Leonardo Boff hat heute seinen 70. Geburtstag gefeiert.
„Immer wieder neu kreativ zu sein, im wunderbaren Durcheinander zwischen der profanen Wirklichkeit und dem religiösen Denken – das macht mir am meisten Spaß.“ Nichts liegt Boff, der sich als „franziskanischen und ökumenischen Katholiken“ definiert, ferner als der Gedanke an den Ruhestand. „Bis zum Jüngsten Gericht werde ich für Gerechtigkeit kämpfen“, versichert der Befreiungstheologe.
Genézio Darci Boff wurde 1938 als Enkel italienischer Einwanderer in Concordia im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina geboren. Den Namen Leonardo nahm er in einem franziskanischen Priesterseminar an. Von 1965 bis 1970 studierte und promovierte er in München.
Der erste große Einschnitt in seinem Leben war seine Rückkehr nach Brasilien. Im Amazonasgebiet musste der frischgebackene Doktor der Theologie erfahren, dass die dort lebenden Menschen mit „dem hochgescheiten Zeugs aus Deutschland“ nichts anfangen konnten. In Petrópolis bei Rio de Janeiro, wo er bis heute lebt, schrieb Boff anschließend das Buch „Jesus der Befreier“ und vollzog damit den Schritt „von der erlernten Theologie der modernen Welt zu einer Theologie der Welt der Armen“.
Wie kaum ein zweiter inspirierte er jene „Kirche von unten„, die sich im Lateinamerika der 70er und 80er Jahre formierte – und wurde rasch zum Ärgernis für den Vatikan. Als Antwort auf die Fundamentalkritik an der hierarchischen Amtskirche, die Boff in seinem Buch „Kirche – Charisma und Macht“ niederschrieb, verhängte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger 1985 das erste von mehreren Schweigegeboten.
1992 hatte Boff genug: Er gab das Priesteramt auf und trat aus dem Franziskanerorden aus. Ein Jahr später heiratete er seine langjährige Freundin Marcia. „Rom hätte es sicher gerne gesehen, wenn ich Coca-Cola-Manager in Rio geworden wäre“, sagte der populäre Querdenker mit dem weißgrauen Rauschebart augenzwinkernd in einem taz-Interview auf dem Weltsozialforum 2005. „Aber ich hatte ja die Möglichkeit, weiter als Theologe zu arbeiten. Dabei wurde ich von den meisten Bischöfen unterstützt, eingeladen zu Vorträgen, Kursen und sogar zu Exerzitien für Priester und Nonnen.“
„Das autoritäre System Kirche ist dazu verdammt, andere zu verdammen“, bedauert Boff. „Das gehört zu seiner Logik. Wenn man das verstanden hat, fühlt man sich befreit und sagt zugleich: Schade, dass so mit dem Erbe von Jesus Christus umgegangen wird.“
Boffs Werk, das mittlerweile an die 90 Bücher umfasst, ist eine Entwicklungsgeschichte der Befreiungstheologie. Außer vom Marxismus, den er als Instrument für die Gesellschaftsanalyse schätzt, sind seine Schriften von indianischen und afroamerikanischen Religionen, vom Feminismus und der Ökologie beeinflusst. Linke Präsidenten aus Südamerika, die selbst von der Theologie der Befreiung geprägt wurden, begleitet Boff mit kritischer Sympathie.
Bis heute bleibt er einer der schärfsten Kritiker von Papst Benedikt XVI., den er seit seiner Münchener Studienzeit gut kennt und damals als „brillanten Theologen“ schätzte. „Der Papst steht auf der Seite der Reichen und nicht bei den Armen – im Gegensatz zu Jesus“, sagte Boff jüngst. Für die Armen in Lateinamerika sei es ein Skandal, dass Benedikt einen „eitlen Stil“ und den „Pomp von Papst Leo X.“ pflege.
Die Befreiungstheologie weise genau in die entgegengesetzte Richtung, betont Boff. Anstatt sich arrogant als einzigen Träger der Wahrheit auszugeben, müsse sich das Christentum als „eine von vielen Quellen verstehen, die dem Leben Sinn geben“.
Angesichts der „Bedrohung der Schöpfung durch die kapitalistische Globalisierung und andere Fundamentalismen“ sei die „wichtigste Frage, welche Zukunft die Erde und die Menschheit haben – und wie die Kirchen und andere spirituelle Bewegungen dazu beitragen könnten, diese Zukunft zu sichern“.