Drucken können Tiefen und Lichter noch etwas verändert werden. »Doch«, sagte Herr Kusomoto, »wir müssen retuschieren.« Ich verstand ihn immer noch nicht, bis er mir erklärte: »Menschen dürfen in Japan nicht ganz nackt sein, das verbieten Pornographiegesetze«, auch dürften Nackte nicht nahe beieinander gezeigt werden, »deswegen müssen Menschen mit Slips bekleidet werden«. Eine wahnwitzige Arbeit, so etwas paßgenau auf drei Farbauszügen zu retuschieren, da sich die abgebildeten Personen in den Liebespositionen nun einmal berührten und folglich auch überdeckten. Höflich, wie man Japanern gegenüber sein soll, und um den Deal nicht zu gefährden, überlegte ich mir, wenn er mir jetzt den Scheck über zehntausend Dollar gibt, will ich darüber nicht mehr nachdenken und auch nicht weiter fragen, war mir aber sicher: Nie kriegen die das hin! Da müßten ja zig Retuscheure monatelang fummeln, um die abgedeckten Körperteile neu anzulegen. Unmöglich!

Was soll ich dir sagen, sonst bräuchte ich die Episode ja nicht zu erzählen, ein halbes Jahr später bringt der Postbote eine Luxusausgabe in einem weißen Schuber. Auf der Vorderseite war ein glatt bezogener Futon abgebildet, auf der Rückseite sahst du denselben mit zerwühltem Laken. Eine sehr schöne minimalistische Gestaltung. Das Buch im Schuber dagegen zeigte eher einen magischen Fotorealismus. Zwar erblickte ich Heide und Roy, aber ich traute meinen Augen kaum! Hatten diese Lithographen es doch tatsächlich fertiggebracht, die beiden Figuren auseinanderzuziehen: auf der linken Seite der Mann, auf der rechten Seite die Frau oder umgekehrt. Zum Beispiel bei der Position, die Uve »aufrechte Hüfthocke« nennt, steht er, sie hängt vor seiner Brust, umschlingt mit den Armen seinen Oberkörper und umklammert mit den Beinen seine Hüfte, während er ihre Oberschenkel umfaßt. Auf der rechten Seite siehst du dementsprechend Roy, der mit den Armen einen Geist umfängt, auf der linken Seite schwebt Heide wie ein Fötus mit merkwürdig gekreuzten Armen und Beinen in der Luft. Eine wunderbar absurde Fotoperformance. Bei der Betrachtung dieser Bilder fiel mir wieder ein, was Kusomoto auf der Messe erklärt hatte: »Menschen müssen getrennt sein.« Und auf meine Frage »Wie sollen das denn die Betrachter zusammenbekommen?« meinte er: »In Kopf«, wobei er mit dem Zeigefinger an die Schläfe tippte.

(BK /JS)

In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)

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