vonSchröder & Kalender 28.08.2006

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Wir sind unterwegs und wissen nicht wie der Bär flattert.

Und so geht’s weiter: Bedrohlich nahte der Termin der Pressekonferenz in Kranichstein, für die ich die ersten drei Filme angekündigt hatte. Ich zahlte den Steglitzer Kopierer, die Sechzehn-Millimeter-Rollen kamen in Frankfurt an. Wieder das Problem: Wer führt uns die Dinger vor? Du mußt bedenken, das war wie ein Kilo Koks, das du mit dir rumschleppst, diese blöden Pornofilme. Du konntest nicht einfach in einen Schneideraum gehen und sagen: »Hier, hallo, ein Hunni, und laß das mal laufen.« Es wäre schon gegangen, aber wir hatten Schiß und machten uns die Sache damit unnötig schwer. Schließlich, auf tastenden Umwegen, fanden wir einen Typen im Taunus, der in einer aufgelassenen Zwergschule in Neu-Anspach eine Trickfilm- und Filmerwerkstatt betrieb, Siegfried Claudé. Weil Claudé in Ratibor geboren wurde, einer Stadt in Oberschlesien, gaben wir ihm den Decknamen Ratibor. In Terminkalendern, Vertragsentwürfen, Telefongesprächen und dergleichen wurde einzig der Name Ratibor benutzt, du siehst also, wir haben uns für unsere Aktivitäten durchaus geheimdienstlicher Mittel bedient.

Zu Ratibor in seiner Schule gleich hinter der Saalburg am Limes fuhren wir, er spielte uns gegen ein gesalzenes Honorar die Berliner Filme ab. Da saßen wir, im voraus bereit zu jeglicher Verteidigung unseres Produktes: »Nööö, ist doch eigentlich ganz gut.« Aber es blieb uns nur zu sagen: »Ach du Scheiße, das ist nicht zu glauben!« Es war in jeder Hinsicht schlecht, auch technisch, hoppelige Bilder. Diese Typen hatten in ihrem bekifften Dilettantismus meist mit der Handkamera rumgewackelt, und wenn die Kamera glücklich mal stand, blieb sie quälend drauf auf einer ebenfalls bekifften, unendlich langsamen Vögelei zweier Berliner Blumenkinder, die sich volldoof gegenseitig anlächelten. »Na gut«, wirst du sagen, »gut, das kann man doch alles schneiden.« Nein! Jedem, wirklich jedem, der die Rohfassung gesehen hat, war klar: Diese zwei Kilometer, die Gremm da verkurbelt hatte, konnte man nur wegwerfen.

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Entsetzen packte uns, Beitlich und mich, da waren wir plötzlich nur noch Kaufleute, jegliches Pornofieber, jegliche Angst hatten sich verflüchtigt, dreißig Mille waren in den Sand gesetzt, es stand eine riesige Blamage ins Haus, in zwei Tagen würde die bombastisch angekündigte Pressekonferenz im Jagdschloß Kranichstein stattfinden: »Trörööö! Hier kommen die ersten deutschen Pornofilme, diese herausragenden Emanationen der Filmkunst.« Nach einigem Kopfgestützte verfiel ich auf die Idee, die erträglichsten Sequenzen, als Schnittabfall deklariert, hart aneinanderzuschneiden. Ratibor sollte das machen, denn von Filmtechnik verstand er als Tüftler einiges. Er war für mich überhaupt eine Weile der Oberfilmer, denn verglichen mit diesen Berliner Napfkuchen war er wirklich ein As. So habe ich mich langsam, für viel Geld, zum Filmtechniker ausgebildet. Wundern muß man sich noch heute, daß überhaupt etwas in den Berliner Filmen zu sehen war, aber das ist eher das Wunder der Arriflex. Wenn du ein paar Scheinwerfer aufstellst, ein paar Leute rumhampeln läßt und irgendwie die Kamera bedienst, dann haste auch was druff. So wie meine Mutter, wenn du ihr sagst: »Hier, mach mal ein Foto von uns vor dem Weihnachtsbaum.« So dreht dieser Gremm heute noch Filme, zwar hat er inzwischen begriffen, daß er die Kamera einem Kameramann überlassen muß, dafür hapert es immer noch schwer mit der Birne, aber ist ja egal, Frau Ziegler zahlt alles. Es gibt wohl kaum einen schlechteren Filmer in Deutschland, der eine solch steile Karriere gemacht hat. Einer, der es überhaupt nicht kann, ich meine nicht schlecht oder mittelmäßig, sondern gar nicht, der einfach durch eine standfeste Frau permanent seinen Scheiß abdrückt, alle ein, zwei Jahre eine große Fernsehproduktion hat, das ist phänomenal. Sie sind wirklich erstaunlich, die Frauen, wenn sie sich mal in was festgebissen haben.

