vonClaudius Prößer 10.09.2009

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Begräbnis des Mapuche-Aktivisten Jaime Mendoza (Bild: dpa)

Wie leicht man in diverse Fallen tappt, wenn man versucht, den Ma­pu­cheKonflikt in Chile in ein paar Absätzen zu beschreiben, zeigt ein jüngst im „Freitag“ erschienener Bericht – an dem manches stimmt und man­ches leider gar nicht. Richtig ist, dass die Landbesetzungen in der Arau­canía, dem historischen Haupt-Siedlungsgebiet der Mapuche, in diesem Jahr deutlich zugenommen haben. Allerdings schwelt der Konflikt schon seit Jahren, und seit Jahren kommt es auch immer wieder zu Brandanschlägen oder Baumfällungen auf Ländereien von Forst­un­ter­nehmen oder privatem Großgrundbesitz. Nicht erst die Regierung von Michelle Bachelet hat damit begonnen, in der betroffenen Region po­li­zei­lich (das heißt in Chile: quasi-militärisch) aufzurüsten. Der am 12. Au­gust durch einen Schuss in den Rücken getötete Jaime Mendoza ist be­reits das dritte Opfer von Polizeigewalt seit dem Jahr 2002. (Hier und hier ein anschaulicher Abriss der Aus­ein­an­der­setzungen.)

Andererseits ist auch die Gewalt der Mapuche-Aktivisten real, und nur mit Wunschdenken lässt es sich erklären, dass der Autor des Artikels nahelegt, der Angriff auf einen voll besetzten Überlandbus – also auf völlig unbeteiligte Menschen – könne „fingiert“ sein. Eine Interpretation, von der in Chile nie zu hören war, zumal die radikalste Mapuche-Fraktion, die Coordinadora Arauco-Malleco (CAM), sich den Anschlag eindeutig zu­ge­schrieben hat. Falsch wiederum ist, dass der Sonderbeauftragte der Re­gie­rung, José Antonio Viera-Gallo, vor „Steinwürfen“ fliehen musste – da waren die „gewaltbereiten Wilden“ eben doch nicht so gewalttätig, wie der Text unterstellt.

A propos „gewalttätige und faule Eingeborene“: Dieses rassistische Kli­schee wurzelt tief in der chilenischen Gesellschaft – aber dass es die Mas­sen­medien heute noch ungehemmt verbreiteten, ist nicht richtig. Rich­tig ist, dass etwa der „Mercurio“ unlängst einen Aufsatz des His­to­ri­kers Sergio Villalobos druckte, der – auf der Grundlage von In­for­ma­tio­nen, die zu prüfen wären – behauptet, viele Mapuche hätten ihr Land gegen Ende des 19. Jahrhunderts ohne Not an chilenische Siedler verkauft. Außerdem handele es sich bei den Mapuche größtenteils um Mestizen, denn die „Frontera“, die Grenze, an der die Ureinwohner den spanischen Eroberern Einhalt geboten hatten, sei viel durchlässiger gewesen als land­läu­fig angenommen. Villalobos spart dann auch nicht mit Ideologie: Ja, es habe punktuell gewalttätige Landnahmen gegeben, aber die Ma­pu­che/Mestizen hätten schließlich von ihrer Eingliederung in die chi­le­ni­sche Marktwirtschaft nur profitiert. Glaube das, wer will.

Ganz schwierig wird es bei der Frage, wie der Landkonflikt zu lösen sei – bzw. ob es sich überhaupt nur um einen Konflikt um einzelne Flächen han­delt. Fragt man Aucán Huilcamán, den Vorsitzenden des von ihm selbst gegründeten „Consejo de Todas las Tierras“, lautet die Antwort seit län­ge­rem: autogobierno. Erst wenn sich das Mapuche-Volk selbst regiere – und zwar vom Bío-Bío-Fluss südwärts -, sei die historische Schuld der Chi­le­nen beglichen. Um ein autogobierno finanziell auszustatten, könne der chilenische Staat ja Reparationszahlungen für anderthalb Jahr­hun­der­te Besetzung leisten.

