vonlottmann 01.12.2008

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Nun, nach Beginn der Blogger Großoffensive der Kollegen des FAZ Feuilletons, drängt mich auch die eigene Chefredaktion zu sofortigem Weiterbloggen. Das müsse ich verstehen, heißt es. Ich sagte:
“Broeckers, da kann ich nur mit Krümeln und Schnipseln dienen. Ich schreibe gerade einen Roman.”
“Dann krümeln Sie, Herrgott! Den Roman schreiben Sie doch schon seit Monaten.”
“Seit März, genau. Seitdem blogge ich ja auch nicht mehr.”
“Sind Sie WAHNSINNIG geworden, Mann? Das dürfen Sie noch nicht einmal denken! Wozu bezahlen wir Sie eigentlich so fürstlich?!”
Ich war schneller an meinem taz-Computer als Broeckers zuende schreien konnte. Den hatte natürlich der Unfried geschickt, Sir Peter. Da brannte der Baum, in der Chefetage, ganz klar. Die Konkurrenz hatte heute um Null Uhr aus zehn Blogs gleichzeitig losfeuern lassen. Jetzt flogen uns die fein ziselierten Sätze der Großfeuilletonisten wie Rasierklingen um die Ohren…
Wie gesagt, ich kann nur mit Miniaturen dienen. Wie Claus Jacobi in seinem BILD Tagebuch. Übrigens das Scheußlichste, was es im deutschen Sprachraum gibt. Eine Geheimwaffe für geschickte Erbschleicher: Legt man diese Seite regelmäßig dem Opa oder der Erbtante auf den Nachttisch, krepiert sie bald dran. Nicht nachweisbar durch den Arzt! Der schreibt lakonisch: Tod durch Ersticken.
Also, das war schon die erste Miniatur. Brauche ich noch neun.
Die zweite: Der eben erwähnte Sir Peter Unfried (stellvertretender taz Chefredakteur) hat mir versprochen, PDS Darling Katja Kipping beim Beschenken armer Nazi-Kinder in Hellersdorf und Lichtenberg zur besten Adventszeit begleiten zu dürfen. Das Projekt hatte ich schon vor Monaten vorgeschlagen, aber es ist eben erst jetzt Weihnachten.
Drei: Bei mir in der Geheimwohnung arbeiten seit vier Wochen zwei junge osteuropäische Putzfrauen. Sie machen ihre Sache hervorragend. Ich bin vollkommen begeistert. Für acht Euro die Stunde verwandeln sie grundsätzlich alle Gegenstände in nagelneue, fabrikfrische Waren, schaffen einen gigantischen Mehrwert, und sind dabei auch noch nett anzusehen. Zum erstenmal habe ich eine Ahnung, was diese perversen Briten und grenzdebilen Amerikaner antreibt, wenn sie in table dance Bars gehen. Oder Ballettbesucher, die für 80 Euro schwule hüpfende Männer anstarren. Ich dachte immer, da bin ich drüber erhaben. Aber diese Putz-Chereographien der blutjungen Ukrainerinnen, ihr Spaß dabei, ihr Lachen, das aufgedrehte Billigradio mit den schichtspezifischen Schnulzen, dann der niedrige Preis, wie gesagt vier Euro pro Näschen – da werde ich doch auf meine späten Tage noch tolerant. Bald sehe ich mir noch das moderne Regie-Theater an, wenn das so weitergeht.
Vier: Obama macht alles neu, auch das Auto, “CHANGE” ist angesagt, dachte ich, und verschrottete am 5. November 2008 den Wartburg Tourist, mit dem ich ein Jahr lang alle Leser genervt hatte. Ich fahre nun eine neue japanische Luxuslimousine, Hybrid, fünf Türen, modernstes weltraumgestütztes Navigationssystem. Das viele Geld, das der Erfolg als Autor mit sich bringt, muß ja auch irgendwann einmal in etwas umgesetzt werden. Ich sage das nicht, weil wir jetzt Wirtschaftskrise haben.
Fünf: Noch immer und mehr denn je genieße ich Maxim Billers ´Moralische Geschichten´ in der F.A.S., und das läßt mich allmählich selber rätseln. Warum fällt mir jedesmal ein Stein vom Herzen, wenn ich das lese? Was genau entlastet mich so dabei? Immer wenn ich es gelesen habe, merke ich, welch ein Medien-Alb vorher auf meiner Seele hockte, so eine schwarze, todtraurigmachende Gewitterfront des humorfreien Meinungskanons, der nur unter Todesstrafe anzugreifen ist. Shoa-Folklore ohne Ende statt lebendiger Kulturberichterstattung, sogar beim geliebten SPIEGEL jetzt, auf dem Ticket fahren nun selbst die Besten und Liebsten, weil es anders nicht mehr geht – und dann diese Anarchie von Maxim, diese nicht einordbaren Superfrechheiten. Da kann man für ein paar Atemzüge wieder die frische Luft spüren, die wir einmal hatten.
Sechs bis zehn: morgen!


Wieder an Bord: Joachim Lottmann nächtens im abgedunkelten taz Bloggerraum in der Kochstraße.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/miniaturen/

aktuell auf taz.de

kommentare