Michael Knodt über Hanfmythen und ihren wahren Hintergrund
Über Hanf gibt es eine Menge moderner Märchen. Die beiden Hauptursachen hierfür sind wohl einerseits die weltweite Illegalität von Hanfblüten, die echte Grundlagenforschung sowie eine frei verfügbare Information schwierig bis unmöglich machen und so eine Haufen Spielraum für Spekulatives, Gerüchte und Halbwahrheiten lassen. Andererseits gehen Kiffen und ein zum Übertreiben neigender Hang zur Phantasie ab und an Hand in Hand, wodurch auch schon das ein oder andere Hirngespinst plötzlich lebendig wurde.
Greifen die Massenmedien das Thema Hanf auf, werden Halbwahrheiten fast schon mit Schallgeschwindigkeit weiterverbreitet, so dass der wahre Hintergrund meist im Verborgenen bleibt.
Man mag es kaum glauben, aber durch die Wiederholung falscher Tatsachen hat sich so manche Hanflüge auch in den Köpfen von Hanfliebhaber/innen festgestzt, oft unbewusst.
Dieser Artikel klärt über die verbreitesten Fehlschüsse in Sachen Hanf auf und versucht gleichzeitig, den Hintergrund oder auch das kleine Stückchen Wahrheit, das in (fast) jeder Meldung steckt, ein wenig näher zu beleuchten.
„Gen-Gras “ gibt’s nicht
Die wohl schlimmste und verbreiteste Desinformation, die in den letzten Jahren gezielt und unter ständiger Wiederholung gestreut wurde, ist die vermeintliche Genmanipulation an Gras und die angeblich darauf beruhenden, hohen THC-Werte.
Seit mittlerweile vielen Jahren hält sich hartnäckig das Gerücht vom genmanipulierten Supergras. Kein Gerücht ohne Hintergrund, also habe ich mich mal auf Spurensuche begeben.
Unter Genmanipulation versteht man die künstliche Veränderung des Erbgutes. Dieses besteht aus vier Säuren, den Bausteinen der DNA. Diese Säuren werden bei der Genmanipulation – vereinfacht gesagt – untereinander „ausgetauscht“ und ein Lebewesen mit neuen Eigenschaften entsteht. Italienische Wissenschaftler haben versucht, Hanf genetisch zu manipulieren, mit folgendem Ergebnis: „Laut den italienischen Forschern Tito Schiva und Saverio Alberti ist Hanf sogar gegen Genmanipulationen resistent“, so die „Sonntagszeit“ Nr. 7 vom 17. Februar 2002 in „Das Leuchten der Blumen“ „..Ziel der Studien war ursprünglich die Herstellung von handelsüblichem Hanf, der von unerlaubten Rauschmittelsorten zuverlässig unterschieden werden sollte. Doch erwies sich ausgerechnet Hanf gegen eine Genmanipulation resistent“.
Wie ensteht also dann das Gerücht, potenter Hanf sei genetisch verändert? Schuld ist die Herbstzeitlose. Die Knolle der wunderschönen Zierpflanze enthält Colchizin. Dieses hochgiftige und krebserregende Alkaloid, auch bekannt als Spindelgift, kann niedrig dosiert gegen Gicht helfen, ruft aber ebenso Mutationen bei Pflanzen hervor, deren Saatgut damit behandelt wurde. Die Überlebensquote von Hanfsamen, die mit Colchizin behandelt werden, beträgt zehn Prozent. Die überlebenden Pflanzen werden oft, nicht immer, ertragreicher. Der Grund: Die Erbanlagen wurden, einfach dargestellt, verdoppelt, nicht verändert. Es handelt sich um eine Mutation, also eine spontan auftretende oder herbeigeführte Veränderung des Erbgutes, die ständig in der Natur vorkommt. Die Pflanze ist jetzt polyploid, das heißt, sie hat nun mindestens drei vollständige Chromosomensätze, die jedoch im Gegensatz zur Gen-manipulierten Pflanze unverändert sind.
Diese Wirkung ist schon seit 1934 bewiesen und noch viel länger wird auf dem Gebiet geforscht. Unter anderem wurde durch die Behandlung mit Colchizin eine neue Getreidesorte (Triticale: eine Kreuzung aus Weizen und Roggen) geschaffen, die schon Jahrzehnte bei uns als Viehfutter und als Rohstoff für Backwaren, Bier und Fertigbreie kultiviert wird. Gleiches gilt für Rüben, diverse Futterpflanzen, und beispielsweise auch für Stiefmütterchen. Die Anwendung von Colchizin gilt in Botanikerkreisen als gängigste Methode, Polyploide herzustellen und wurde schon bei fast allen bekannten Kulturpflanzen angewendet.
Was das mit Gras zu tun hat? Natürlich gab es auch in Grower-Kreisen bereits in den 1970er Jahren Menschen, die, nachdem sie ein paar Bio-Bücher gewälzt hatten, mit Colchizin experimentierten. Der bekannteste unter ihnen war der als LSD -Papst bekannt gewordene Professor Tim Leary, von dem böse Zungen behaupten, er hätte durch den ungeschützten Umgang mit Herbstzeitlosen-Extrakt später Krebs bekommen. Die Ergebnisse entsprachen wohl nur teilweise den Erwartungen und es war außerdem sehr aufwendig, Samen mit Colchizin zu behandeln. Die niedrige Überlebensquote, die aufgrund von Giftrückständen auftretende Ungenießbarkeit der ersten beiden Generationen und vor allem die nicht zu unterschätzende Gesundheitsgefährdung beim Hantieren mit der Substanz, verhinderten eine großflächige Verbreitung dieser Methode. Auch sind die Folge-Generationen lange nicht so stabil wie bei durch natürliche Selektion gewonnem Saatgut, einfach gesagt: Die Produktion von Samen durch natürliche Selektion ist sowohl in Bezug auf den Ertrag als auch auf die Stabilität einer Sorte wirtschaftlicher und unkomplizierter. Deshalb hat sich diese als einzige durchgesetzt.
