vonSchröder & Kalender 04.09.2006

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Der Bär flattert heftig in östlicher Richtung.

Und so geht’s weiter mit dem Pornofilmer Wolfgang Gremm und seinem Rechtsanwalt Otto Schily: Die Pressekonferenz mit den Filmschnipseln der Brüder und Schwestern war unerwartet glücklich und mit durchschlagendem Erfolg gelaufen. Jetzt stand mir noch eine andere harte Aufgabe bevor, denn auf dem Frankfurter Flughafen wartete Rechtsanwalt Otto Schily. Zur Pressekonferenz war er vorsichtshalber nicht gekommen, der Consigliere der Brothers and Sisters Company, aber mit Gremm, Geissler, Vesper und den beiden Mädchen war ich jetzt unterwegs zu ihm. Sie hatten mir dräuend geflüstert: »Genosse Schily macht für uns die Exklusivverträge. Damit das klar ist: Nur wir sind berechtigt, deine Pornofilme zu drehen, nur unsere Filme werden von Olympia Film vertrieben, nur wir können sie machen.« Weil kein Journalist mehr in der Nähe war, sagte ich: »Das bereden wir mit dem Rechtsanwalt, ist immer gut, so was mit Anwälten zu besprechen.« Ich wollte sie erst mal nur möglichst weit weg von Frankfurt haben und für die nächsten Tage auch von Pressemenschen fernhalten. Ich mußte sie trockenlegen, damit sie nicht gleich merkten, daß ich nicht daran dachte, ihren Scheiß zu vertreiben. Hinein in den Flughafen mit der Truppe, da sitzt in einer offenen Bar der Genosse Schily vor einem Schweppes. Er sah schon so aus wie heute, mit Schlips und Anzug, nur war damals die Mode enger, wir sahen deswegen ja auch anders aus, natürlich war er auch jung, noch nicht so ansaturiert im Gesicht. Es wurde erst über die Pressekonferenz geredet, daß die Filme super angekommen sind. Dann zogen sie ihre Pfeile aus dem Köcher, Gremm und Geissler tröteten, wie der Exklusivvertrag auszusehen habe, in welcher Höhe jetzt Mittel freigemacht werden müßten für die Folgeproduktionen, wie die Auslandsrechte zu verwerten seien, und die Weltrechte lägen ohne Frage bei ihnen. Es war klar, daß so was die Welt noch nicht gesehen hatte! Ich signalisierte vorsichtig, soweit seien wir noch nicht, wir müßten zunächst mal die Filme schneiden, wir hätten in der Kürze der Zeit den Rohschnitt nicht richtig ansehen können, müßten erst mal sehen, ob wir überhaupt ein Kopierwerk fänden, wenn die Filme auf die vereinbarte Länge, bezogen auf sechzig Meter Super acht, geschnitten seien, erst dann könnten wir über eine endgültige Verwertung und Tantieme reden.

Schily, der ruhig dabeisaß, merkte offenbar, daß ich so scharf auf seine Mandanten nicht war. Nein, nein, so was ist noch kein Parteienverrat, aber es hat mich gewundert, daß er sich für die nicht mehr in die Bresche geschlagen hat, sie hatten ihn schließlich extra aus Berlin einfliegen lassen. Er hätte doch zur Pressekonferenz kommen können, da saß ja auch sein Confrère, mein Rechtsanwalt Johannes Riemann hatte als Linkenanwalt posaunt. Ich war froh, daß er nicht da war, aber er ist nicht weggeblieben, um mir einen Gefallen zu tun, sondern sich selber. Eben nach der Methode Schily: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. Ja, schon Zeitgeist, SDS-Anwalt, Sex und Politik und dit und dat, aber auch gute Erziehung und lieber erst mal abwarten, wie die Horror-Porno-Picture-Show läuft. Lieber sich erst mal auf dem Flughafen in einer anonymen Erfrischungsbar verstecken, ehe man sich ins Feuer wagt. Jetzt war alles gutgegangen, da war er wieder der souveräne Sex-Pol-Anwalt. Es wurde kein Vertrag gemacht in der Flughafenlobby, alles sei erst sorgfältig abzuchecken, hat auch Schily seinen Mandanten angeraten. Endlich stakste die sonderbare Gruppe zu ihrem Flugzeug nach Berlin, Schily in seinem Konfirmandenanzug, die klingelnden Vesper, Gremm, Geissler und die flatternden Frauen. Ich sah sie durch die Sperre verschwinden, Gott sei Dank, jetzt sind sie weg, und in die Erleichterung mischte sich die Verwunderung über die sonderbare anwaltliche Zurückhaltung des Genossen Schily.

