vonDetlef Kuhlbrodt 20.02.2010

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Der im Wettbewerb laufende Film „Mammuth“, von Benoit Delépine und Gustave de Kervern (zuletzt mit „Louise hired a contrct killer“ erfolgreich) hatte mir sehr gut gefallen! Die Produktionsfirma hieß „no money production“.

Gérard Depardieu spielt Serge Pilardosse, einen Mitarbeiter in einer Schweinefleischfabrik, der gerade in Rente gegangen ist. Zum Abschied bekommt er ein Puzzle aus 2000 Teilen geschenkt. Er hat sehr lange Haare und ist ganz schön dick. Für die Rente ist er gänzlich ungeeignet und weiss nicht, was er tun soll. Sinnlos tigert er durch die Wohnung. Alltagsdinge, um die er sich bislang nicht kümmern musste, fallen ihm schwer. Den Einkaufswagen, in den man einen Euro zur Lösung stecken muss, reisst er aus der Halterung; beim Versuch, ein Türschloss zu reparieren, schließt er sich im Klo ein; später, in einer der lustigsten Szenen auf der diesjährigen Berlinale, versucht er den Einkaufswagen zwischen parkende Autos zu schieben. Die Lücke ist zu klein; es kratzt und schabt ganz wunderbar.

Nur kleine Teile des Arbeitslebens des stoischen Helden sind auch behördlich registriert. Deshalb wird er keine richtige Rente bekommen, sagt man ihm an der Pensionskasse.

Seine Frau, eine Supermarktkassiererin, priam mürrisch gespielt von Yolande Moreau, bringt ihn also dazu, mit seinem alten Motorrad, aus den frühen 70ern, das „Mammuth“ heisst, seine alten Arbeitsstätten abzuklappern, um sich die arbeitsdokumentierenden Papiere zu holen. Friedhöfe, Sicherheitsfirmen, Jahrmärkte; ein Ex-Chef ist im Altersheim. Ein junges Mädchen raubt ihn aus auf dieser Reise.

Irgendwann trifft er auf Jahrzehnte nicht gesehene Verwandtschaft; den Cousin, mit dem er vor 45 Jahren zusammen auf dem Bett gelegen hatte; gegenseitig hatten sie sich einen runtergeholt und versuchen die schöne Jugenderinnerung noch einmal zu wiederholen. Es ist eine Reise in die Vergangenheit, die von einer schrecklichen Geschichte, einem Motorradunfall, bei der seine erste Freundin (Isabelle Adjani) zu Tode kam, überschattet wurde. Immer wieder taucht sie in Flashbacks auf.

Seine Cousine, eine naive, arbeitslose Künstlerin, die auch in ihrem echten Künstlerleben als „Miss Ming“ bekannt ist), hilft dem Helden wieder zu sich zu kommen. Sie bringt ihm bei, nichts zu tun. Sie baut auch ein schönes Kunstwerk, das Pilardosse darstellt. Sie liegen auf dem Rücken, rauchen einen Joint und schaun den Wolken zu. Die heilenden Utopien sind hippiehaft: öffne dich!

In einer ziemlich tollen Szene gerät der Held plötzlich zwischen Urlaubs-Rentner, die in einen Reisebus strömen. Verzweifelt wehrt er sich dagegen, mit in diesen Bus gespült zu werden und ruft immer wieder verzweifelt „Ich gehöre nicht zu euch“.

Am Ende verkauft Pilardosse sein wertvolles Mammuth-Motorrad und fährt, in einem afrikanischen Bubu mit einer Mofa wieder heim.  Das Wiedersehen mit seiner Frau ist sehr zärtlich und schön inszeniert.

„Mammuth“ ist ein Roadmovie, das in seinen wackligen, grobkörnig oft verschneiten, sozusagen Anti-HD-Bildern (manche Szenen sehen aus, als wären sie auf Super-8 gedreht, in echt hatten die Regisseure eine klein dvd-Kamera benutzt) in unkonventionellen, intuitiven Schnitten, auf eine ernsthaft sympathische Weise hippiehaft wirkt. (Bißchen, als wäre der Film mit ganz wenig Geld und sehr schnell 1972 gedreht worden.)

Depardieu spielt mit ganzem Körpereinsatz und ist großartig!

Der Film ist seinem im Oktober 2008 verstorbenen Sohn Guillaume gewidmet und nimmt Motive aus dessen Leben auf, wie den furchtbaren Motorradunfall.

Es war seltsam, dann in der Pressekonferenz zu sein. Normalerweise geh ich zu solchen Sachen ja nicht hin, Gérard Depardieu wollte ich aber schon unbedingt mal in echt sehen; schließlich ist er seit vielen Jahren mein Lieblingsschauspieler. Ich hatte sogar kurz überlegt, ihn vielleicht um eine Autogramm zu bitten. Ein bißchen war ich aber doch enttäuscht, dass er nicht mehr so aussah, wie in dem Film, zum Beispiel auch ganz andere Kleider trug.

Wie kleine Kinder riefen die Fotografen immer wieder „Gérard, Gérard, Gérard, Gérard!“ Leider hat Depardieu gar nicht mehr so lange Haare wie in dem Film. Ein russischer Kollege wollte wissen, ob es etwas mirt Transgender zu tun habe, dass der berühmte Schauspieler in dem Film so oft Frauenkleider trage. Der antwortete, dass es sich doch um einen afrikanischen Bubu gehandelt habe, dass er ansonsten in seiner Karriere aber doch immer gerne Frauen gespielt habe. Die beiden Regisseure und Depardieu scherzten gutgelaunt, gebildet und viel auf dem Podium. Wie schade, dass der Akku meiner Kamera schon alle war! Depardieu sagte, dies sei die Rolle gewesen, mit de er sich bislang am meisten in seiner Karriere hatte identifizieren können und erwähnte noch einmal diese Rentnerbus-Szene: „das ist Angst“. Miss Ming rezitierte auf deutsch kurze filmbezügliche Gedichte, die kaum jemand verstand. Nur eins meinte ich, verstanden zu haben: „Der Film ist so klar/ wie der Mond in einer Postkutsche“.

Am Ende der Pressekonferenz verlas einer der Regisseure eine Grußadresse von Roman Polanski, der „Mammuth“ „géniale“ gefunden hatte.

Eine schöne französische Kollegin, die am Abend wieder zurück nach Paris fliegen würde und mich an meine agentinische Ex-Freundin erinnerte, lächelte mir beim Rausgehen zu, woghl wiel ich sie so versonnen angeschaut hatte. Sie sagte „it‘s good to end the festival with such a film“. Ich sagte „yes“ und lächelte zurück. Und als sie dann schon an mir vorbei gegangen war: „Have a good flight“ und „bye“.

PS: Ohje, oweh – Gérard Depardieu hatte vorgestern im „Sale e Tabacchi“, das ja im taz-Gebäude liegt, gegessen. (Der Besuch ist hier fotografiert) Und ich war nicht dabei! So ein Ärger!

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