taz-Chefin Ines Pohl spricht über die Machostrukturen in der taz, das Gestrüpp aus Freundschaften und die Lust daran, mächtig zu sein – auch wenn es Einsamkeit mit sich bringt. Das Interview führte Gustav vom SPIESSER (einem kostenlosen Jugendmagazin mit Millionenauflage), es erschien zuerst auf www.spiesser.de.
Sie sind die Chefredakteurin der taz. Wie haben Sie das denn hingekriegt?
Du kannst mich ruhig duzen. Ich heiße Ines.
Stimmt, so unter Kollegen… Ich bin der Gustav. Also nochmal: Wie hast du das hingekriegt?
Die taz wählt die Chefredaktion nicht über verlegerische Entscheidungen, wie das bei anderen Zeitungen der Fall ist, sondern über einen gewählten Vorstand und den geschäftsführenden Vorstand. Ich stand schon etwas länger in Verhandlung. Erst sollte ich Inlandsressortleiterin der taz werden. Das ist aber aus verschiedenen Gründen nichts geworden. Es ging einige Zeit ins Land und dann wurde ich endlich gefragt, ob ich denn nun wolle oder nicht.
Und, wolltest du?
Ja. Ich bin ein großer taz-Fan, und das schon seit vielen Jahren. Das war tatsächlich die einzige Zeitung, die ich von meinem eigenen Geld abonniert und auch in meinen WG-Jahren gelesen habe. Die taz ist ein ganz herausragendes publizistisches Organ in Deutschland, das wichtiger denn je in diesen Zeiten ist. Eine linke kritische Stimmung hat eine wichtige Bedeutung und deswegen ist es einfach toll, für dieses Blatt zu arbeiten.
Du bist eine ChefredakteurIN. Ist das etwas besonderes, oder fällst du damit gar nicht aus dem Rahmen?
Die taz ist die einzige überregionale Tageszeitung, die eine Chefredakteurin hat. Auch meine Vorgängerin war weiblich und zwischendurch gab es immer wieder Frauen. Das ist sicher kein Zufall, weil es einfach zum Profil der taz gehört. Die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit ist ganz wichtig. Wir haben sogar eine eigene Redakteurin für Geschlechterfragen. Was meine Rolle als Frau betrifft: Letztendlich arbeiten selbst bei der taz nur Menschen. Da gibt es auch Machostrukturen. Grundsätzlich ist aber der Anspruch da, diese Strukturen zu überwinden.
Was war denn der hauptsächliche Grund, weshalb du das werden wolltest und durftest, was du jetzt bist?
Die taz hat jemanden von außen gesucht. Die Verantwortlichen fanden es gut, wenn jemand mit einem unvoreingenommenen Blick an die Sache herangeht. Ich selbst freue ich mich darüber, weil es einfach toll ist, in einer herausragenden Position an einer herausragenden Zeitung zu arbeiten.
Heißt das etwa, die Kollegen sind voreingenommen?
Die sind einfach in den Strukturen verhaftet. Wenn man viele Jahre irgendwo arbeitet, dann hat man Freundschaften, Feindschaften, Animositäten. Ich habe das kürzlich als „Gestrüpp“ bezeichnet, das es bei der taz gibt und in jedem anderen Laden auch. In diesem Gestrüpp bin ich noch nicht verheddert, muss aber aufpassen. Mir geht es auch nicht um eine politische Voreingenommenheit, die ich den Kollegen unterstellen will. Ganz im Gegenteil: Hier geht es um strukturelle Eingebundenheit. Die habe ich nicht, weil ich eben unbelastet von außen komme.
Unbelastet, das klingt schön. Hast du eigentlich noch unbelastete Freizeit, oder geht die auch für’s Chefsein drauf?
Die Freizeit ist knapp, das muss ich schon sagen. Es gibt viele Termine am Abend. Die taz ist eine Sache, der man sich ganz verschreibt. Gerade zu Beginn meiner taz-Karriere als Chefredakteurin ist das ganz extrem. Es ist selten so, dass man bei der Recherche nur ein bisschen dran ist, normalerweise ist man immer mit Vollblut dabei oder gar nicht.
Dann kannst du sicherlich auch eine dicke Portion Macht ausüben. Wie gefällt dir das?
Ich glaube, man darf in meiner Position keine Angst vor der Macht haben. Man muss in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, und die Einsamkeit, die durch solche Entscheidungen entstehen kann, aushalten können. Spaß muss man daran natürlich auch haben. Man muss Lust haben, mächtig zu sein. Leider haben viele Frauen damit Schwierigkeiten. Sie lernen dieses „Lust haben“ offensichtlich nicht so wie Männer. Es ist ja nicht nur ein strukturelles Problem, sondern es liegt auch darin begründet, dass es so wenig Frauen in den Zeitungen gibt, die solche wichtigen Jobs, wie den der Chefredakteurin einnehmen.
Wieso gibt es denn auf dem Gebiet so wenig Frauen? Haben die da keinen Bock drauf?
Wie gesagt: Vielen Frauen fällt es einfach schwer, solche Machtpositionen einzunehmen und auszuhalten. Auf der anderen Seite gibt es auch viele Männer, denen es schwer fällt, sich von einer Frau sagen zu lassen, wo es langgeht.
Das mag sein. Wir haben beim SPIESSER auch eine weibliche Chefin. Kennst du den SPIESSER überhaupt?
Ja, klar kenne ich den! Den gibt es ja schon seit 15 Jahren. Das wäre ja schlimm, wenn ich den nicht kennen würde. Ich weiß nicht, wie lange ich den SPIESSER kenne, aber irgendwie kenne ich ihn schon.
Ich möchte mal kurz ein Gedankenspiel ausprobieren, das wahrscheinlich eh schief geht: Wenn du jetzt die Entscheidung hättest zwischen Chefredakteurin bei der taz oder Chefredakteurin beim SPIESSER, wie sähe die dann aus?
Ich glaube, für die Chefredakteurin beim SPIESSER bin ich zu alt.
Das ist aber eine doofe Antwort.
Ja, stimmt, das ist ein doofer Grund. Aber in meiner Biografie würde das trotzdem gar nicht mehr anstehen. Das hätte vielleicht vor zehn Jahren angestanden. Inhaltlich betrachtet finde ich die taz sowieso spannender, weil die sich mit dem Themen beschäftigt, die mich persönlich eher interessieren. Außerdem habe ich auf dem taz-Terrain mehr Kompetenz als bei SPIESSER-Themen. Ich bin halt keine Spießerin.
Wirklich nicht?
Ach, letztendlich sind wir doch alle Spießer. Aber oft wird Spießertum auch mit Wertekonservatismus verwechselt. Und dann gibt es da noch die Definition des Muffigen. Da finde ich es dann unsympathisch, spießig zu sein.
Aber erfolgreich: Der SPIESSER wird eine Million Mal vertrieben. Die taz hat nur eine Auflage von 80 000. Wie kommt’s?
Naja, wir sind nun mal ein Blatt, das nicht jeder verdient. Ansonsten ist das eine sehr gute Frage. Wir arbeiten dran. Vielleicht könnt ihr uns ja einen Tipp geben?
Ich? Ich mach‘ jetzt Feierabend. Danke für das Gespräch!