Retrospektiv wundert es mich nicht mehr, das ist die Anthroposophenmoral. Man kann nichts gegen sie sagen, weil, sie sind ja kaum zu erwischen, diese Anthroposophen, das ist das Gefährliche an dieser Art von Sekten. Verrätermoral wäre falsch, sie sind nicht zu erwischen, sie haben die Weleda-Moral. Ja, der Weleda-Chemie in Schwäbisch Gmünd, die unser beliebtes Infludo herstellt und in unrühmlichster Weise mit den KZ-Ärzten paktierte, hat denen Chemikalien für Experimente geliefert. Es waren nicht nur die IG-Farben, die sich beschmutzt haben, auch die Anthroposophie, die mit den Nazis aus einem Ei gekrochen ist und vielleicht sogar deshalb von ihnen zuweilen verfolgt wurde, die großen und kleinen, Siemens und Weleda, haben mit denen paktiert. Wenn man sich so eine Figur wie Schily ansieht, lassen wir mal die Anthroposophie hinten, das ist der Phänotyp des demokratischen Häuters. Diese Schilys, deren Karriere von SDS und Sex-Pol über die RAF zu den Grünen und hier von den Realos direktemang in die SPD führt, mit homöopathischen Beimengungen von Anthroposophie, die bekanntlich nicht nachweisbar sind, solche Leute sind die Phänotypen dieser Stunde.

Dabei ist gegen den Mann eigentlich nichts zu sagen, er war schon immer auf der richtigen Seite, bei der gerade angesagten Polit-Avantgarde, auf der Seite des Fortschritts, vertritt, was er vertritt, tagtäglich mit dem gleichen unbeirrbaren Rechthaberstandpunkt eines Rechtsanwalts. Aber das ist nicht alles, das wichtigste Ingrediens dieses Typus ist Dünkel. Wir haben es mit einer Verschwörung solcher Adepten zu tun, die sich gegenseitig signalisieren: »Wir wissen, was wir gestern gesagt haben, das halten wir uns nicht vor. Wir Leute aus der Genietruppe pflegen unser abgelebtes Leben hinter uns runterzuspülen, ohne es noch mal zu betrachten.« Kein Wunder also, daß wir uns in einer endemischen Bewältigungspsychose befinden, weil diese neue Elite ihr abgelebtes Leben wieder mal einvernehmlich verdrängt. Sie halten es nicht für nötig, vor sich geschweige denn vor anderen – pathetisch gesprochen – zu beichten, nur das könnte uns noch helfen, was aber folgerichtig zu Heideggers Satz führte: »Nur ein Gott kann uns noch helfen«, den er Rudolf Augstein damals vorseufzte. Da halte ich es aber doch lieber mit dem Marxschen reinen Lachen: »Es gehört zu den geschichtlichen Erfahrungen, daß alle ›überstandenen‹ Phasen der geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklung früher oder später als komisch empfunden werden, mögen sie noch so tragisch gewesen sein. Die erste Form der Erledigung ist die satirische Form, die zweite das reine Lachen. Der tiefere Grund dafür ist, daß Menschen zu der Überzeugung gelangt sind oder immer mehr gelangen, daß die bloßgestellten Zustände überwindbar sind.«

So lachend, begehre ich mit schuld zu sein an Sex-Pol, RAF und grüner Grütze, und schon sind wir auch wieder bei diesem Medienkonzern Zweitausendeins, wir erfolgreichen Verkäufer. Wir werden es wohl nie rausbekommen, was von unseren Büchern und Medienaktivitäten aufs Täterkonto zu verbuchen ist und was aufs Konto Abstauber. Eine Zeitlang haben wir offenbar den Zeitgeist, den Geschmack ziemlich exakt getroffen, ich wollte es mir lange nicht eingestehen, daß vieles davon nur Abstauberei war. Lutz Kroth von Zweitausendeins ist heute noch ein gläubiger Abstauber, natürlich als Kaufmann viel weiter denn Schily als Politiker. Aber bald ist sicher auch Schily, vielleicht ist er es ja heimlich schon, auf dem esoterischen Trip, die Anthroposophie liegt nicht so weit davon weg. Vielleicht sitzt er bald wieder so richtig im richtigen Boot, im Zweitausendeins-Raumschiff, wir sind schließlich nicht allein.

(BK /JS)

In letzter Zeit sind die FAQs: »Du hast doch bei Olympia Press Ende der Sechziger die ersten pornographischen Bücher und Filme für den freien Markt gemacht. Wie fing das an? Warum, wieso, weshalb?« Diese Fragen werde ich in loser Folge beantworten, unter dem geflügelten Titel: Making of Pornography. (JS)

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https://blogs.taz.de/making-of-pornography-9-otto-schily-moderiert/

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