Ein Sturm auf die Bastille wie heute vor 220 Jahren ist es zwar nicht gerade, aber doch ein Zeichen, dass über tausend Milchbauern aus Deutschland, Frankreich, Portugal, den Niederlanden und Belgien vor dem Straßburger „Raumschiff“ setzen, in dem sich heute das neue Europaparlament konstituiert. Zu der Demonstration hatten das European Milkboard und die Kleinbauernorganisation „Via Campesina“ gemeinsam aufgerufen. Während der Milkboard-Chef Romuald Schaber vor dem Parlament einen Systemwechsel in der Milch-Politik forderte, wurde der bekannteste Exponent von Via Campesina, der französische Käsebauer José Bové feierlich in sein Amt als grüner Euro-Parlamentarier eingeführt.
Schon gesten hatten die AgrarministerInnen ihre Art der Unterstützung der Milchbauern beschlossen: Es gibt wieder reichlich Butter- und Milchpulverberge in der EU und das soll auch für’s Erste so bleiben. Die Interventionskäufe werden fortgesetzt und eingelagert. Sie bedrohen damit den Weltmarkt, der noch immer schwächelt. Denn früher oder später muss die EU den teuren Überschuss loswerden. Die Exportsubventionen für Milch und Butter bleiben erhalten – zum Ärger der demonstrierenden Milchbauern, die das als unsolidarische Geste gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen in Afrika und Asien strikt ablehnen.
Die Forderung der Milchbauern, die Quote um 5% zu reduzieren und zudem jährlich der Nachfrage anzupassen, lehnen dagegen die Agrarminister und die Europäische Kommission weiterhin ab. Sie setzen auf Biegen und Brechen auf einen „freien Wettbewerb“, der unweigerlich die industrielle Milcherzeugung gegenüber der kleinbäuerlichen, weideorientierten Viehhaltung bevorzugt. Zur Diskussion steht in Brüssel weiterhin lediglich wie das so programmierte Bauernsterben am besten „abzufedern“ ist. Dagegen ist in der Erklärung der Milchbauern von heute erstmals die Rede davon, dass „das Prinzip der Ernährungssouveränität“ zum neuen Leitfaden durch die Krise werden müsse.Hierzu gehöre eine flächendeckende europäische Selbstversorgung und Verantwortung gegenüber den Ländern des Südens.
Ob die Milchquotenregelung tatsächlich im Jahre 2013 ausläuft, wie es die Regierungen und auch der Deutsche Bauernverband gebetsmühlenartig als „unausweichlich“ darstellen, wird nicht zuletzt von dem neuen Parlament abhängen. Denn nach dem Vertrag von Lissabon, der aller Wahrscheinlichkeit Anfang nächsten Jahres doch noch in Kraft tritt, hat das Parlament erstmals auch bei den europäischen Agrardeals ein entscheidendes Wort mitzureden.
Das ist, Ehre wem Ehre gebührt, übrigens dem heute aus dem EP ausscheidenden Agrarpolitiker und Vorsitzenden der AbL, „FriWi“ Graefe zu Baringdorf zu verdanken. Wir wünschen ihm ab heute wieder viel Spass auf der anderen Seite der Barrikade!
P.S.
Apropos Bastille: Wetterhistoriker haben unlängst die These vertreten, dass El Niño, der soeben wieder amtlich festgestellt wurde und in den kommenden Monaten für weltweite Wetterturbulenzen sorgen wird, zu den wichtigsten Auslösern der französischen Revolution gehörte. Er sorgte seinerzeit für Missernten in Frankreich und entsprechende Brotknappheit. Der zweite wesentliche Auslöser war bekanntlich, die Finanzkrise, in der sich Louis XVI sein Land manövriert hatte. Tja…
P.P.S.
Hintergründiges und Untergründiges zum Thema Milch und allerlei angrenzenden Sachgebieten heute auch von unserem verehrten TAZ-Aushilfhausmeister
P.P.P.S
Via Campesina legt Wert auf die Feststellung, dass José Bové seit seinem Wechsel ins Parlament die Organisation nicht mehr vertritt.