Ob polyploide Sorten, die es zweifelsohne gibt, nun durch natürliche Mutation oder durch frühes Herumexperimentieren mit Herbstzeitlosen-Extrakt entstanden sind, lässt sich heutzutage nicht mehr nachvollziehen. Das gilt jedoch auch für viele der Pflanzen, die wir täglich essen. Fest steht: Alle Samenbanken und seriösen Züchter arbeiten nur mit Hilfe natürlicher Selektion, die Frankenstein-Methode der Colchizin-Behandlung wird höchstens noch von gewissenlosen Hobby-Biologen angewandt, denen aber Zeit und Mittel, ihr Saatgut weiter zu verbreiten, glücklicherweise nicht zur Verfügung stehen.
Résumée: Die gleiche Methode, die bei der Hanfsamen-Behandlung angeblich Gen-Gras hervorruft, wird seit 1960er-Jahren an nahezu jeder Kulturpflanze angewandt, auch im Freiland. Also können wir davon ausgehen, dass unser Hanf mit Sicherheit nicht mehr oder weniger genmanipuliert ist als unser Brot. Erfolgreiche Versuche, künstliche Mutationen zu erzeugen, hat es zweifelsfrei gegeben, die Methode konnte sich jedoch, anders als bei vielen Lebensmitteln, bei Cannabis nicht durchsetzen und hat mit Genmanipulation im heutigen Sinne nichts zu tun. Wer nun auf die Idee kommt, so etwas selbst auszuprobieren, dem/der sei gesagt: Finger weg, der Kontakt mit Colchezin ist schon in geringen Mengen krebserregend und es bedarf eines professionellen Labors und einer fundierten Ausbildung, um gefahrlos mit dem Gift umzugehen. Der Umgang damit ist sinnvoller weise genehmigungspflichtig. Auch wäre es ein Unding, wenn jemand solches Saatgut in den Umlauf brächte. Deshalb gibt es hier auch keine Anleitung.
Merke: Bei einer Legalisierung wären die Mitglieder der Saatgut-Lobby sowieso die Ersten, die laut über eine Notwendigkeit von Hanfpflanzen-Mutanten nachdächten.
Der THC Gehalt ist seit den 1970er Jahren immens angestiegen
Auch die leicht angestiegenen THC-Gehalte in einigen Sorten lassen sich ausschließlich auf natürliche Auslese zurückführen, hier eine Genmanipulation als Grund aufzuführen ist blanker Unsinn. Auch sind dies oft zitierte „Spitzenwerte“ aus den offiziellen Statistiken, ein signifikanter Anstieg des THC-Gehaltes in Bezug auf die Gesamtmenge an beschlagnahmten Cannabis-Produkten wurde nie festgestellt.
Schon vor über 25 Jahren ist es vor allem den Niederländern gelungen, durch „Indoor-Anbau“ und optimierte Zuchtbedingungen stärkere Sorten zu züchten. Damals gab es mit „Skunk“ und „Superskunk“ oder Mazar einen signifikanten Anstieg der THC-Gehalte. BKA und die europäische
Drogenbeobachtungsstelle der EU gehen davon aus, dass es in den letzten Jahren zwar Funde mit hohem THC-Gehalt gab, aber kein allgemeiner Anstieg im zu verzeichnen ist.
Denn in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde vornehmlich Hasch konsumiert, dessen THC -Gehalt unisono viel höher ist als der von Cannabisblüten, da es sich um ein Extrakt handelt. Der Wirkstoffgehalt von Cannabis in Europa hat nach 1996 etwas zugenommen, vor allem indem der Marktanteil von Haschisch eher mäßiger Qualität zurückgegangen ist und durch Indoor-Züchtungen ersetzt wurde. Bei in Europa
angebautem Marihuana gab es einen gewissen Anstieg des THC-Gehalts, so
dass sein Wirkstoffgehalt nun mit dem Haschisch der 1960 und 1970er Jahre vergleichbar ist. Soviel zu der Behauptung der Althippies „Ihr Joint sei ja viel ungefährlicher gewesen..“
Ein hoher THC Gehalt ist gefährlich und macht schnell abhängig
Völlig falsch. Medizinalpatienten aus Ländern, in denen natürliches Cannabis für medizinische Zwecke verschrieben bekommen, bevorzugen meist Blüten mit einem hohen Wirkstoffgehalt.
Da der THC-Gehalt in Prozent angeben ist, wissen sie genau, wie viel sie einnehem müssen, um den gewünschten Effekt zu erreichen.
Bei Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von 10 Prozent muss ein Patient die doppelte Menge einnehmen als bei einem Kraut, das 20 Prozent Wirkstoff enthält. Dies ist der einzige Unterschied bezüglich des THC-Gehalts, auf das Abhängigkeitspotential hat der Wirkstoffgehalt nachgewiesener Maßen keine Auswirkung.
Eine Dosiserhöhung findet bei Cannabispatienten viel seltener als bei Opiat- oder Opiod-Patienten statt, obwohl die meisten Sorten mit hohem Wirkstoffgehalt bevorzugen.
Die These, ein hoher THC-Gehalt mache schneller abhängig als ein niedriger ist genauso unsinnig wie zu behaupten, dass Wein schneller süchtig oder abhängiger als Bier mache. Bei einem sicherem Cannabiskonsum kommt auf die Überprüfbarkeit des Wirkstoffgehalts an, was auf einem unkontrollierten Schwarzmarkt unmöglich ist.
Michael Knodt ist Chefredakteur des Hanf Journals