Als die Bäurinnen vor ihrer Tür standen und “Schwester Angie” sangen, wollte sie partout nicht mit ihnen reden. Jetzt will sie sich doch noch mit Milchbauern und vielleicht auch -bäurinnen treffen: Am Freitag lädt Angela Merkel zu einem Milchgespräch ins Kanzleramt. Ihre Linie: Keine Senkung der Milchquoten, die Überproduktion soll weiterhin durch Exporthilfen in alle Welt abgesetzt werden, den notleidenden Bauern will sie mit Überbrückungsgeldern und billigerem Sprit “helfen”.
Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Ministerpräsident Wulf und Bauernpräsident Sonnleitner in einem 100-Kühe-Stall in Niedersachsen gab Merkel letzte Woche die Linie vor: Die Grossen sollen siegen, der Tod der Kleinen wird mit Liquiditätshilfen und ermässigter Dieselsteuer verlangsamt. Ein Vertreter des Bundes Deutscher Milchviehhalter, der im Gegensatz zum Bauernverband dafür eintritt, nicht mehr zu produzieren als gebraucht wird, wurden nur mit Mühe nachträglich zu dem Gespräch zugelassen.
Der Bauernverband organisiert heute unter dem Motto Danke-jetzt-reichts einen grossen Treckeraufmarsch in Berlin. Seine zentrale Forderung: Billigerer Diesel. Statt 40 Cent pro Liter Milch fordert der DBV 40 Cent weniger Steuer pro Liter Diesel. Diese Agrar-Variante der Abwrackprämie, die die Berliner heute an der Siegessäule zu riechen bekommen, nützt freilich vor allem denen, die viel Sprit verbrauchen; aber weder der artgerechten Tierhaltung noch der bäuerlichen Landwirtschaft. Die Vorstellung, man könne strukturelle Krisen durch weniger ökologisches Verhalten meistern, scheint Sonnleitner allerdings mit Frau Merkel zu teilen.Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft meint dagegen: Dieselölsubventionen brauchen wir nicht – wir brauchen faire Preise!
Ein wenig hilflos klang Merkels Appell an die VerbraucherInnen: Sie müßten die Milch mehr wertschätzen, verkündete sie. Wie genau sie diese Wertschätzung ausdrücken sollten, blieb das Geheimnis der Kanzlerin. Auch der bundesweit bekannte Agarexperte Frank-Walter Steinmeier hat übers Wochenende ernste Miene zu den Milchpreisen gemacht, ohne sich allerdings auf konkrete Positionen festnageln zu lassen.
Gerd Sonnleitner fühlt sich angesichts der wachsenden Kritik an seiner Politik der offenen Milchschleusen zum “Sündenbock abgestempelt” . Schuld aber sei, wie immer, “die Politik”. Dass ihn jetzt sogar schon der Bayrische Landwirtschaftsminister für seine Unterstützung der Abschaffung der Milchquote kritisiert, geht Sonnleitner sichtlich an die Nieren.
Wie bestellt zur grossen Trecker-Demo machten die Chefs der Regierungskoalition Kauder, Struck und Ramsauer heute das Diesel-Geschenk perfekt: Der ermäßigte Steuersatz von 25,66 Cent pro Liter Diesel soll in den nächsten beiden Jahren schon ab dem ersten und nicht erst ab ca. 1600 Litern gelten. Das macht für kleinere Bauern genau 350 Euro im Jahr. Nur wer reichlich tankt profitiert richtig: Auch die Obergrenze von 10.000 Litern wurde gestrichen. 95 Prozent der bayrischen Milchbauern beispielsweise haben davon nix. Die Steuerzahler kostet der Billig-Diesel insgesamt rund 500 Millionen Euro. Bauernchef Sonnleitner will allerdings noch erheblich mehr Sprit-Geld: “”Wir werden aber keine Ruhe geben, bis wir den französischen Steuersatz erreicht haben”, sagte er. Der liegt nahe Null.
Doch die Bauern in Frankreich leiden trotzdem unter dem Preisverfall und protestieren, etwas heftiger als hier in Deutschland, mit Blockaden von Molkereien und brennenden Reifen vor Supermärkten.
Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die heute bei EU Agarminister-Treffen darüber diskutiert, ob den Bauern bestimmte Subventionen früher ausgezahlt werden, fordert die Bauern zur Selbsthilfe auf: Wenn die Molkereien (die allerdings nicht gerade den Bauern gehören) für Überproduktion niedrigere Preise zahlen, könnten sie das Angebot drosseln, meint sie. Auch in Brüssel protestierten rund 2000 Bauern. Die EU Kommission versprach, mehr Butter aufzukaufen und den EU-Regierungen schwant: Bei der erwartet minimalen Beteiligung an den Wahlen zum EU Parlament in knapp 2 Wochen, könnten die fortgesetzten Bauernproteste zum für sie unberechenbaren Wahlschlager werden.