von 07.05.2010

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Arm aber glücklich mit alternativer Entlohnung? (Foto: Jan Schneider)

Der Biodiscounter Alnatura zahlt weit unter Tariflohn (die taz berichtete). Die Angestellten erhalten im schlechtesten Fall gerade mal 7,50 € pro Stunde. Das ist rund ein Drittel unter Tarif. Gleichzeitig wirbt das Unternehmen mit dem Slogan „Sinnvoll für Mensch und Erde“. Na ja. Nicht jeder findet Lohndumping sinnvoll. Alnatura rechtfertigt die schlechte Bezahlung mit gutem Arbeitsklima in den Filialen und raschen Aufstiegschancen. Die Mitarbeiter können kostenlos an Yogakursen teilnehmen, Fortbildungen besuchen oder sich in der firmeneigenen Theatergruppe ausleben. Doch können diese Annehmlichkeiten über eine miese Bezahlung hinwegtrösten? Ist das nicht nachhaltige Ausbeutung?

Die Idee ist nicht neu und nennt sich „Cafeteria-Modell“. Ein flexibles Entgeltsystem, bei dem jeder Arbeitnehmer Zusatzleistungen wählen kann, die der Arbeitgeber anbietet. Im Gegenzug verzichtet der Angestellte auf einen Teil seines Brutto-Gehalts. Mögliche Leistungen sind private Altersvorsorge, Kindergartenplätze oder wie im Falle Alnatura Yoga-Kurse und Fortbildungen.

Das Modell stammt aus den 30er Jahren und stützt sich auf die Theorien der amerikanischen Psychologen und Arbeitswissenschaftler Herzberg und Maslow. Mit seiner Bedürfnispyramide revolutionierte Maslow die Vorstellung, dass die Arbeitsmotivation nur vom Gehalt abhängt. Danach strebt der Mensch mehr nach Selbstverwirklichung und Individualität, als nach Wohlstand und Geld. Über das Für und Wider des Modells kann man sich streiten.

Die Vorteile für die Firmen liegen auf der Hand: Durch niedrigere Löhne sparen sie Sozialabgaben. Durch die Ausgaben für Zusatzleistungen mindern sie den Reingewinn und zahlen weniger Steuern. Außerdem werden die Mitarbeiter stärker an das Unternehmen gebunden. Zumindest theoretisch erhöht diese Maßnahmen auch die Motivation der Angestellten. Durch sogenannte Pool-Lösungen bucht das Unternehmen gesammelt Mitgliedschaften in Fitnessclubs, Reisen oder Kindergartenplätzen und erhält so günstigere Tarife.

Die Beschäftigten haben aber nicht nur weniger im Geldbeutel. Die stärkere Bindung ans Unternehmen bedeutet für sie auch eine größere Abhängigkeit. Wenn sie die Firma verlassen, verlieren sie auch ihren Versicherungsschutz oder den Kindergartenplatz. Steuervorteile dürften sie – zumindest bei einem Stundenlohn von 7,50 € – kaum haben.

Die Mitarbeiter von Alnatura forderten bei Umfragen der taz jedenfalls nicht mehr Lohn, sondern lobten das gute Arbeitsklima. Aber kann das eine Entschuldigung sein, die Löhne derart zu drücken? Oder handelt es sich um nachhaltige Ausbeutung? Alnatura jedenfalls will nun umschwenken und Tarfilöhne zahlen. Dies ist aber eher dem öffentlichen Druck als einem wirklichen Umdenken zuzuschreiben.

Text: Jan Schneider

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