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Ich suchte die Sequenzen aus, Ratibor schnitt das Potpourri für die Kranichsteiner Pressekonferenz Anfang Dezember 1969, zu der die regionale und überregionale Presse geladen war, zweihundert Leute waren im großen Jägersaal versammelt. Es wurde viel geredet: Rechtsanwalt Riemann, mein Anwalt, der Darmstädter Buchhändler Hans-Dietrich zur Megede, Peter Ladiges und ich sprachen zur Situation der Pornographie am Beispiel des ›Barbara‹-Prozesses. Es gab viel zu trinken und ein Buffet, darauf standen auch zwei Sektkübel mit zweihundert Fotoabzügen von Bauernfunktionären auf Eis. Diesen faulen Witz hat bis heute keiner verstanden, obwohl die Pressefritzen die Bilder von Heereman und Rehwinkel alle brav mitnahmen.

Unerwartet wenig Beachtung fand auch meine Aktion ›Rettet den Langen Ludwig‹, die erste bundesdeutsche Bürgerinitiative, darin rief ich zur Gegenwehr gegen die Absicht der Darmstädter Staatsanwaltschaft auf, das Ludwigsdenkmal auf dem Luisenplatz als »sittengefährdendes Monument« zu deklarieren, weil der Lange Ludwig unzweideutig den intakten männlichen Geschlechtsapparat symbolisiere. Diese roten Plakate klebten überall in Darmstadt, und ich wurde wegen »ungenauer Adressenangabe« nach dem hessischen Presserecht zu einer Geldstrafe von siebzig Mark verurteilt. Nein, weder über die ›kalten Bauern‹ noch über den ›Langen Ludwig‹ wurde richtig gelacht. Es wurde lieber ernst genommen, was alles in der dicken grünen Pressemappe mit einhundert Seiten Inhalt stand. Sie enthielt ›Das farbige Banner der Pornographie‹, erzählt von Maurice Girodias, ›Die Geschichte der deutschen Olympia Press‹, erzählt von mir, einen Bericht über die Durchsuchungsaktion ›Die Staatsanwälte kommen‹, die Beschlagnahmebeschlüsse, die Anklageschrift in Sachen ›Barbara‹, eine Dokumentation zur Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, den ›Reinschmidt-Beschluß‹ zur Vorlage beim Bundesverfassungsgericht und schließlich ein Statement zu Olympia Film, in dem die folgenden goldenen Sätze standen: »In Dänemark werden Sexfilme vergleichsweise vorindustriell produziert: Von den Vorstellungen der Produzenten ausgehend, treffen sie zwar auf ein Bedürfnis, befriedigen es jedoch nicht. Auch für den Voyeur liegt der eigentliche Reiz nicht in bezugslosen, unvermittelten Darbietungen des auf animalische Vorgänge reduzierten Geschlechtsverkehrs (›Das Gewagteste …‹, ›Einmalig offen …‹, ›Das, was Sie suchen …‹), nicht in der sich erschöpfenden und wiederholenden Darstellung sportlich-akrobatischer Stellungen, wobei nach den Großaufnahmen der Geschlechtsteile nichts mehr zu bieten bleibt. Dem Betrachter fällt nach der ersten Welle der Lust am Tabuierten nichts mehr zu solchen Dingen ein, weil es nichts mehr mit ihm zu tun hat, weil die Abläufe unpersönlich sind, er sich nicht identifizieren kann. Das Gesehene ist nicht mehr erinnerbar, leicht auswechselbar, der Einsatz filmischer Mittel fehlt völlig, die Filme sind bar jeglicher Dramaturgie, ihnen fehlt jede psychologische Dimension.