Solche Forderungen sind nicht nur fundamentalistisch, weil sie bewusst ignorieren, dass die meisten Mapuche heute in Santiago leben, während sie selbst in der Araucanía zahlenmäßig in der Minderheit sein dürften. Sie definieren gleichzeitig alle „Chilenen“ – zu denen Huilcamán und an­de­re radikale Mapuche-Aktivisten sich niemals zählen würden – im Süden des Landes als Usurpatoren, auch wenn die meisten selbst­ver­ständ­lich weder Ländereien noch Kiefernplantagen besitzen, sondern ganz bescheidene Menschen mit mestizischer Identität sind, die sich auch nicht ausgesucht haben, in welchem Landstrich sie in vierter oder fünfter Generation geboren wurden.

Die Verachtung, mit der manche radikalen Mapuche ihre mestizischen Mit­bür­ger adressieren, ist die hässliche Spiegelung des Mehrheits-Ras­sis­mus. Dabei ist alles andere als klar, wer überhaupt Mapuche ist. Nach dem letzten Zensus, bei dem die ethnische Selbstzuordnung ab­ge­fragt wurde, leben nur gut 600.000 Mapuche in Chile. Mög­li­cher­wei­se sind es auch mehr – aber welche Kriterien legt man hier an? Die Sprache, das Mapudungun, wird von den urbanen Mapuche kaum noch beherrscht. Praktizierte Kultur? Selbst die Mapuche der ländlichen comunidades, also der Reduktionen, in die man sie verbannt hat, pflegen heute einen weitgehend „westlichen“ Lebensstil. Und wer wollte umgekehrt einem abstammungsmäßig „reinen“ Mapuche verbieten, sich als Chilene zu fühlen und ein modernes städtisches Leben zu führen, anstatt sich dem – hypothetischen – Diktat einer indigenen Identität zu unterwerfen?

Auf welchen Insitutionen und Verfahrensweisen ein autogobierno über­haupt beruhen sollte, diese Frage wirft etwa José Mariman in einem nicht ganz neuen, aber völlig aktuellen Essay auf: Seiner Überzeugung nach gibt es gar kein traditionelles Modell einer organisierten Mapuche-Ge­sell­schaft, weil diese lediglich aus Familienverbänden bestand, die nur in Ausnahmefällen Zweckbündnisse eingingen. Die comunidades, wie sie in Chile heute existieren, sind dagegen das Ergebnis der Einverleibung der Auraucanía durch den chilenischen Staat. Dennoch ist das idyllische Bild einer Mapuche-Gemeinschaft, die alle Fragen kommunitär löst, weit verbreitet, genauso wie die Projektion vom naturliebenden Indigenen, die gerade bei jungen, urbanen Nicht-Mapuche große Popularität genießt – laut Mariman, Politikwissenschaftler und selbst Mapuche, ein völlig irregeleiteter Mythos vom „edlen Wilden“.

All das ändert freilich nichts am Grundproblem: dass die Mapuche in der Araucanía viel zu wenig und dabei schlechtes Land besitzen, und dass sie, genau wie die Mapuche in den Städten, Opfer von Rassismus sind. Die Regierungen der Concertación haben einiges getan – Land verteilt, Förderprogramme aufgelegt -, aber das reicht nicht. Immerhin hat der chilenische Kongress Anfang 2008 die ILO-Konvention 169 über die Rechte indigener Völker ratifiziert, und seit diesem April läuft eine Ver­fas­sungsänderung durch die Mühlen des Parlaments, die den pueblos originarios ihren eigenen Status innerhalb einer „unteilbaren, mul­ti­kul­tu­rellen chilenischen Nation“ zuerkennen soll. Aktivisten wie Huil­ca­mán ist das natürlich ein Gräuel, für alle anderen vielleicht ein gro­ßer Schritt in die richtige Richtung.

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