vonfrank 07.08.2024

malzeit

Da draußen sind tolle Menschen und Initiativen, oft sieht das keiner. Lasst uns mal einen Blick darauf werfen.

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Das Mitmachcafé – mein erster Halt in Wurzen, einer Kleinstadt östlich von Leipzig. Vor dem Café werden gerade T-Shirts und Stofftaschen bedruckt. Die Schablonen für das Siebdruckverfahren haben befreundete Künstler*innen gemacht. Die Jugendlichen sind voll dabei. Mit ihnen und Laura, die beim Mitmachcafé arbeitet, komme ich schnell ins Gespräch, setze mich dazu und zeichne. 

Die Jugendlichen fühlen sich hier aufgehoben. Auch eine junge Transfrau ist dabei. Sie erzählt von ihren Schwierigkeiten in der Kleinstadt, wo ihr immer wieder signalisiert wird, sie passe hier nicht hinein. Hier im Café darf sie sie selbst sein und das tut ihr spürbar gut. Ich genieße die nette Atmosphäre und bekomme am Ende noch eine Tasche geschenkt. Auf der einen Seite prangt ein buntes Einhorn, auf der anderen steht: „Alle zusammen gegen den Rassismus“.

Sowas gefällt nicht allen: Drei Wochen später sind Fenster und Tür beschmiert. „MT24 Fuck Antifa“, steht da: braune Sprüche in blauer Farbe. Was „MT24“ bedeutet ist nicht ganz klar. Möglicherweise verweist es auf das Evangelium des Matthäus, Kapitel 24, wo steht: „Es wird nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.“ Daran arbeiten die Rechten jedenfalls: es ist der elfte Angriff auf das Mitmachcafé.  

Für die Zivilgesellschaft einstehen, stabil bleiben gegen Rassismus und Hass, das ist anstrengend in Kleinstädten, und es erfordert Mut, denn man hält sein Gesicht hin. Das Café wird vom Netzwerk Demokratische Kultur e.V. betrieben, kurz: NDK, einem vielfach ausgezeichneten Verein.

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Als ich Martina Glass treffe, Geschäftsführerin des Vereins, ist sie nicht in ihrem Büro, sondern mitten auf der Baustelle. Die Arbeiten zur Errichtung eines Tagungshauses sind in vollem Gange, 2025 soll es fertig werden. Glass hat eine Atemschutzmaske an und schuftet im Treppenhaus. So sieht es aus: Demokratie ist eine Baustelle und oft nichts, worum man sich immer allein vom Schreibtisch aus kümmern kann. 18 Menschen sind bei NDK angestellt, dazu kommen etwa 35 Ehrenamtliche, die unterstützen und mitarbeiten.

Kulturangebote, Bildungs- und Vernetzungsarbeit: die Angebote des Vereins sind vielfältig. Es gibt Diskussionsveranstaltungen, eine Filmreihe, eine Zeitschrift, einen wöchentlichen Punkrockstammtisch, ein Demokratieprojekt in Zusammenarbeit mit der örtlichen Grundschule, Erinnerungsarbeit, Arbeit mit Geflüchteten und vieles mehr. Dem NDK geht es darum, ins Gespräch zu kommen – sowohl mit alten und neuen Einwohner*innen von Wurzen als auch mit Initiativen im Landkreis und darüber hinaus.

Für all das wird es immer wieder attackiert: eingeworfene Scheiben, Teilnehmer*innen einer Veranstaltung wurden angegriffen. Jeden solchen rechtsextremen Vorfall in Wurzen – egal gegen wen – dokumentiert das NDK. Seitens der Ermittlungsbehörden ist aus dieser beeindruckenden langen Liste fast nichts aufgeklärt, von Gerichten praktisch nichts bestraft worden (die taz berichtete).

Demokratie fühlt sich für viele in Deutschland an wie eine Selbstverständlichkeit. Damit ist sie selbstverständlich gefährdet. Inzwischen haben viele verstanden: Wir müssen was tun. Wenn die AfD in Düsseldorf eine Veranstaltung ankündigt, stellt Düsseldorf sich quer und ist mit fünfmal so vielen Menschen da. Das kenne ich und es fühlt sich gut an. 

Ist aber nicht überall so: Gestern berichtete Franzi aus dem Kreis Saale-Holzland, wie sie zusammen mit zwei anderen 250 rechten Demonstrierenden gegenüber stand. Michael, ein Linker aus Torgau, erzählte mir letztens, wie er Fotos von Schwurblern machte; die ihn dann umringt haben und fanden, er dürfe das nicht. Da krieg’ ich sehr unangenehmes Kopfkino …

Angesichts dessen sollte man meinen, die Politik würde Vereinen wie NDK den Rücken stärken. Im Gegenteil: Gelder für zivilgesellschaftliche Projekte drohen immer wieder zusammengestrichen zu werden. Wenn ich sowas lese, frage ich mich, ob die dafür politisch Verantwortlichen überhaupt noch Nachrichten schauen. 

Hochachtung für alle, die sich engagieren! Ich würde ihnen wünschen, sie würden mehr gesehen und gefeiert und finanziert! Ach ja, genau dafür können wir ja was tun:

Support your local Zivilgesellschaft, spendet an das NDK oder, wenn Geld gerade knapp ist, unterschreibt die Petition gegen Kürzungen!

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