Die Produkte der Olympia Film werden die sexuellen Spiele entwickeln, motivieren, und zwar aus allen nur denkbaren Lebensbereichen, Situationen, Personen, Konstellationen. Der verklemmte Kolle-Sex führt nur bis an den Bettrand, der nicht minder verklemmte Dänenporno schaltet sich meist dann ein, wenn der an sich ja langweilige, weil nicht steigerungsfähige Geschlechtsakt bereits in Aktion ist. Dagegen sind die neuen Sexfilme der Olympia Film keine Pornofilme mehr, sondern Filme, die mit dem Fortschritt, im Sinne des Wortes, der Entwicklung der Sensibilität der Sexualität zu tun haben, also geradezu Antipornofilme. Der Antipornofilm hat genau den umgekehrten Sinn, aus der Frustration herauszuführen, die Komplexe aufzubrechen, den Konsumenten nicht immer tiefer in die Konsumhaltung hineinzustoßen, sondern ihm Möglichkeiten zu geben, sich zu identifizieren, auf die filmischen Vaterimagines zu verzichten, es selbst zu machen (und Filme laufen zu lassen aus Lust am Spiel, warum nicht?).«

Endlich liefen dann die als Abfall deklarierten Schnittmuster, ich erklärte, das könnten die Staatsanwälte ruhig beschlagnahmen und sich in ihrer Asservatenkammer privat angucken. Die Schnittmuster wurden begeistert aufgenommen und im ›Spiegel‹ so bejubelt, wie ich es im Waschzettel der Pressemappe geschrieben hatte. Die Performance hatte aber noch einen anderen Gesichtspunkt: Es war klar, daß die dreißigtausend Mark für die Brüder und Schwestern à fond perdu waren. Das konnte ich während der Pressekonferenz nicht sagen, die hätten sofort einen politischen Skandal gemacht. Du darfst nicht vergessen, es waren ja politische Filme, es handelte sich um Werke der Befreiung! Da stand der dicke Gremm in seiner schwarzen Kampfkleidung, da war Bernward Vesper als Brothers-and-Sisters-Ideologe, als tibetanischer Glöckchenträger mit langem schütterem Haar und blauer Brille, der damaligen Drogenbrille. Da waren die ebenfalls eingeflogenen zwei Berliner Mädchen, die, nicht durch Gremms Kamera gesehen, in der Realität ganz gut aussahen. Eins von ihnen schob auch schnell mal den Pullover hoch, um den Pressegurglern klarzumachen, daß es hier nicht um die Ausbeutung der Frau gehe, sondern um Selbstfindung und Futt und grüne Bohnen. Die beiden brezelten das wortgewandt raus, wie die Berliner Linken es damals konnten. Die Filme waren Scheiße, aber die Frauen haben gut argumentiert, und sie fanden natürlich auch wirklich gut, was ihre Brüder Gremm und Geissler mit wackelnden Kameras und Joints fabriziert hatten. Die Mädchen waren auch bedröhnt, hip und toll, das Reichsche Schwadronieren, das Orgon-Gebrause. Klar war, daß die Pressemeister zum erstenmal in ihrem Leben das Rein-Raus-Spiel auf der Leinwand gesehen hatten, sich einen Dreck um Ideologie und einen Quark um Orgon kümmerten, sondern eben fasziniert von diesen Fickfilmen waren.

(BK /JS)

In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)

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