vonDetlef Kuhlbrodt 11.02.2009

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Am frühen Morgen war ich erst in diesem Wettbewerbsfilm und danach in diesem Hotel, wo man sich als Pressemensch für diese Filme Karten holen muss, in die man mit seinem schönen Akkreditierungsding nicht reinkommt. Weil ich mir gedacht hatte: „das wird heute mal ein Supertag“, wollte ich mir Karten für „Kleopatra“, „West-Side-Story“ und „Dorfpunks“ holen. „West-Side-Story“ hatte ich als Kind schon mal in einem Schwarz-Weissfernseher gesehen und war ganz beeindruckt gewesen und stellte mir ein Wiedersehen sehr interessant vor. Vielleicht würde mich dieser Film ja so déjà-vu-mäßig wieder mit meiner Kindheit verbinden.
Leider waren „West-Side-Story“ und „Kleopatra“ aber schon alle. Ich sagte „Macht ja nichts“ und ging meiner Wege.  Dann sah ich noch einmal auf diesen Zettel mit den Filmen, für die man Karten benötigt. Da stand auch „Alle Anderen“. Weil es mir nun lustig vorkam, den Mitarbeiter, der mir grad gesagt hatte, dass es für die Filme, die ich eigentlich am Abend hatte gucken wollen, keine Karten mehr gebe, um eine Karte für „Alle Anderen“ zu bitten, stellte ich mich noch einmal in die Schlange und tat das dann.
Ach, hätt ich es doch nicht getan!
Durch strömenden Regen raste ich also um halb sechs zum Friedrichstadtpalast, wo „Alle Anderen“ gezeigt wurde.

Der Friedrichstadtpalast ist fast so groß wie die O2-Arena und war gut abgefüllt. Wahrscheinlich stehen die Leute auf solche Filme oder Maren Ade und die Berliner Schule haben soviele Facebook-und Myspace-Freunde.
Eine Freundin, die mir neulich schlüssig erklärt hatte, dass es sich bei der Berliner Schule um eine Sekte handle, hatte mich gewarnt; ich hatte ihre Warnung ignoriert – selber schuld. Nach drei Minuten war schon klar, dass ich den Film hassen würde. Paralysiert blieb ich dann doch eine Stunde sitzen.

Der Film ist ein pärchengesprächsterroristisches Machwerk! Alle Figuren dieses Films sind Nerver, wie sie im Buche stehen: Rhabarbar, Rhabarbar, Rhabarbar; so geht das tagein, tagaus und ohne Pause. Die Helden sind naseweisse um-die-30-Trottel aus der gehobenen Mittelschicht auf Urlaub in Sardinien. Sie sagen „Schnappi“ und lachen dann und alle im Saal lachen mit, weil sie das witzig finden.
Die Figuren des Films entsprechen etwa dem, was Helmut Höge früher mal gemeint haben mag, als er von den „Futonfickern aus 61“ (dem angeblich nobleren Teil von Kreuzberg) sprach. Oder was andere im Sinn haben, wenn sie von den westdeutschen Idioten aus Mitte bzw. Prenzlauer Berg sprechen.
Dass ich auch in 61 wohne und viele Freunde in Mitte bzw. Prenzlauer Berg leben, spielt dabei keine Rolle.

Erschüttert hatte mich an „Alle Anderen“ vor allem auch, dass die anderen zehn- oder zwanzigtausend im Saal häufig lachten, den Film also gut zu finden schienen. So kam ich mir ein bißchen vor, wie die Dorfpunks zunächst in dem schönen Roman von Rocko Schamoni: man lebt irgendwo und entdeckt plötzlich, dass alle um einen herum wahnsinnig sind.

Oder, keine Ahnung: jemand hat einem Gift in das Bier getan und einen in ein Stadion verschleppt, wo ein Volksmusikfestival stattfindet. Alle sind begeistert, man selber hält sich die Ohren zu und möchte sich erschießen.

Es war jedenfalls der erste Film seit Jahren, aus dem ich dann nach einer Stunde floh.

„Kein Problem“, sagte ich mir, noch immer ziemlich aufgebracht, während ich wie ein begossener Pudel durch strömenden Regen wieder zum Potsdamer Platz fuhr. Kann ich mir ja „Dorfpunks“ angucken. Musste ich sowieso unbedingt sehen, weil ich örtlich und zeitlich aus einer ähnlichen Gegend komme und weil es hier im Blog ja auch um Weihnachten herum plötzlich eine Rocko-Schamoni-und-Dorfpunks-Diskussion gegeben hatte, in die sich der King persönlich und zwei nette Punker auch mal kurz eingeschaltet hatten.

Eine halbe Stunden vor Aufführungsbeginn war schon nichts mehr zu machen. Alles ausverkauft. Hunderte warteten vor den Eingängen, in der Hoffnung, vielleicht doch noch reinzudürfen. Ging aber nicht. Eigentlich war es auch nicht schlimm eine halbe Stunde vergeblich zwischen den ganzen Menschen zu warten. Die sahen nämlich alle total sympathisch aus, nahmen es mit Humor, dass sie in den Film, auf den sie sich so gefreut hatten, nicht rein konnten; ich war überzeugt, dass die Freunde der Dorfpunks „Alle Anderen“ auch doof finden, radelte zufrieden nach Hause und fuhr noch ein paar Rennen mit meinem R92CP-special edition auf der Play Station und sagte mir fröhlich handlungsbegleitende Sätze beim Zubettgehen wie „das wird bestimmt wieder total super, schlafen, klasse!“

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